© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/00 24. März 2000

 
Reparationen: Der Völkerrechtler Karl Doehring weist amerikanische Forderungen zurück
"Kein Grund für neue Zahlungen"
Dieter Stein

Sie haben in einem Zeitungsaufsatz Überlegungen von amerikanischer Seite zurückgewiesen, die Frage deutscher Reparationen sei möglicherweise noch als offen anzusehen. Wie ernst sind denn diese amerikanischen Andeutunegn zu nehmen?

Doehring: Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten. Die Andeutungen waren vorhanden. Auch Graf Lambsdorff, Unterhändler in der Zwangsarbeiterfrage, hat auf diese Problematik hingewiesen. Lambsdorff hat zuletzt aber gemeint, daß man voraussichtlich auf diese Fragen nicht zurückkommen werde. Ob sie nicht doch wieder auftauchen, darüber sind Zweifel angebracht.

Sie sehen Deutschland aufgrund des Briand-Kellogg-Paktes von 1928, der einen Angriffskrieg als Delikt des Völkerrechtes betrachtet, prinzipiell nach 1945 zu Reparationenen verpflichtet.

Doehring: Daran halte ich fest. Deutschland hat einen Angriffskrieg geführt. Ich selbst war leider Teilnehmer dieses Angriffes. An der rechtlichen Qualifikation nach dem Briand-Kellogg-Paktes kann wohl kein Zweifel bestehen. Ganz anders ist es aber mit der Frage des Ersten Weltkrieges, bei dem eine Schuldfrage im Rechtssinne nicht auftauchen konnte, weil dort der Angriffskrieg noch gar nicht verboten war. Auch die Historiker sind sich darüber nicht einig, ob das Deutsche Reich selbst eine moralische Schuld treffen konnte. Beim Zweiten Weltkrieg ist diese Frage aber klar.

Sie sehen die denkbaren Reparationen jedoch durch die Annexion von deutschem Staatsgebiet, Demontagen, Zwangsarbeit deutscher Kriegsgefangener und Zivilisten sowie Entschädigungszahlungen als abgegolten an. Was sind denn Ihrer Meinung die entscheidenden Hauptlasten, die Deutschland nach dem Krieg als quasi Reparationen geleistet hat?

Doehring: Auf die Frage, ob die Reparationen ausreichend waren, bin ich erst nach der Feststellung gekommen, daß aus Rechtsgründen heute nach dem Zwei-plus-Vier-Vertrag Ansprüche nicht mehr erhoben werden können. Wenn man meint, trotzdem Reparationsansprüche geltend machen zu können, dann meine ich, daß die Hauptleistungen folgende gewesen sind: Die gesamte entschädigungslose Konfiskation des deutschen privaten und staatlichen Auslandsvermögens und vor allem die Aufgabe eines großen Teils des deutschen Reichsgebietes, Pommern, Schlesien, Ost- und Westpreußen, die ja einen ganz erheblichen Teil des deutschen Staates ausmachten und die man geldlich kaum beziffern kann. Das sind die Hauptpunkte. Daneben sind im Laufe der Jahre eine ganze Reihe von weiteren Leistungen getreten.

Diese Leistungen und Entschädigungszahlungen waren als Reparationen deklariert?

Doehring: Das beschlagnahmte deutsche Auslandsvermögen ist im Überleitungsvertrag 1952-54 ausdrücklich als Reparationsleistung deklariert worden. Die anderen Leistungen könnten ja gar nicht anders denn als Reparationsleistungen angesehen werden. Die deutschen Ostgebiete wären ja ansonsten völkerrechtswidrig annektierbar gewesen! Die Westverschiebung der deutschen Ostgrenze kann nur als Reparationsleistung gedacht sein – ansonsten wäre sie völkerrechtswidrig. Genauso ist die Arbeit der deutschen Kriegsgefangenen lange Jahre nach Beendigung der kriegerischen Feindseligkeiten als Reparation zu bewerten. Die Soldaten hätten sonst nach der Genfer Konvention alle nach Hause geschickt werden müssen.

Gibt es zu diesen Leistungen Berechnungen?

Doehring: Das Bundesverfassungsgericht hat beispielsweise seinerzeit geprüft, ob die enteigneten Inhaber deutschen Auslandsvermögens nach deutschem Recht entschädigt werden müßten. Es stand im Überleitungsvertrag drin, daß Deutschland Vorsorge treffen würde, einen Ausgleich zu schaffen für den Verlust deutscher Privatpersonen an ihrem Auslandsvermögen. Auch eine Bezifferung ist erfolgt. In dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes ist gesagt worden, daß dies den deutschen Staatsbankrott bedeutete, wenn man über einen normalen Lastenausgleich hinaus gehe.

Sie weisen nun jedenfalls die rechtliche Grundlage für Reparationen juristisch zurück und sehen sie mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag als erloschen an, auch wenn dort von Reparationen nicht ausdrücklich die Rede ist.

Doehring: Das ist auch nicht nötig. Die meisten Abkommen, die bis zum Zwei-Plus-Vier-Vertrag geschlossen wurden – wie der Überleitungsvertrag und das Londoner Schuldenabkommen – enthielten die Klausel, daß eine Lösung der Reparationsfrage einem endgültigen Friedensvertrag vorbehalten sei. Nun ist es zu einem Friedensvertrag nicht mehr gekommen, weil man nicht mehr von einem Feindstaat Deutschland sprechen konnte, nachdem Deutschland Mitglied der Nato geworden und Teil der westlichen Integration war. Wenn man diesen Zwei-plus-Vier-Vertrag als einen solchen endgültigen Vertrag ansieht, dann hätten die Siegermächte dort eine mögliche Reparationsnachforderung stellen müssen. Sie haben sich, wie man das als Jurist sagt, indem sie das nicht taten, verschwiegen und diesen Anspruch durch Verschweigung aufgegeben. Das ist ein völkerrechtliches Prinzip, das durchaus anerkannt ist.

Wie entscheidend ist überhaupt die rechtliche Seite für potentielle deutsche Zahlungen an ehemalige Kriegsgegner und Opfergruppen?

Doehring: Ich habe den Standpunkt vertreten, daß die Entschädigungsforderung gegen die deutsche Industrie seitens ehemaliger Zwangsarbeiter ebenfalls eine Reparationsforderung ist. Individualansprüche gegen einen ehemaligen Kriegsgegner existierten im Völkerrecht bislang nicht. Stellen Sie sich einmal vor, ein Bewohner von Couventry oder später Dresden würde gegen die Bombenflieger heute Ansprüche erheben. Das sind Ansprüche, die in Reparationsregelungen abgegolten werden.

Dann gibt es für diese aktuellen Zahlungen an Zwangsarbeiter keine rechtliche Grundlage, sondern dann ist dies eine Regelung jenseits rechtlicher Begründung?

Doehring: Ich habe auch bis jetzt keine Äußerung gehört, daß es hierfür einen Rechtsanspruch gäbe, sondern es ist von moralischen Ansprüchen gesprochen worden. Ich bin der Meinung, daß Ansprüche gegen die deutsche Industrie keine Rechtsgrundlage haben. So hat es auch ein amerikanisches Gericht schon abschlägig entschieden, weil dies alles in den Bereich der Reparationen gehört. Und diese Reparationsfrage ist nunmehr seit 1990 abgeschlossen.

Wird man dann einfach damit rechnen müssen, daß bis auf weiteres im Zusamenhang mit dem Zweiten Weltkrieg von deutscher Seite Zahlungen gefordert werden, eine Art immer wieder erneuerbare "Sühnesteuer" – ohne daß dies ausdrücklich als Reparation deklariert wird?

Doehring: Ich bin Jurist und dafür der falsche Ansprechpartner, weil ich eine rechtliche Grundlage hierfür nicht sehen kann.

Warum kommen diese Forderungen ein halbes Jahrhundert nach Kriegsende?

Doehring: Man hätte erwarten können, daß diese in angemessener Zeit, jedenfalls vor den Zwei-plus-Vier-Verhandlungen, erfolgt wären. Warum diese Forderungen jetzt kommen, müssen Politiker beantworten.

Müssen wir aufgrund der Lukrativität von Klagen gegen Deutschland – und weil sie offenbar nach wie vor Erfolg haben – mit einer Kette von weiteren Klagen rechnen? Es gibt aktuelle Überlegungen in Griechenland nach Entschädigungsforderungen gegen Deutschland.

Doehring: Sicher muß man diese Ansprüche im Einzelfall untersuchen, generell würde ich sagen, daß solche Ansprüche heute nicht mehr gestellt werden können.

Welchen zivilisierten Weg hat Deutschland, aus diesem Kreislauf auszubrechen, in dem auf Knopfdruck immer wieder Gelder locker gemacht werden kann?

Doehring: Nach dem Völkerrecht könnte jeder Staat in einem solchen Fall Deutschland verklagen, dann müßte der Internationale Gerichtshof entscheiden. Im Rahmen der OSZE ist ein solcher Gerichtshof eingerichtet worden. Hier kann man sich von Staat zu Staat verklagen. Jedoch sehe ich keine Grundlagen mehr für Reparationszahlungen und vor einem Gericht hätte gegen Deutschland kein Staat Erfolg.

Es gibt mithin keine rechtliche Grundlage mehr für Forderungen gegen Deutschland. Es bleibt also eine politische Frage, ob man sich aus anderen Erwägungen zu Zahlungen verpflichtet sieht oder sich moralisch-politisch zu solchen nötigen läßt?

Doehring: Dies betrifft die Frage des Selbstbewußtseins eines Staates, gegen den Forderungen gestellt werden, welche Gegenmittel er hätte, wenn er sie für ungerechtfertigt hält. Das Völkerrecht bietet eine ganze Reihe von Möglichkeiten zur Selbstdurchsetzung. Wenn andere Staaten Deutschland mit dem Abbruch von Wirtschaftsbeziehungen drohen, dann kann Deutschland dies auch tun. Es ist dann nur die Frage, wer mehr darunter leidet.

Wie bewerten Sie Überlegungen aus den Reihen der Sudetendeutschen, Sammelklagen gegen Tschechien anzustrengen?

Doehring: Wenn Vertriebene und deren Verbände meinen, ihre Ansprüche seien nicht berücksichtigt worden, dann gibt es nur den Weg des diplomatischen Schutzes. Dann müßte das Auswärtige Amt, die Regierung die Ansprüche prüfen. Wenn ja, dann tritt sie für diese ein oder läßt es aus politischen Gründen sein. Es gibt kein individuelles Recht auf Anspruch der Ausübung des diplomatischen Schutzes. Dieter Stein

 

Prof. Dr. Dr. h.c. Karl Doehring geboren 1919, 1937-1948 Soldat, Offizier, Kriegsgefangener. 1949-51 Jurastudium. 1956 Promotion, 1962 Habilitation. Seit 1964 wissenschaftliches Mitglied des Max-Planck-Institutes für Völkerrecht. 1976-1987 Ordinarius für Staats- und Völkerrecht der Universität Heidelberg, dann emeritiert. 1980-1989 Direktor am Max-Planck-Insitut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, seit 1971 Membre de l’Institut de Droit International, von 1981 bis 1985 Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht.

Literatur: "Pflicht des Staates zur Gewähr diplomatischen Schutzes" (1958), "Allgemeine Regeln des völkerrechtlichen Fremdenrechts" (1962), "Selbstbestimmungsrecht als Grundsatz des Völkerrechts" (1973), "Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland" (1984), "Allgemeine Staatslehre (1991)

 

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