© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/00 24. März 2000

 
Franz Walter / Tobias Dürr: Die Heimatlosigkeit der Macht
Auflösung der politischen Milieus
Alexander Schmidt

Schon vor einem Jahr bestätigten Meinungsforschungsinstitute den Trend, daß neben der Entideologisierung der Deutschen auch die Abnahme von festen Parteibindungen Kennzeichen für das 21. Jahrhundert sind. Auf die individualistische Formel gebracht, daß derjenige, der den maximalen persönlichen Gewinn verspricht, auch gewählt wird, hat sich eine Medienpolitik etabliert, die einen Gerhard Schröder zum Star werden und Parteien ohne Programmatik in Landtage einrücken ließ. Die Schnäppchenjagd wurde auch im Politischen zum Lebensprinzip.

"Der gute Politiker von heute ist anpassungsfähig", schreiben Tobias Dürr und Franz Walter in dem gerade erschienenen Buch "Die Heimatlosigkeit der Macht", einer gelungenen Analyse über die Krise unserer Parteien. Der Politikwissenschaftler Walter und Zeit-Redakteur Tobias Dürr umreißen die Geschichte der im Bundestag vertretenen Parteien und kommen zu dem Ergebnis, daß sich durch eine überstürzte Modernisierung die Parteien sich des eigenen Fundamentes berauben.

Exemplarisch ist die FDP, die noch in den Anfangsjahren der Bundesrepublik fest nationalliberal verwurzelt war und in Hessen bis zu 30 Prozent erreichte. Das plötzliche Öffnen nach allen Seiten in der Hoffnung auf neue Wähler führte zu einer Unglaubwürdigkeit, die die Liberalen bis heute nicht überwunden haben. Entsprechend rechtsliberal akzentuierte Parteien wie die niederländische "Volkspartei für Freiheit und Demokratie" und Haiders "Freiheitliche" führen die Autoren als erfolgreiche Gegenbeispiele an. Ähnliches wird auch den Grünen als "museale Erinnerungsgemeinschaft" attestiert, denen als Partei einer bestimmten Generation die politische Heimat fehlt.

Mitten in diesem Ablösungsprozeß stecken auch die Sozialdemokraten und Christdemokraten, die durch ihren Anspruch als Volksparteien nicht mehr nur ihre eigene Klientel ansprechen können und mit der damit einhergehenden Erneuerung sich mehr und mehr "aus ihrem eigenen Hafen entfernen".

Daß die Union in ihrem Prozeß der Urbanisierung, dem Abschied aus der Provinz bisher weniger Stammwähler verlor als die Sozialdemokraten, liegt daran, daß in der Partei der Christdemokraten schon in der Zentrumszeit die gemeinsame Bindung von unterschiedlichen Gesellschaftsschichten durch den Mantel des Katholizismus vollzogen werden konnte. Dieser Mantel wurde aber mit der Modernisierung als Volkspartei abgelegt; gesellschaftliche Veränderungen, die zur Auflösung des konservativen Milieus in den fünfziger Jahren führte, spielen mit in die Entwicklung ein.

Heute leben die überzeugten Anhänger der beiden Parteien fast ausschließlich von den Fundamenten- der sozialistische Gründungsmythos auf der halblinken, das Christentum mit Übervater Kohl als Bindungsglied auf der halbrechten Seite. Und dazwischen eine große Mitte, in der beide Stimmen sammeln wollen und sich mehr und mehr von ihren eigenen Positionen entfernen.

Daraus hervorstechen nur die CSU und PDS, die als Heimatparteien fest in den Mentalitäten der Bayern oder Mitteldeutschen verankert sind. Die CSU hat die Modernisierung nur deshalb bisher unbeschadet verkraftet, weil sie die "Deutungshoheit" über das, was bayrisch ist, besitzt. Die PDS wurde, trotz aller Äußerungen, die weit außerhalb des Verfassungsbogens lagen, zu der Partei, die das Lebensgefühl und die Gemeinschaft "der da drüben" verkörpert. Daran wird keine Westpartei in absehbarer Zeit etwas ändern können.

Erst wenn die Volksparteien erkennen, daß Menschen in der Zeit des Wandels, in dem wir begriffen sind, unbewußt Halt an traditierten Orientierungen suchen, können die Auflösungserscheinungen auch nur verlangsamt, aber nicht mehr behoben werden. Der konservative Sozialphilosoph Arnold Gehlen sprach einst von der "Innenstabilisierung des Menschen durch Institutionen." Alexander Schmidt

 

Franz Walter und Tobias Dürr: Die Heimatlosigkeit der Macht. Wie Politik in Deutschland ihren Boden verlor, Alexander Fest Verlag, Berlin 2000, 274 Seiten, geb., 40 DM

 

Alexander Schmidt studiert Politikwissenschaft und Geschichte in Bonn.


 
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