© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/00 31. März 2000

 
Stasi im Westen: Günter Bohnsack über die Hauptabteilung Aufklärung des MfS
"Gezielt in die Medien eindringen"
Frank Zappe / Moritz Schwarz

Herr Bohnsack, im Gegensatz zu den meisten ehemaligen Stasi-Mitarbeitern sprechen Sie heute über Ihre damalige Tätigkeit und sind deshalb in den Medien gefragt. Im Moment wartet draußen Spiegel TV auf sie. Wieso reden Sie, während so viele schweigen?

Bohnsack: Ja, ich bin einer von etwa zwanzig von den dreieinhalbtausend HVA-Mitarbeitern, die heute sprechen. Wir wollen klarmachen, daß die HVA und der BND eigentlich das gleiche waren. Zwar wurden deshalb die Verfahren gegen uns eingestellt und Markus Wolf nie rechtskräftig verurteilt, dennoch werden wir immer noch im öffentlichen Bewußtsein dem Mielke zugeordnet. Die übrigen HVAler nehmen uns das Reden aber ernsthaft übel, denn wir verstoßen gegen die Regel "Niemals reden mit dem Feind, ein HVA-Aufklärer schweigt bis ins Grab".

In den nächsten Wochen sollen Kopien der 1990 von der CIA in die USA verschleppten Stasi-Akten an Deutschland zurückgegeben werden. Erwarten Sie spektakuläre Enthüllungen?

Bohnsack: Nein. Ein paar kleine Fische vielleicht. Nichts Brisantes.

Wie sahen Ihre Aufgaben bei der HVA aus? Haben Sie Ihre Konzepte am grünen Tisch entwickelt?

Bohnsack: Das ist richtig. Ich konnte ja nie selbst nach Westdeutschland fahren. Keiner von uns wußte, wie es in unserem "Hauptoperationsgebiet" aussah. In den siebziger Jahren konnten wir dann in die Schweiz, Österreich, Schweden, etc. fahren.

Sind Sie mit Diplomatenpaß gereist?

Bohnsack: Nach Wien fuhr ich mit Diplomatenpaß. Der österreichische Zoll kannte mich schon und hat mich durchgewinkt. Nur der DDR-Zoll hat mich immer auseinander genommen und meinem Paß nicht so richtig getraut.

Welche Abteilungen der Staatssicherheit waren im Westen tätig?

Bohnsack: Den Hut hatte die HVA auf. Es gab auch Ambitionen der Hauptabteilung II, Spionageabwehr, den Westen selbst abzudecken. Und noch ein paar andere Arbeitsgruppen, die drüben ihr Unwesen getrieben haben unter Mielke-Führung. 95 Prozent aber kamen aus dem Hause Wolf.

Wie sah das aus?

Bohnsack: Es gab genaue Strukturen.Jede Abteilung hatte ihr Ressort. Die Abteilung X war für die Medien zuständig. Wir sollten dort gezielt eindringen, Informationen sammeln und zum Beispiel Einfluß nehmen auf politische Entwicklungen in der Bundesrepublik. Also einfach gesagt, wir sollten Journalisten werben, die Einfluß hatten in den Medien, die Affären auslösen konnten.

Oder die DDR in einem guten Licht erscheinen lassen.

Bohnsack: Ja, das auch. Wir waren bestrebt, in die westdeutsche Politik einzugreifen, zum Beispiel die Anerkennung der DDR und die Ostverträge durchzusetzen.

Hatten Sie einen großen "Fisch" an der Angel?

Bohnsack: Für William Borm von der FDP habe ich im Auftrag von Wolf die Reden und Artikel verfaßt. Ich war erst Mitte Zwanzig und habe für den alten Herrn der großen Politik die Manuskripte geschrieben. Es war faszinierend, plötzlich im Bundestag meine Sachen zu hören.

Wie sind Sie an Borm herangekommen?

Bohnsack: Der wurde im Gefängnis angeworben, der hat ja hier eingesessen. Was in dessen Kopf vorgegangen ist, kann ich nicht sagen. Er hat die Ostverträge mit durchgebracht. Irgendwie glaubte er, die Mission zu haben, das für Markus Wolf tun zu müssen, der hat den irgendwie geliebt. Die Bewegung "Generäle für den Frieden" nach dem NATO-Doppelbeschluß war auch von mir. Wir haben unseren Agenten Professor Gerhard Kade, der Friedensforscher, bei uns IM "Super", zu pensionierten Generälen in ganz Westeuropa geschickt, um sie für diese Bewegung zu gewinnen. Von uns bezahlt, sind dann die ganzen Publikationen gegen den Nato-Doppelbeschluß veröffentlicht worden.

Ahnten die Generäle, wer die Fäden zog?

Bohnsack: Nein, die wurden mißbraucht.

Alles naive Militärs?

Bohnsack: Ein holländischer General hat gesagt: Ist mir doch egal, woher das Geld kommt.

Welchen Einfluß hatte die HVA sonst noch in der Friedensbewegung?

Bohnsack: Die Friedensbewegung war sehr wichtig für unsere Seite. Die wurde für unsere Konzeption eingespannt, Losungen wurden vorgegeben. Wir haben viele Gruppen, wie "Ärzte gegen den Atomtod" usw. unterstützt, mit Geld und Material. Die Aktion "Nordlicht" ist auch auf meinem Schreibtisch entstanden. Es ging darum, in Helsinki 1975 bei der KSZE die Körbe 1 und 2, also Grenzanerkennung, Nichteinmischung usw. wichtig zu machen, denn Korb 3, Menschenrechte, war für uns unangenehm. Die Friedensgruppen sollten Druck auf die westlichen Parlamente und Regierungen machen.

Hat Ihre Abteilung auch Personen direkt angegriffen?

Bohnsack: Wir haben versucht, Rainer Barzel über sein Privatleben zu demontieren.Wir haben zum Beispiel ein gefälschtes Ullsteinbuch in Umlauf gebracht: Er wurde als moralisch verkommen, homosexuell usw. hingestellt.

War auch die SPD für Sie Gegenstand von Operationen?

Bohnsack: Die Leute, die dort als rechts galten. Aber der SPD haben wir nicht wirklich geschadet.

Hat die Stasi auch an den Hochschulen operiert?

Bohnsack: Ja. Markus Wolf sagte, da müssen wir ’ran: Einerseits linke Kräfte, andererseits die Eliten von morgen. Aber auch an die Professoren haben wir uns herangemacht.

Kann man sagen, die Stasi hat in der Bundesrepublik mitregiert?

Bohnsack: Würde ich sagen. Bestimmte Beschlüsse im Vorfeld lenken, und ähnliches. Markus Wolf versucht heute allerdings, das etwas herunterzuspielen.

Ist es richtig, daß es für die DDR kein einziges Geheimnis in der Bundesrepublik gab, wie der Stasi-Experte Dr. Schlomann gegenüber der JUNGEN FREIHEIT äußerte?

Bohnsack: Ich habe mich immer bei der Auswertungsabteilung informiert. Ich war jedesmal total baff, was die alles wußten.

Die Warner vor dem kommunistischen Einfluß wurden seinerzeit als vertrottelte Kalte Krieger dargestellt.

Bohnsack: Dabei hatten die vollkommen recht. Gerhard Löwenthal hat seine Sendung beim ZDF verloren. Journalisten, die in unserem Sinne gearbeitet haben oder auf uns hereingefallen sind, sind auch jetzt noch alle in ihren Positionen.

Haben nicht viele Westdeutsche in diesem Zusammenhang etwas zu bekennen, zu entschuldigen?

Bohnsack: Das würde ich sagen.

Befällt Sie heute manchmal ein moralischer Zweifel wegen Ihrer früheren Arbeit ?

Bohnsack: Manches ist mir heute unangenehm. Filbinger und Löwenthal, gegen beide sind wir damals vorgegangen, habe ich inzwischen aufgesucht und habe ihnen erzählt, was alles von unserer Seite gegen sie inszeniert wurde.Wir haben uns dann, sozusagen über die Schützengräben hinweg, die Hand gereicht. Mit einem treffe ich mich gelegentlich, zum Beispiel jetzt wieder in Berlin. Da sitzen wir dann bei Rotwein und pflegen schmunzelnd den Ost-West Dialog.

 

Günter Bohnsack geboren 1939 in Berlin, studierte Journalismus an der Karl-Marx-Universität zu Leipzig. 1964 beendete er seine Tätigkeit als Chefredakteur der "Neuen Oranienburger Zei-tung" und trat der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA), dem Auslands-geheimdienst der DDR, bei. Dort war er bis zur Auflösung der HVA im März 1990 in der Abteilung X für psychologische Kriegführung und Desinformation im Bereich der Medien (Instrumen-talisierung der Medien) zuständig, zuletzt im Rang eines Oberstleutnant. Seitdem ist er als freischaffender Journalist tätig.

 

Veröffentlichungen: "Auftrag Irreführung. Wie die Stasi Politik im Westen machte" (Carlsen, Hamburg 1992); "Die Legende stirbt – Das Ende von Wolfs Geheimdienst" (Edition Ost, Berlin 1997)

 

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