© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/00 24. März 2000

 
Der ökologische Partisan
von Reinhard Falter

ine Reihe von Umweltgruppen, darunter ein Zusammenschluß von Umweltjournalisten, die sich im "Institut für Ökologie Marburg" zusammenschlossen, hat einen Aufruf "Gegen die Agenda 21! – für eine unabhängige politische Bewegung" formuliert. Die Agenda wurde auf der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro als umweltpolitischer Maßnahmenkatalog für das 21. Jahrhundert beschlossen.

In dem Aufruf wird die Agenda 21 als Teil einer Beschwichtigungs- und Einbindungsstrategie der am Weiterlaufen der Naturausbeutung interessierten Mächtigen beschrieben.

Der Aufruf ist ganz in der Diktion linker Systemkritik des späten 20. Jahrhunderts verfaßt und hat damit etwas hoffnungslos Gestriges. Er hat dennoch etwas Berechtigtes: Richtig ist, daß die Agenda einen Feigenblattcharakter hat. Daß sie Umdenken im Privatbereich an die Stelle von Strukturänderungen in Wirtschaft und Politik setzt. Diese Kritik mußte allerdings schon am Begriff der Nachhaltigkeit selbst ansetzen. Die Definition der Umweltkonferenz von Rio, die Nachhaltigkeit als Ressourcenschonung bei gleichzeitiger umfassender Bedürfnisbefriedigung aller Erdenbürger versteht, beruht auf gutwilliger Blauäugigkeit. Sie berücksichtigt nicht, daß menschlische Bedürfnisse prinzipiell maßlos sind, und folglich auch nicht Maß sein können. Sie berücksichtigt ferner nicht, daß schon bei der heutigen Bevölkerungsmenge, Gerechtigkeit auf einem Niveau, das die Mehrheit der heute Lebenden akzeptieren wollte, nicht ohne Einschränkungen der Lebensqualität und der Verfügungsspielräume der nächsten Generation möglich ist. Dies gilt sowohl für die umweltschützerischen als auch die naturschützerischen Auswirkungen. Schon der heutige Konsum übersteigt das Naturkapital, das die Natur langfristig reproduzieren kann, um 30 Prozent.

Es ist eine berechtigte Frage, ob mit solchen Verschleierungsideologien nicht der ganze Ansatz des angeblich globalen Denkens verabschiedet werden sollte. Die Vorstellung, eine globale Planung sei möglich, ist in gewisser Weise immer schon Ausdruck von Hybris. Dieses beginnt nicht erst mit der Vorstellung, der Mensch könne vom Glied der Biosphäre zu ihrem Manager werden, die viel gefährlicher ist als alle ungeplante Zerstörung zusammen. Die Forderung globalen Denkens, d. h. des Heraustretens des Menschen aus der Dimension von Natur, die ihm wahrnehmbar ist, in eine Dimension, die nur noch konstruierbar und rechenbar ist, führt ja zwangsläufig zu einer Überbetonung von Theorien gegenüber Beobachtungen. Das wirkt auf Alltagsleben zurück: Heute verzichten Menschen, wenn überhaupt, eher aufs Auto wegen medial präsentierter Horrorszenarien über erblindete Schafe in Neuseeland und Abschmelzen der Polkappen, als wegen des wahrnehmbaren Gestanks. Es ist für Naturschützer verführerisch, auf diesen Zug aufzuspringen und als Public-Relation-Gesellschaft mit angeschlossener Aktionsabteilung zu agieren, wie das Greenpeace tut, aber mittelfristig vernichtet der Naturschutz damit seine eigenen Grundlagen. Anstelle der ideologischen Floskel "Nachhaltigkeit" muß der Zentralbegriff des Natur- und Umweltschutzes die "Reversibilität" sein, alles, was der Mensch nicht wieder rückgängig machen kann, übersteigt das ethisch ohne weiteres Vertretbare und bedarf zumindest einer besonderen Begründung.

Richtig ist ferner, daß die Agenda zu einem Konsensdenken verführt und einen Zwang zur Konsensfähigkeit beinhaltet. Die Wir-sitzen-alle-in-einem-Boot-Rhetorik hat etwas Bewußtseinsvernebelndes. Wir sind in unterschiedlicher Weise Nutznießer der Naturausbeutung und in unterschiedlichem Maß vom Weiterlaufen der Megamaschine existentiell abhängig.

Auch hier müßte die Kritik aber grundsätzlicher angelegt werden. Denn auch das Demokratieprinzip verführt dazu, nicht zu realisieren, daß die breite Mehrheit Nutznießer des ökologischen Overkill ist.

Gerade hierin hat sich die Entgegensetzung von Ausgebeuteten und Ausbeutern überlebt. Der Portier unterscheidet sich vom Aufsichtsratsvorsitzenden nicht mehr prinzipiell. Auch letzterer ist nicht persönlich verantwortlicher Eigentümer, sondern Funktionär, Rädchen im Getriebe, das (wenn auch mit horrender Abfindung) entlassen wird, wenn er nicht mehr im Sinn der Gewinnmaximierung funktioniert.

Bürgerbeteiligung ist deshalb keine Garantie für ökologische Vernunft. Wir brauchen nur an den Bürgerentscheid zum Mittleren Ring in München denken. Die Mehrheit will nur die Naturausbeutung nicht am eigenen Leibe spüren, profitieren will sie davon schon.

Es gibt kein Zurück zur Ökobewegung der achtzigerer Jahre und ihren Illusionen. Dennoch tut eine Neubesinnung des Verhältnisses von Bewußtseinsbildung und den Möglichkeiten, politischen Druck zu entfalten, not. Die Agenda-Kritiker betonen, daß es um Wiedererlangung der Aktionsfähigkeit gehe. Dabei nennen sie Boykott, direkte Aktion, Widerstand und Öffentlichkeitsarbeit in einem Atemzug. Gerade da müßte aber unterschieden werden, was wirkt direkt und was nur über die veröffentlichte Meinung. Sonst gibt man sich Illusionen hin. Die Grenze zwischen symbolischer und direkter Aktion ist auch in der Geschichte der gewaltfreien Aktion nie wirklich durchgreifend reflektiert worden.

Die Agendaarbeit ist dann sinnvoll, wenn sie Anerkennung, Medieninteresse und materielle Ressourcen verschafft, sich die darin arbeitenden Menschen aber des instrumentellen Charakters und seiner Grenzen bewußt sind, d. h. wenn sie sich bewußt sind, daß es um eine Partisanenstrategie geht.

Wer im Sinn des modischen "Ökooptimismus" Katalysator und Umgehungsstraßen, Lärmschutzwälle und Flughafenbegleitgrün, regenerative Energien und Mülltrennung als Fortschritte betrachten will, zeigt, daß er für das eigentlich Zerstörte keinen Blick hat. Der Lärmschutzwall macht die landschaftszerschneidende Wirkung der Autobahn erst komplett, die Umgehungsstraße zerstört das bisher verschont Gebliebene, die angeblich regenerative Wasserkraft verbraucht Landschaft und Mülltrennen gehört zu den Ritualen des ökologischen Ablaßhandels, der das Bewußtsein für die Dimension schwächt, in denen unser Lebensstil unverantwortlich ist.

Dieser Ablaßhandel, dem der "Ökooptimismus" als Ideologie entspricht, verspricht sich breitere Anhängerschaft aus der Situation, daß apokalyptische Grundhaltung sich nicht beliebig lang durchhalten läßt und daß überdies die Art des ecological decline nicht katastrophisch und damit nicht dem apokalyptischen Muster entsprechend ist.

Bedroht ist nicht das Überleben, sondern das gute Leben. Das ist eine qualitative Kategorie, die ihren Gegenpol – den Tod – mit einschließt und die sich nicht in Risiken messen läßt. Der Tod ist der Preis des Lebens und nicht ein "Risiko". Daß wir ihn nicht bezahlen wollen, ist der eigentliche Bruch des "Vertrags" mit der Natur, von der wir unser Leben geliehen haben. Solang es hier kein Umdenken gibt, werden sich die Verfechter der nächsten Welle der Denaturierung – die Gentechnik – immer auf angebliche Humanität berufen können. Sie argumentieren damit, daß es human sei, abgelaufene Lebensuhren noch etwas zu betreiben, aber wirkliche Humanität heißt, anzuerkennen, daß der Mensch sterblich ist und daß gelungenes Leben sich nicht quantifizieren läßt. Bedroht ist die Menschlichkeit, nicht die Menschheit.

Die Bedrohung des guten Lebens ist gegenüber der des Überlebens keineswegs die kleinere. Für den naturverbundenen Menschen ist die eigentliche Drohung nicht das mögliche Erlöschen der Menschheit. Wenn dies dem Gang der Natur entspräche, könnte er damit einverstanden sein, denn er begreift die Menschheit als endliches und tragisches Projekt. Vielmehr trifft ihn existentiell, daß dieser Untergang der Natur aufgezwungen scheint. Nicht Gaia speit zürnend den Menschen aus, sie will ihn vielmehr wie ein mißratenes und doch geliebtes Kind halten, aber er spielt mit Atombomben, FCKW-Verbindungen, und das ökologische Problem besteht nicht darin, daß das "Weiter so" gefährdet wäre, sondern das es gefährlich ist.

Die richtig verstandene Ökologiedebatte ist deshalb keine über ein Versagen der Natur, deren Kreisläufe technisch gestützt werden müßten, sondern über die Beendbarkeit des Projekts Moderne. Worauf es ankommt, ist die Überführung der Ökologiedebatte aus einem gesättigten Diskurs in einen Strang einer umfassenden Debatte über die Sackgasse der Moderne. Damit verbunden dürfte der Wechsel ihrer politischen Verortung sein.

Das Projekt Moderne ist am Ende, jedenfalls insofern es gekennzeichnet ist durch die Koppelung von Glücksversprechen und Funktionalismus. Die Wirtschaftsfunktionäre und ihre politischen Erfüllungsgehilfen von Fischer bis Stoiber möchten den Funktionalismus ohne zwingendes Glücksversprechen für die Mehrheit weiterführen. Dies muß, wenn es gelingt, notwendig zum Ende der Mehrheitsbasierung führen, es sei denn, es gelänge in unbekanntem Ausmaß die mediale Steuerung der Massen.

Es ist heute nicht möglich, die wirklichen Dimensionen der Krise auch nur zu benennen und die gesellschaftlichen Notwendigkeiten zur Wiedergewinnung des Humanen auch nur öffentlich deutlich zu formulieren. Den Kräften der als "Aufklärung" firmierenden Zerstörung ist es gelungen, fast alles als faschistisch totalitär etc. zu besetzen, was nötig wäre, um mit der Vergottung des aufgabenlosen Individuums und seinen gesellschaftlichen Formen wie Interessendemokratie, Diktat des Kapitals, etc. Schluß zu machen.

Es kann unter diesen Bedingungen keinen öffentlichen Diskurs über die wirklichen Frontverläufe der politischen Auseinandersetzung geben. Für eine offene Auseinandersetzung fehlt die soziale Basis eines Bildungsbürgertums, das nicht in dem Maß von der Megamaschine wirtschaftlich abhängig und selbst in maschinenhafte Arbeits- und hedonistische Freizeitexistenz gespalten war, wie es auch die engagierten und meinungsführenden Kreise der Dienstleistungsgesellschaft sind. Deshalb bedarf es anderer Formen des Aufbaus einer Partisanenstrategie als den öffentlichen Disput. Wie die Bedrohung der Menschlichkeit ist auch die Langfristigkeit einer Perspektive, die zum Aufbau von Gegenmacht führt, ohne Beispiel oder vielleicht nur mit der Arbeiterbewegung zu vergleichen. Anders als diese muß die Formierung einer neuen Ökologiebewegung auch ohne "Ökologengesetze" im Untergrund verlaufen.

 

Reinhard Falter engagiert sich im Umwelt- und Naturschutz. Er lebt in München.


 
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