© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/00 24. März 2000

 
Theodor Eschenburg: Letztes Endes meine ich doch. Erinnerungen
Ein großer Erzähler
Klaus Hornung

Theodor Eschenburg war ein Erzähler von Graden, ein Darsteller von Menschen und Situationen von Rang. In seinem politischen Urteil scherte ihn keine Ideengeschichte, keine Philosophie oder gar die kritische Theorie Frankfurter Provenienz. An der Schilderung von Personen und Situationen entfaltete er "induktiv" die Probleme und die möglichen Urteile. Wir genossen das natürlich als Studenten und lernten daraus. Seine "Kolloquien zu politischen Tagesfragen" zum Beispiel waren zumeist amüsant und interessant zugleich, und ich habe diese Art von Lehrveranstaltung lange Zeit fortgeführt.

Nun liegt also der zweite Band seiner Erinnerungen vor, die Geschichte eines Jahrhunderts im Spiegel eines herausragenden Temperaments. Wer hat im 20. Jahrhundert so vieles erlebt und so viele Menschen gekannt! Der 22jährige kannte schon Gustav Stresemann, diesen Weimarer Vernunftrepublikaner, mit dem den Marineoffiziers-Sohn aus Kiel viel verband. Sicher, Eschenburg war nie von Selbststilisierung frei, aber diese Fähigkeit ist nun einmal eine Voraussetzung, viele interessante Menschen kennenzulernen und in der Politik zu reüssieren. So reicht der Bogen vom Beginn des Dritten Reiches, dem die damalige Berliner bürgerliche Gesellschaft nur eine kurze Dauer geben wollte (die abwiegelnde Darstellung seiner Mitgliedschaft in der "schwarzen" SS wollen wir dem Erzähler lassen) über das Überleben in der Diktatur und als Geschäftsführer in der Kurzwarenbranche bis zum Neuanfang des gerade Vierzigjährigen als Flüchtlingskommissar des Landes Südwürttemberg-Hohenzollern unter der Protektion des großen Causeurs Carlo Schmid.

Ausführlich wird die Entstehung des "Südweststaates", des heutigen Baden-Württemberg geschildert, und wieder sind viele Menschen um Eschenburg: Gebhard Müller, Reinhold Maier, später Konrad Adenauer, der offensichtlich die Erfahrung und Urteilskraft des Hanseaten schätzte, obwohl beide doch sehr unterschiedliche Charaktere waren. Und dann kommt die große Zeit als Tübinger Professor, als Publizist bei der Zeit, als Rektor auch in der Zeit der Studentenbewegung. Die Porträts der Tübinger Kollegen Eduard Spranger oder Hans Rothfels sind Kabinettsstücke eines klugen Beobachters. Gelungen ist auch das Bild Helmut Schmidts und seiner "Politik gegen den Zeitgeist". Das konservative Metall im Liberalen Eschenburg kommt dazu mit seinen Urteilen etwa über die Parteien, deren Zustand er als "nicht sehr weit von der Zersetzung" charakterisiert, verbunden mit der "Ausbreitung des Partizipationsgedankens" als "Element der Unberechenbarkeit, ja der Unregierbarkeit" in der Politik. Seine Hauptsorge gelte dem "antistaatlichen Schub", bekennt der Autor gegen Schluß. Den Beginn davon setzt er nicht erst auf das Jahr 1968 an, sondern schon auf 1945. Möge der im Vorjahr verstorbene Praeceptor Germaniae auch an diesem Punkt gehört werden!

 

Theodor Eschenburg: Letzten Endes meine ich doch. Erinnerungen 1933–1999. Siedler Verlag, Berlin 1999, 284 Seiten, geb., 39,90 DM

 

Prof. Dr. Klaus Hornung lehrte Politikwissenschaft an der Universität Stuttgart-Hohenheim.


 
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