© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/00 24. März 2000

 
Griechenland: Entschädigungsforderungen an Deutschland
Milliarden aus Berlin
Gregor M. Manousakis

Griechenland kann von sich sagen, daß es die Grauen der Besatzungszeit von 1940 bis 1944 am schnellsten von allen anderen europäischen Ländern vergessen hat. Schon Anfang der fünfziger Jahre kamen die ersten deutschen Touristen, und sie wurden fast überall ohne Ressentiments empfangen. Dies ist um so bemerkenswerter, weil die Besatzungszeit sehr schnell zum Politikum wurde: Griechenland und Westdeutschland traten der Nato bei. Vor allem die Kommunisten waren daher stets bemüht, die Erinnerung an die Besatzungszeit – als Mittel zur Bekämpfung der Allianz und des Westens überhaupt – wach zu halten. Der Erfolg war gering, und ein Beweis dafür sind nicht nur der Tourismus, sondern auch die vielen Griechen, die in Deutschland gearbeitet und studiert haben.

Der Schock, den die westlichen Nachbarn bei der Wiedervereinigung Deutschlands erlitten haben, fand in Hellas zunächst keinerlei Widerhall. Trotzdem wurde auch in Griechenland die Frage nach zusätzlicher deutscher Wiedergutmachung nach 1990 plötzlich aktuell. Dazu haben zwei Faktoren beigetragen: die Linke, die die Frage immer im Blick hatte und die neu eingeführten, gewählten Präfekten auf regionaler Ebene. Diese suchten nach stimmenträchtigen Themen und fanden sie in den Provinzen, die in der Besatzungszeit besonders hart betroffen waren. Die Aussicht auf Millionen von Mark für die Nachkommen der Opfer wurde als Mittel zum Stimmenfang genutzt. Sie legten den 2+4-Vertrag als Friedensvertrag aus, was zu einer Wiedergutmachungsklage beim Landgericht von Livadia, Mittelgriechenland, führte.

Die Regierung in Athen wurde von der Entwicklung überrascht. Ein tatsächliches Interesse an der Sache kann sie nicht haben, denn was auch immer die Wiedergutmachungsforderungen materiell einbringen mögen, sicher ist, daß der Schaden, den die griechisch-deutschen Beziehungen daraus erleiden werden, noch viel schwerer wiegen wird. Deshalb war die arrogante Reaktion der Bundesregierung kontraproduktiv. Das auswärtige Amt entgegnete nur, man werde nicht über weitere Reparationen an Griechenland sprechen. Stichhaltige Argumente wurden aber nicht vorgebracht. Die Folge war, daß das Landgericht von Livadia durch seinen Beschluß 137/1997 vom 30. Oktober 1997 Deutschland zur Leistung von Wiedergutmachung in Höhe von umgerechnet etwa 60 Millionen Mark an die Nachfahren der 218 Opfer, die am 10. Juni 1944 in Distomo – einer Kleinstadt in Mittelgriechenland – erschossen wurden, verurteilt hat. Die Gründe, warum die deutschen Besatzer so brutal gegen Distomo vorgingen, verschweigt die griechische Seite wohlweislich, denn sie waren zumindest genau so brutal.

Die Bundesregierung lehnte das Urteil, ohne es juristisch anzufechten, mit dem völkerrechtlich richtigen Argument ab, Bürger eines Staates können vor ihren Gerichten nicht einen anderen Staat verklagen.

Das Urteil von Livadia ist inzwischen rechtskräftig, was zu zahlreichen ähnlichen Klageerhebungen in fast allen Präfekturen Griechenlands für ingesamt 120.000 Opfer geführt hat. Nach einer Berechnung auf der Grundlage des Urteils von Livadia stehen jedem Opfer der Besatzungszeit 242.849 Mark zu, also insgesamt über 29 Milliarden Mark, die Eigentumsschäden nicht mitgerechnet.

Die erste Klage von Livadia erfolgte in einer Zeit, in der die Bundesregierung keinen Zweifel haben konnte, daß ein Teil der ehemaligen Kriegsgegner nicht glücklich über die Wiedervereinigung war und der Fall Griechenland sich zum Präzedenzfall entwickeln könnte.

Umso unverständlicher ist daher die desinteressierte Haltung der Bundesregierung gegenüber dem Geschehen in Griechenland. Sie hat sich lediglich geweigert, das Urteil von Livadia anzuerkennen. Dies hat aber die Kläger veranlasst, den Fall vor den Areopag, das Oberste Kassationsgericht des Landes, zu bringen. Jetzt verlangen sie allerdings – unterstützt von dem Sozialist und ex-EU-Parlamentarier Jannis Stamoulis – etwa 2,35 Milliarden Mark als Endschädigung für das Geschehen in Distomon 1944. Als Begründung wird angeführt: "Die Deutschen sind für das Blutvergießen verantwortlich und müssen die Hinterbliebenen der Opfer angemessen entschädigen."

Erst spät trat ein Anwalt im Auftrag der Bundesregierung auf, der vor dem Areopag das Argument wiederholte, die Regierung eines fremden Staates genieße in einem anderen Staat Exterritorialität und infolgedessen kann die Bundesregierung nicht von Privatpersonen in Griechenland verklagt werden.

Der Areopag hat seine Entscheidung vertagt und will in einer Vollversammlung entscheiden, was wohl noch vor dem Sommer geschehen wird. Der Generalstaatsanwalt, Panagiotes Dimopoulos, forderte allerdings die Ablehnung des Anspruches der Bundesregierung auf Exterritorialität mit dem Argument vor, hier handele es sich um Kriegsverbrechen. Auf Grundlage der Rechtsgrundsätze, die der Internationale Gerichtshof in Nürnberg geschaffen habe, kann das Recht fremder Regierungen auf Exterritorialität verworfen werden.

Die Athener Regierung verhält sich bisher zurückhaltend, weshalb sie von den Klägern kritisiert wird. Vielleicht ist sie die einzige von allen bisher an der Sache Beteiligten, welche die Tragweite des Problems erkennt. Gibt der Areopag den Klägern recht, drohen weitreichende Folgen: Bei allen anderen anhängigen Verfahren würden die griechischen Richter identisch entscheiden müssen.

Berlin hätte dann zwei Möglichkeiten: Entweder die Kläger voll zu entschädigen und somit einen internationalen Präzedenzfall zu schaffen; oder aber es könnte eine Geldüberweisung verweigern und die Beschlagnahme von deutschem Besitz in Griechenland riskieren. In diesem Dilemma liegt die eigentliche Brisanz der Klagen – ausgelöst von wahlkämpfenden griechischen Präfekten.


 
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