© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/00 24. März 2000

 
Business-Theater: Große Konzerne auf dem "Bitterfelder Weg"
Trost für Frührentner
Richard Stoltz

Erinnert sich hierzulande noch jemand an den "Bitterfelder Weg"? Er wurde in den fünziger Jahren von der SED in der DDR propagiert und vorangetrieben. Schriftsteller sollten "in die Betriebe gehen", sollten "als aktive Mitglieder in die Brigaden eintreten", um dort Arbeit und Leben der Werktätigen hautnah zu erleben und zu packenden Dramen zu gestalten, welche dann – so hoffte man – auf die Produktionsprozesse zurückwirken würden, den Produktausstoß fördernd, die Brigademitglieder zur "verschworenen Gemeinschaft" zusammenschweißend.

Der Bitterfelder Weg wurde damals eine große Pleite. Soeben noch parteifromm gewesene Schreiber, wie zum Beispiel Franz Fühmann, mutierten unterm Anprall der tristen Arbeitswirklichkeit, die sie in den Betrieben erlebten, zu Parteifeinden; die Werktätigen ihrerseits empfanden die in die Brigaden implantierten "Bitterfelder" als Parteispitzel und Normentreiber und zeigten ihnen die kalte Schulter. Es kam zu schweren Spannungen, das Projekt wurde stillschweigend wieder begraben.

Nicht tief genug freilich, wie die Gegenwart 2000 zeigt. Unter dem Label "Business-Theater" rücken zur Zeit immer mehr Theatergruppen in die großen Konzerne ein, um dort innerbetriebliche Probleme zu studieren und zu "maßgeschneiderten" Theaterstücken zu verarbeiten, welche anschließend – genau wie einst die Werke der "Bitterfelder" – den Belegschaftsmitgliedern vorgespielt werden, um "Synergieeffekte" zu wecken, wie es heute heißt.

War es früher in der DDR die Betriebs-Parteileitung, mit der die Künstler, bevor sie einrückten, Strategie und Dramaturgie besprachen, so ist es heute das oberste Konzernmanagement von DaimlerChrysler, Coca-Cola Dtl., Bosch. Ging es früher in der DDR üblicherweise um das Aufmauern von unabgekühlten Brennöfen oder die ersatzteillose Reparatur von Mähdreschern, so geht es heute um Führungswechsel, "Freisetzung", Börsengang. Gegen all dies gibt es innerbetriebliche Widerstände, und das Business-Theater ist dazu da, solche Widerstände abzubauen, sie regelrecht wegzuspielen. Die Firmenleitungen geben viel Geld dafür aus; der Etat der Business-Theatergruppe Strobel ist bereits jetzt höher als der so manchen Stadttheaters.

Das Phänomen hat eine faszinierende und eine deprimierende, abstoßende Seite. Faszinierend und geradezu rührend erscheint der Glaube moderner Firmenleitungen an die soziale Kraft des Theaters; das gleicht ja fast dem Glauben der alten Griechen, die davon überzeugt waren, daß die Stücke ihrer großen Tragöden die eigentliche Wahrheit der Polis darstellten, denen die Wirklichkeit letzlich folgen müsse. Wo gibt es dergleichen denn sonst noch?

Kein Mensch geht doch mehr ins Stadttheater, um dort etwas über das zu erfahren, was uns bevorsteht. Nicht einmal die Nachahmung, die Mimesis, wird dort noch ernst genommen. Im Gezappel der Mimen drückt sich weder Zukunft noch soziale Wirklichkeit aus, sondern lediglich – bestenfalls – Protest gegen die Wirklichkeit, Angst vor der Zukunft, bloßes Aufbäumen der Körper, das manchmal zu schönen oder erschreckenden Bildern gerinnt.

Wenn das Business-Theater seinerseits so machtvoll agiert, daß der zuschauende "Umsetzer" über seinen bevorstehenden Gang in die Frührente regelrecht hinweggetröstet wird und sich aus höherer Einsicht mit seinem Schicksal einverstanden erklärt, so ist das zweifellos eine große Leistung, die man kaum noch für möglich gehalten hätte. Das Theater gewinnt wieder seinen alten Platz als "Erste Wirklichkeit", als Paradigma der Notwendigkeit.

Aber was für Notwendigkeiten sind es, für die es hier eingespannt wird? Die Notwendigkeit des Shareholdervalue, der Gewinnmaximierung, der puren quantitativen Ausweitung. Da zeigt sich die deprimierende Differenz zur klassischen Tragödie. Bei der ging es stets um alles oder nichts, will sagen: der tragische Held ging nicht unter, damit sich die Spießbürger ein Schaufenster mehr in ihren Käseladen einziehen konnten, sondern sein Untergang markierte den Untergang an sich, die Vergeblichkeit jeglicher Gewinnmaximierung.

So betrachtet, ist das Business-Theater der schiere Hohn auf jedes echte Theater, sei es nun Tragödie oder Komödie. Denn auch in der klassischen Komödie ging und geht es um alles oder nichts: der Tölpel ist immer voll für das Mißgeschick verantwortlich, in das er verstrickt wird, er verdient kein Mitleid, wie es dem Frührentner bei DaimlerChrysler doch zusteht. Dieser kann nie als reiner klassischer Tölpel posieren, es sei denn, man wolle ihn absichtlich verhöhnen, allen Synergie-Absichten zum Trotz.

In diesem Belang waren die Hervorbringungen des Bitterfelder Wegs dann doch theatergemäßer, "klassischer" als das moderne Business-Theater. Dort strampelten sich die Kumpel ab, verbrannten sich am Hochofen und kriegten dafür eine Aktivistennadel, aber es gab keinen Shareholder, der am Ende seinen Gewinn davon hatte. Die Partei hielt sich zwar für den Shareholder, aber sie bildete sich das nur ein, wie inzwischen jeder weiß.

Der von ihr angeleitete und in ihrem Auftrag von den "Bitterfeldern" dramatisierte Maximierungsprozeß war letztlich völlig vergeblich und für die Partei tödlich. Was als "Aufbruch in eine lichte Zukunft" inszeniert wurde, war in Wirklichkeit ein grausames Abbruchunternehmen, bei dem alle tragischen Helden letztenendes Tölpel waren.

Die besten "Bitterfelder" Stücke, zum Beispiel Heiner Müllers "Lohndrücker", zeigten das übrigens recht deutlich, ob nun freiwillig oder unfreiwillig. Sie rochen verdächtig nach Abbruch und schauerlicher Tragikomödie, und deshalb blies die Partei selbst das Unternehmen ab. Vielleicht wird auch das "Business-Theater" wieder abgeblasen.


 
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