© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/00 24. März 2000

 
Jugendliteratur: Joanne Rowlings "Harry Potter"-Romane
Auf der Zauberschule
Ulrich Kriehn

Schulgeschichten sind in der Kinder- und Jugendliteratur weit verbreitet, und immer wieder tauchen die gleichen Motive auf. Es finden sich Freunde, das Mauerblümchen mausert sich nach mühseligen Zeiten zur Klassenschönheit, die Hierarchie im Internat wird umgekehrt, Lehrer sind entweder Witzfiguren oder besonders einfühlsame Erzieher – all das findet sich in den "Harry Potter"-Büchern der schottischen Schriftstellerin Joanne K. Rawlings ebenfalls. Aber nicht nur dies, offenbar ist die Erzählerin gut bewandert in der englischen Jugendliteratur und vor allem ließ sie sich von C.S. Lewis "Narnia"-Märchen nachhaltig inspirieren.

Denn die Verbindung von Phantastik und Märchenmotiven mit realen Vorgängen wurde von Lewis, dem sprachgewaltigen Literaturwissenschaftler, Erzähler und Philosophen genial vorexerziert, und ähnliches vollzieht sich bei Joanne K. Rawlings. Der Hintergrund ist einfach strukturiert: Harry Potter ist ein 11jähriger, ungeliebter und schlecht behandelter Pflegesohn einer reichen Spießbürgerfamilie, die mit bissiger, aber nicht verletzender Ironie geschildert wird. Seine Eltern sollen – so die offizielle Version – bei einem Verkehrsunfall umgekommensein- und deshalb nahm ihn die Schwester seiner Mutter widerwillig als Baby auf. Harry, der eine freudlose Kindheit verbringt – er muß im Schrank schlafen – bekommt zum 11. Geburtstag eine Menge rätselhafter Briefe, die seine Pflegeeltern in Schrecken versetzen, und einen noch rätselhafteren Besuch, der ihm offenbart, daß er kein normaler Mensch – die werden im Buch die "Muggel" genannt – ist, sondern ein Zauberer und Kind eines Zauberers, dessen Eltern im Kampf gegen eine böse Macht, deren Namen nicht ausgesprochen werden darf, umgekommen sind, wobei er seltsamerweise den Angriff des Bösen überlebte.

Und so kommt zum Entsetzen seiner Pflegeeltern Harry auf die Schule für Zauberei, um ebenfalls ein großer Zauberer zu werden, denn alle Zauberer setzen ihre Hoffnung auf ihn....Was sich dann an vielfältigen Einfällen, witzig skizzierten Figuren und düsterer Spannung unter Joanne Rawlings flüssigem Schreibstil entfaltet, ist hinreißend, begeisternd, und verbindet neben der spöttischen Schilderung des englischen Internatswesens und der psychologisch guten Beschreibung der Schulgemeinschaft – es geht bei den Zauberern auch nicht viel anders zu als bei den Menschen – eine gekonnt sich steigernde Spannungskurve, bis Harry Potter in der Schule nochmals direkt auf den Bösen trifft, der den Tod seiner Eltern verursachte.

Sympathisch, wie die Autorin aus den bekannten Mustern eine wirklich neue Geschichte entwickelt, und vor allem verfällt sie nicht in den zur Zeit beliebten Trend, alles in Strömen von Blut untergehenzulassen, etwas, das bei dem hochgelobten Schriftsteller Wolfgang Hohlbein die ursprünglich vorhandene Erzählkunst völlig ruiniert hat. Mit scharfer Präzision schildert sie die unterschiedlichsten Lehrerfiguren an der Zaubererschule, nimmt lächelnd manch esoterischen Unfug aufs Korn, und verliert neben dem ausschmückenden Beiwerk (die Zaubererkinder sind ganz scharf auf die besten Hexenbesen und die billigsten heißen Zauberwisch, die besten Nimbus 2000, der Übersetzer hat sich offenbar phänomenal gut in Rawlings Schreib- und Denkweise hineingearbeitet) nie die klassische Linie des Kampfes zwischen Gut und Böse, wobei ohne es beim Namen zu nennen religiöse Motive verschlüsselt auftreten. Wer hier etwa mit einer religionswissenschaftlichen Sichtweise herangeht, findet das unscheinbare und verachtete Kind, das mächtiger als das Böse ist, findet die Opfertat, um Leben zu retten, und dies in immer neuen Varianten. Denn die Autorin hat bis jetzt drei "Harry Potter"-Bände vorgelegt, und sie werden nicht langweilig, da ist nichts ausgereizt, sondern immer neue Erlebnisse und Gefahren warten auf den Protagonisten, der mit jedem Buch ein Jahr älter wird. Obwohl die Bücher sich zu Bestsellern entwickeln, man im Internet nun auch nach Harry Potter suchen und ihn auf seinen Abenteuern begleiten kann, wahrscheinlich auch bald ein allgemeiner Verkaufsrummel mit "Harry Potter"-Kulis, T-Shirts, Schreibblocks etc.einsetzen wird, liest sich der dritte Band genauso spannend und erhellend wie die vorhergegangenen Bücher. Das unterscheidet "Harry Potter" wohltuend von anderen Jugendbüchern, in denen eine usprünglich gute Idee irgendwann zu Tode geschrieben wird. Ulrich Kriehn

 

Joanne K. Rawlings: Harry Potter und der Stein der Weisen, Carlsen Verlag Hamburg 1997 /Harry Potter und die Kammer des Schreckens, 1998 / Harry Potter und der Gefangene von Askaban, 1999. Jedes Buch kostet 39,80 DM


 
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