© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/00 24. März 2000

 
Nutztierhaltung: Hegen und pflegen statt ausbeuten
Eier von gücklichen Hühnern
Martina Zippe

Straßennamen wie den "Hühnerweg" gibt es heute noch. Nur Hühner sind keine mehr anzutreffen. Diese fristen derweil ihr Dasein in Käfiganlagen der industriellen Massentierhaltung. In Düsseldorf gibt es aber eine Kindertagesstätte mit einem Jugendclub, wo die Hühner wiederkehren. Auf einem rund 100 Quadratmeter großen Gelände im Bereich des gemeindlichen Kindergartens der evangelischen Matthäi-Kirchengemeinde inmitten der besagten Großstadt grasen seit diesem Frühling zwei Meerschweinchen, drei Kaninchen und fünf Hühner.

Mit Begeisterung zimmerten seit letztem Herbst Eltern, Kinder und Jugendliche die Ställe für das Kleingetier, die an einer bisher ungenutzten Böschung liegen. Gemäß dem Motto der Aktion "Kaninchen statt Gameboy und Hühner statt Computer" wollen die Kinder Natur erleben als Kontrastprogramm zur technisierten Lebenswelt.

Die Kinder und Jugendlichen übernehmen gerne Verantwortung gegenüber richtigen Tieren. Sie wollen sich nicht nur mit elektronischen Ersatzhaustieren abspeisen lassen. Eine Modewelle brachten schließlich Computer-Tierchen, sogenannte Tamagotchis, die per Knopfdruck gefüttert werden und das spielerische Pflegebedürfnis der Kinder befriedigen sollen.

Nicht lange ist es hingegen her, daß Kinder noch wie selbstverständlich mit Nutztieren in Kontakt waren. In jeder Kleinstadt hielten viele Bürger für die Selbstversorgung kleine Nutztiere. Abends trafen sich die Jugendlichen mit ihren Gänsen am Teich und hatten viel Spaß zusammen. Diese unmittelbare Naturerfahrung, die zu einem erfüllten Leben gehört, fehlt den Kindern heute, und soll ihnen nun also auch inmitten der Großstadt wieder nahe gebracht werden. Die Kinder lernen auch, Respekt vor Tieren zu haben, so die Leiterin der Kindertagesstätte, Annette Lau, gegenüber der jungen freiheit.

Weitere Pioniere der Neubelebung von privater Hühnerhaltung sind die Kinder der Inselschule Wangerooge. Nachdem sich die Schüler im Religionsunterricht mit dem Leiden der Käfighühner auseinandergesetzt hatten, griffen sie das Problem der industriellen Massentierhaltung öffentlichkeitswirksam auf. Sie bauten 1997 anläßlich einer Jugendausstellung einen Käfig mit der Grundfläche von nur einem Quadratmeter auf. In diesen ließ sich der niedersächsische Landwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke (SPD), mittlerweile Bundeslandwirtschaftsminister, zusammen mit vier weiteren Personen einsperren, wodurch er – auf die Körpergröße umgerechnet – soviel Freiraum hatte wie ein Käfighuhn. Mit gutem Beispiel voran errichteten die Schüler auf dem Schulgelände einen Hühnerauslauf mit fünf Hühnern. Der Hühnerhof ist für die Schulkinder und ihre Eltern mittlerweile zu einem beliebten Treffpunkt geworden. Jedes Kind findet große Freude daran, jeweils eine Woche lang für alle Tiere verantwortlich zu sein.

Heute besteht eine starke Diskrepanz zwischen der abseits gelegenen tierquälerischen Massenhaltung von Nutztieren einerseits und der vielfach praktizierten Verzärtelung von Schoßtieren andererseits. Während noch vor wenigen Jahrzehnten unmittelbare Beziehungen zu den privaten Nutztieren bestanden, haben sich heute die Funktionen geteilt in ein seelenlos gehaltenes Industrienutztier und ein Schmusehaustier, das keine Rolle mehr für die Ernährung spielt. Würden die Beispiele der privaten Nutztierhaltung, wie die genannten Kinder sie geben, auch von Erwachsenen aufgegriffen werden, ließe sich diese Diskrepanz verringern – als Weg aus der Massentierhaltung und für ein befriedigenderes Leben aller Beteiligten.


 
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