© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/00 24. März 2000

 
Haider-Hysterie: Peter Sichrovsky berichtet von seinen persönlichen Erfahrungen
Im Zweifel lieber eine Sacher-Torte
Moritz Schwarz

Lieber gehe er spazieren oder widme sich in Ruhe einem Stück Sacher-Torte, erklärte der Österreicher Peter Sichrovsky am vergangenen Donnerstag vor rund 120 Zuhörern, statt sich mit Dingen abzumühen, deren Vergeblichkeit nicht lohne. Dazu zählt er offenbar weder seine Zusammenarbeit mit Ignatz Bubis an dessen offizieller Autobiographie, noch sein Engagement für die Freiheitliche Partei Österreichs als Abgeordneter im Europaparlament. Und auch dem Landesverband Berlin-Brandenburg des "Christlich Konservativen Deutschlandforum" (CKDF) in der CDU vom Kreuz mit dem Haider-Gezeter in Europa zu berichten, scheint ihm wohl lohnend. Auf Einladung des Landesvorsitzenden Ulrich Woronowicz, schilderte Sichrovsky im Ernst-Lemmer-Institut persönliche Eindrücke, bewertete die politischen Ereignisse und stellte sich den Fragen des charmant unterhaltenen Publikums.

Der Österreicher "genießt" in diesen Tagen ja die Möglichkeit, dem politisch korrekten Europäer tief ins verkappte Herz zu blicken. Das dies nicht nur polemische Spitze, sondern traurige Wahrheit ist, belegt Sichrovsky mit der Erfahrung, daß Leute die ihn zuvor noch gegrüßt hatten, seit dem Regierungseintritt der Freiheitlichen den Kopf wenden, die Augen niederschlagen.

Nun gut, FPÖ gut oder schlecht, aber welche moralische Verfehlung besteht eigentlich in einem Regierungsbeitritt? Es ist also keine Frage der persönlichen Anschauung, noch der moralischen Entrüstung, sondern der öffentlichen Stimmung. Sichrovsky faßt die Lehre daraus in dem Satz zusammen "Europäer sind mobilisierbar". Für die These "Kampagne statt Entrüstüng", spreche auch, daß sich beim Regierungseintritt der Neofaschisten vor einigen Jahren in Italien, kein Lüftchen der Empörung regte. Mut aber machten ihm dagegen Hunderte von e-mails aus Israel, die zum Durchhalten aufforderten.

Sichrovsky berichtet von seinem EU-Arbeitsalltag in Brüssel, wo inzwischen Taxi-Fahrer Österreichern den Transport verweigern und Restaurants gar, im Angesicht leerer Tische, gegenüber Hungrigen aus der Alpenrepublik "alles reserviert" reklamieren. Die Liste der Beispiele kollektiver Rache fortsetzend, fragt er sich schließlich ruhig, ob diese Leute überhaupt einmal "ernsthaft durchdenken, was uns da vorgeworfen wird"? Wohl kaum, weshalb er diesen Gegnern auch nicht zürnt und warnt, wer zu ihm hält, die anderen "nicht zu verteufeln".

Zurechtrückend, nicht feindselig, nennt er den Aufzug der Politisch Korrekten ein "antifaschistisches Kasperltheater" und stellt resigniert fest, daß die Betroffenheits- und Widerstandsformeln der biederen Bürger gekennzeichnet sind von bedeutungsloser Leere: "Für mich", so Sichrovsky, "haben diese Sätze keine Bedeutung. Schablonen, die nichts über das wahre Wesen dieser Menschen aussagen." Sichrovsky aber fügt sich ins Unvermeidliche und fordert – einsichtig, jede Gesellschaft habe ihr Tabu – dazu auf, dies zu tun: Dem antifaschistischen Geßlerhut seine Referenz zu erweisen und so unrechtmäßig vorenthaltenen politischen Spielraum zurückzuerlangen. Nur allzuviele Konservative lassen sich gutgläubig in die Falle locken: Durch die Verwicklung in ideologische Abwehrschlachten gebunden und so um die Möglichkeit gebracht inhaltliche Politik zu machen. Sichrovsky aber, wie gesagt, geht da lieber spazieren...

Aber auch die politische Arbeit der FPÖ wird aus dem Publikum kritisch hinterfragt. Tatsächlich sind die Gründe für den freiheitlichen Wahlsieg viel banaler als gern behauptet. Statt nationalen Erwachens oder weltanschaulicher Wende nach rechts steht viel mehr die österreichische schwarz-rote Proporzwirtschaft an der Wiege Jörg Haiders politischen Erfolges. Und das läßt bei so manchem Zuhörer die nicht unberechtigte Furcht aufkeimen, Freiheitliche Politik könne sich statt in Reformen fürs Volk in Privilegien für die Blauen erschöpfen.

Zum Schluß der Veranstaltung fragt ein Zuhörer, wie es denn mit der Vollendung der Wiedervereinigung stehe, wird gefragt. Sichrovsky gibt sich freundlich gelassen, nach friedlichen, demokratischen Volksbefragungen hätte er durchaus nichts gegen einen Anschluß – an Österreich. 


 
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