© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    12/00 17. März 2000

 
Parteien: CDU-Krise und Jörg Haider prägten den politischen Aschermittwoch
Castro und der nackte Hintern
Jörg Fischer

Der traditionelle politische Aschermittwoch wurde von der CDU-Krise und Jörg Haider bestimmt. Einsame Spitze bei Stimmung und Zuschauerzahl war die CSU-Veranstaltung in Passau. Über 8.000 Begeisterte aus ganz Deutschland drängten sich in der Nibelungenhalle – etliche hatten gar keine Eintrittskarte mehr ergattern können.

Die rot-grüne Bundesregierung müsse 2002 weg, forderte CSU-Chef Edmund Stoiber vor den meist bierseligen Anhängern und kündigte eine "Auseinandersetzung in aller Härte" an. Ein zentrales Thema dabei werde die Europapolitik sein. Die notwendigen EU-Strukturreformen seien liegengeblieben, Deutschland bleibe weiter der "Zahlmeister Europas". Ohne Reform koste die Erweiterung die deutschen Steuerzahler über 30 Milliarden Mark jährlich. Zugleich ziehe Brüssel mit einer Salamitaktik immer mehr Kompetenzen an sich, und die Bundesregierung marschiere mit in Richtung europäischer Zentralstaat. Alle wesentlichen Entscheidungen beim EU-Gipfel in Nizza müsse das Volk mitbestimmen können, forderte Stoiber und lobte Volksabstimmungen in anderen Ländern; über die Form in Deutschland müsse man reden. Ohne Bürgerbeteiligung werde die CSU "zumindest eine Unterschriftenaktion" starten.

Ein EU-Beitritt der Türkei würde die Integrationsfähigkeit der EU überfordern. Die Bürger wollten auch kein Europa, das "wie wild geworden über das kleine Österreich herfällt". Der ÖVP-Außenministerin werde der Handschlag verweigert, aber zugleich lade Schröder den kubanischen Diktator Fidel Castro zur Expo nach Hannover ein und "tauscht womöglich noch den sozialistischen Bruderkuß", sagte Stoiber unter Beifallstürmen. Die CDU-Spendenaffäre habe das Vertrauen der Bürger schwer erschüttert, aber "nach dem Aschermittwoch ziehen wir nicht mehr das Büßerhemd, da ziehen wir den Kampfanzug an". Die Menge – sogar aus Sachsen, Peine und von der Insel Norderney angereist – feierte die dreistündige Rede stehend mit langen "Zugabe"- und "Edmund, Edmund"-Rufen. Lachend hielt Staatskanzleichef Erwin Huber ein Schild hoch, das ihm von den jubelnden "Fans" gereicht wurde: "2002 – E. Stoiber Kanzler". Dabei ging völlig unter, wie ein 21jähriger aus Protest gegen die CSU-Affären die Hosen herunterließ. Während der Stoiber-Rede entblößte der junge Mann auf der Empore der Nibelungenhalle sein Hinterteil. Zuvor hatte er ein knapp zwei Meter langes Transparent mit der Aufschrift "LWS, Schreiber & Co, Hosen runter Amigos" entrollt.

Immerhin 1.000 Mitglieder und Sympathisanten waren zu den Republikanern ins niederbayerische Geisenhausen angereist. REP-Landeschef Johann Gärtner und Bundesvorsitzender Rolf Schlierer verurteilten den EU-Boykott gegen Österreich und warnten vor den "Vereinigten Staaten von Europa". Außerdem attackierten sie "Altbimbeskanzler Kohl".

Vor nicht einmal zehn Prozent der CSU-Kulisse fand der politische Aschermittwoch der anderen Parteien statt. Die bayerische SPD-Vorsitzende Renate Schmidt forderte vor nur 700 Zuhörern im Wolferstetter Keller in Vilshofen ein "Reinheitsgebot für die Politik". Als Konsequenz aus den jüngsten Parteiskandalen sollten die Amtszeiten von Spitzenpolitikern begrenzt werden. Dies sollte für Bundeskanzler, Ministerpräsidenten und Minister gleichermaßen gelten, erklärte Schmidt. Sie warf Kohl vor, mit seiner Spendenaktion "Ablasshandel" zu betreiben. Er ziehe durchs Land nach dem Motto: "Wenn die Million im Koffer klingt, der Bimbes nicht mehr so arg zum Himmel stinkt!"

Den politischen Aschermittwoch der Grünen hat Außenminister Joschka Fischer, der erst in der Nacht zuvor aus dem Iran zurückgekehrt war, vor allem zu einer Abrechnung mit der Union genutzt. In seiner fast einstündigen Rede in der Passauer Kulturhalle X-Point warf er der Union wegen der Spendenaffäre "systematischen Rechts- und Verfassungsbruch" vor. Er nannte Kohl und den früheren Bundesinnenminister Manfred Kanther "Rückfalltäter". Begleitet von Applaus und vereinzelten Buhrufen der rund 700 Besucher verteidigte Fischer in seiner Rede erneut die Isolierung der österreichischen Regierungskoalition aus ÖVP und FPÖ durch die Europäische Union. Die CSU begehe einen Irrtum, Haider zu verharmlosen. Den österreichischen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel bezeichnete der Grüne als "Strippenzieher" der Koalition, der sich Sorgen machen müsse, nicht von Jörg Haider integriert zu werden.

FDP-Generalsekretär Westerwelle sprach sich in Passau vor etwa 200 Zuhörern dafür aus, die Amtszeit des Kanzlers und der Ministerpräsidenten auf zwei Legislaturperioden zu begrenzen, um Machtmißbrauch zu verhindern.

Nach einigen Jahren Abstinenz lud die NPD erstmals wieder zu einem politischen Aschermittwoch ein. Hauptredner vor etwa 130 Anhängern im niederbayerischen Huldsessen war Sascha Roßmüller. Der Bundesvorsitzende der Jungen Nationaldemokraten (JN) schlug vor: "Wenn schon ausländische Facharbeiter, dann bitte auch in der Politik. Anleihen könnte man bei Haider nehmen." Außerdem kritisierte der JN-Chef das Verhalten der EU gegenüber "unserem Brudervolk in der Ostmark".

Beim Aschermittwoch der FPÖ in Ried im Innkreis nannte Jörg Haider den französischen Präsidenten Jacques Chirac einen "Westentaschen-Napoleon des 21. Jahrhunderts". Auch Bill Clinton habe nicht das Recht, Österreich zu kritisieren. Amerika, das die Indianer in Reservate gesteckt habe, sorge sich nun um die verbliebenen "Roten" in Österreich und der EU.


 
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