© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/00 31. März 2000

 
Pankraz,
Elfriede Jelinek und die Chancen des Feschismus

Wieder einmal geht ein Gespenst in Europa um, diesmal das Gespenst des Feschismus. Der Feschismus leitet sich von dem oberdeutschen Mundartwort "fesch" ab, das soviel wie nett, adrett, gutgeraten bedeutet. Ein Feschist ist ein netter, adretter, gutgeratener Politiker, aber nur äußerlich. In Wirklichkeit ist er ein trübes Monster, eben ein Gespenst, das gutgläubigen Demokraten auflauert, um sie zu packen und in unappetitliche Machenschaften hineinzuziehen, als da sind: Fremdenfeindlichkeit, Kunstfeindlichkeit, Europafeindlichkeit...

Urbild und Inkarnation des Feschismus ist der Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider, auf den die Bezeichnung ursprünglich gemünzt war und zuerst angewendet wurde. Seitdem seine Partei, die FPÖ, an der Regierung in Wien beteiligt ist, schlagen die Medien Alarm, können sich gar nicht mehr beruhigen. Feschismus da, Feschismus dort, Feschismus hinten, Feschismus vorn. Feschismus überall.

Wie jedes Gespenst ist der Feschismus schwer zu fixieren, wenn überhaupt. Er zerfließt, sobald man ihn scharf ins Auge faßt – um sich umgehend als eiskalte Hand am Hinterkopf des Fixierenden zurückzumelden. Es hilft auch nicht, im Stile der Teufelsaustreiber gewisse Symbole und Beschwörungsformeln gegen ihn in Stellung zu bringen, er denkt nicht daran, seine freundliche Feschheit abzulegen und die "wahre Fratze" vorzuzeigen.

So bleibt den Analysten nur übrig, aus dem hohlen Bauch zu philosophieren und von sich aus Gedankengirlanden an das Gespenst heranzutragen. Der Feschist ist – soviel steht für sie fest – ein "Populist", d. h. er denkt im Inneren das, was das Volk denkt und, wenn es sich unbeobachtet glaubt ("am Stammtisch"), auch ausspricht. Was aber den Feschisten vom gewöhnlichen Populisten unterscheidet, ist die Geschmeidigkeit und Professionalität seiner Rede. Er macht sich nie mit dem Stammtisch gemein, sondern veredelt ihn gewissermaßen, verwandelt ihn in ein fesch-volkstümliches drittes Fernsehprogramm.

Und er kann, wenn es darauf ankommt, immer auch anders. Aus dem fröhlichen Zitterspieler wird dann im Handumdrehen ein muskelgestählter Sportsmann, ein drahtiger Abfahrtsläufer oder Nordwandbezwinger, der die Elfriede Jelinek erschauern und in homoerotische Männerphantasien ausbrechen läßt. Oder er taucht in die Welt der Bits und der aktuellen Börsenkurse ein und erweist sich als gewiefter Teilnehmer am Turbokapitalismus und am Spiel der Medien um Talkshows und Wohltätigkeitssoireen.

Man fragt sich bei alledem manchmal verwundert, woher der schier wahnsinnige Haß der Gespensterseher auf den Feschisten eigentlich stammt. Wäre es nicht viel kräftesparender, ihn so schnell wie möglich in den Betrieb zu integrieren? Schließlich reden auch alle übrigen Politiker dem Volk nach dem Mund, versuchen auch alle übrigen Politiker, modern und fesch zu sein, eine gute Figur zu machen und interessante, medienwirksame private "Aktivitäten" vorzuzeigen.

Natürlich gelingt ihnen das selten so gut wie dem Feschisten, aber rührt ihr Haß deshalb nur aus dem puren Neid? Offenbar nicht. Offenbar geht es um tiefergreifende, existentiellere Dinge. Die etablierten Politiker empfinden das so sichtbare Gelingen der Synthese aus Volkstümlichkeit und Modernität im Feschismus als Menetekel, das sie mit Entsetzen erfüllt, weil es das Ende aller etablierten Politik ankündigt.

Diese Politik zielt nicht auf Demokratie, Volksherrschaft, sondern auf Quantokratie, Herrschaft der großen Zahl. Das Volk, den Demos, gibt es nach Auffassung der etablierten Politiker gar nicht, es gibt nur eine Masse von einzelnen, deren Willen es unmittelbar an das Herrschaftsinteresse der Politiker anzuschließen gilt, mit größtem manipulativen Aufwand und unter Umgehung jeglichen Allgemeininteresses. Allenfalls noch der Wille der "gesamten Menschheit" wird als "Allgemeininteresse" zugelassen, eine völlig konturlose, diffuse Größe, die zu bestimmen die Politiker und die mit ihnen verbündeten "Kulturträger" als Privileg für sich in Anspruch nehmen.

Feschismus und Populismus sind die Gegenspieler zu dieser abstrakten, qualitätslosen Richtung, wobei der Feschismus die besseren Karten hat. Den Populismus konnten die Politiker noch als "dumpfes Stammtischgelaber" abtun, als "ewig gestriges", vormodernes Ressentiment. Beim Feschismus geht das nicht mehr, aus den soeben beschriebenen Gründen. Der Feschismus ist den etablierten Politikern an Modernität überlegen, eben weil er fesch ist: medienwirksam und medienerfahren, sportlich und belastbar, im Internet ebenso zu Hause wie auf der heimatlichen Alm.

Bei seinem Anblick regt sich nicht zuletzt bei jungen, zukunftsfreudigen Leuten der Verdacht, daß es mit der bisherigen Moderne, wie sie die etablierten Politiker und ihre medialen Wasserträger verkörpern, nicht allzuweit her ist. Daß eine durchaus andere, farbigere, differenziertere, effektivere und gleichzeitig gemütvollere Modernität denkbar ist, eine Modernität zudem, die endlich mit der Demokratie ernst macht, indem sie dem Demos die Ehre erweist, ihn als Quellgrund und Rechtfertigung aller politischen Herrschaft respektiert und erkundet, statt ihn als geborenen Menschenfresser zu verketzern.

Hat der Feschismus eine reelle Chance, aus dem Gespensterstadium herauszutreten und handfeste nationale und europäische Politik zu machen? Die ungeheuren Rankünen und "Maßnahmen", die gegen ihn mobilisiert werden, zeigen, wie ungleich die Mittel verteilt sind, wie stark die Gegner sind und wie blindlings sie zuschlagen. Indes, Feschheit kann sich auch mit Langstreckenlauf verbinden, mit Marathonlauf, sie kommt nicht so schnell außer Atem und hat schon manchen Etablierten alt aussehen lassen.


 
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