© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    12/00 17. März 2000

 
Parteien: Das Graswurzelprinzip der Bündnisgrünen unter dem Rasenmäher
An die Spitze sollen Manager
Alexander Schmidt

Mehr als 20 Jahre ist es her, als sich die Grünen bei einem "Sit-in" wollpullovertragender Individualisten in Karlsruhe gründeten. Jetzt kehrt die Partei samt Basis an ihren Geburtsort zurück, gefangen in einer Midlife-Crisis, hervorgerufen durch die Regierungsverantwortung. Parteienforscher erwarten, daß sich bei der Bundesdelegiertenkonferenz an diesem Wochenende ein Scheideweg der Grünen abzeichnen wird, zwischen den bekannten Streitparteien der Realos und Fundis. Parteiintern wird statt dessen Geschlossenheit beschworen, drei gegensätzliche offene Briefe berufen sich allesamt auf die "grüne Identität", die in Karlsruhe neu definiert wird.

Kernpunkte des Streits sind die Parteistruktur und die Geschwindigkeit des Atomausstieges. In einem ersten Brief, der mehrheitlich von Grünen in höheren Ebenen unterzeichnet wurde, mit dabei auch die Gesundheitsministerin Andrea Fischer und Außenminister Joschka Fischer neben Vertretern des linken Parteiflügels um Volker Beck, soll die Basis auf einen gemeinsamen Weg eingeschworen werden. Dabei stellen Fischer & Co. ihre Jünger vor die Wahl. Zerstreite man sich an den gestellten Themen, "verliert am Ende die ganze Partei".

Mit einer großen Mehrheit dagegen könne ein Weg nach vorne gefunden werden. Im Atomausstieg sei man jetzt so nahe "wie noch nie dran". Es müsse Geschlossenheit und Realismus, neben Hartnäckigkeit und Grundsatztreue bewiesen werden. Darum bei der Bundesdelegiertenkonferenz zu ringen, heißt es in dem Brief, "ist kein Fehler." Bei der Konferenz soll um Verständnis für die Entscheidung von Umweltministerium, Bundesvorstand und Fraktion geworben werden.

Teile der angesprochenen Basis haben dafür wenig Gehör und lassen sich für einen Ausstieg aus der Kernenergie in 18 oder 20 Jahren nicht begeistern. Der Kreisverband Aue-Schwarzberg fordert in einem Antrag an die Konferenz das Verlassen der Koalition wegen "eines schwerwiegendes Koalitionsbruchs", falls die Leopard-2 Panzer an die Türkei geliefert werden und erinnert dabei an den Wählerauftrag der Partei. Die Grünen seien keine Dienstleistungsorganisation für skupellose Waffenhändler, heißt es in dem Schreiben.

Ein Tag nach Erscheinen des Briefes der Parteiführung antwortete die Basis, die sich wiederum dem "grünen Identitätsthema" Atomausstieg annehmen will, mit einer klaren Positionierung. "Wir wollen, daß noch in dieser Legislaturperiode Atomkraftwerke abgeschaltet werden. Wir wissen, daß dies rechtlich auch mit einem Ausstiegsgesetz im Dissens möglich ist" wütet die Basis. Viele seien bereits an den Rand des Tragbaren gegangen.

Inzwischen meldete sich Umweltminister Jürgen Trittin zu Wort, um die aufgebrachte Basis zu besänftigen. Rot-Grün sei der Einstieg in die Energiewende gelungen. Die grüne Handschrift sei gerade da unübersehbar, schreibt Trittin und führt an, welche Erfolge in der Energiepolitik die Regierungsbeteiligung der Grünen erbracht habe. Aber ob Öko-Steuer, Photovoltaik, Kraft-Wärme-Kopplung und Gas-Dampf-Kraftwerke die Wartezeit auf den Ausstieg verkürzen, will wohl keiner glauben. Fast flehend fügt er am Schluß seines Briefes an, daß die Grünen immer Umwege und Verzögerungen "im Interesse der Sache" hingenommen hätten.

Weiterer Streit steht in Karlsruhe mit einer Reform der Parteistruktur ins Haus. Die bisherige Trennung von Amt und Mandat soll wegfallen, die eine zentrale Stellung im grünen Selbstverständnis einnahm. Dennoch argumentieren Gegner in der Parteiführung, daß "unsere positiven Traditionen nicht verhindert haben, daß jenseits unserer formellen Strukturen informelle Machtzentren entstanden sind". Dabei habe sich die bisherige Trennung von Amt und Mandat genausowenig als Allheilmittel erwiesen wie die frühere Rotation. Vielmehr müsse überdacht werden, welche Mechanismen geeignet seien, eine vernünftige Teilung der Macht zu verwirklichen.

Letzlich werden sich die Grünen die Frage stellen müssen, wie sie in ihrer neuen Situation als Mitglieder der Regierung den Weg zwischen macchiavellistischem Denken, Schlagkraft der Partei und grüner Identität mit Basisdemokratie einen Platz finden. Auch könnte demnächst der Platz der frauenpolitischen Sprecherin im Vorstand wegfallen. Außerdem, so die Planungen der Reformer, soll der gerade vor zwei Jahren ins Leben gerufene 25köpfige Parteirat abgeschafft werden.

Schon im Oktober vorigen Jahres kam eine Lockerung des Grundsatzes der Trennung von Amt und Mandat über den Länderrat, das beschlußfassende Gremium der Grünen zwischen den Parteitagen, für die 43 Delegierte stimmten, bei 15 Gegenstimmen. Soll tatsächlich eine Änderung in dieser Frage erreicht werden, müssen zwei Drittel aller Delegierten auf dem Parteitag für die Reform stimmen, eine Mehrheit die von der Parteispitze als "schwierig" angesehen wird. In dem Brief aus dem Kreisverbänden, der die grüne Führung zurück zur Basis rufen will, besteht für diesen Plan kein Verständnis für eine Strukturdebatte, vielmehr müsse die "Repolitisiserung" der Partei betrieben werden.

Der Kern des Problems sei nicht eine personelle Konzentration von Ämtern und Mandaten, sondern deren Ausstattung und das Verteilen politischer Arbeit auf mehrere Schultern mit klaren Entscheidungsstrukturen. Der Bundesvorstand solle zunächst wieder auf acht Mitglieder vergrößert werden, in dem auch die frauenpolitische Sprecherin der Partei einen festen Platz haben soll.

Weitere Konzepte zu einer Reform der Parteiendemokratie hat der Bremer Ralf Fücks von der Heinrich-Böll Stiftung ausformuliert und in einem Antrag für den Parteitag vorgelegt, um die politische Kultur in Deutschland zu erneuern. In den Fraktionen müßten Mitarbeiter sitzen, die Zivilcourage besäßen, um sich rechtswidrigen Praktiken zu verweigern.

Fücks fordert neue Instrumente der direkten Demokratie durch die Bürger mehr Entscheidungsmacht erhielten, außerdem müsse die parteiinterne Demokratie erneuert werden. Der Parteieinfluß müsse innerhalb von öffentlichen Einrichtungen und Unternehmen begrenzt werden und zuletzt wirksame Instrumente für Parteifinanzen und Spendenpraxis installiert werden.

Konkret stellt er sich – und mit ihm seine Unterzeichner aus Landes- und Bundesvorständen – die Einführung von Volksbegehren und Volksentscheiden auf Bundesebene vor, um Bürgern mehr Beteiligungs- und Entscheidungsrechte zu geben. Weiter heißt es in der Denkschrift: "Die Direktwahl von Bürgermeistern und Landräten entzieht diese Funktion dem alleinigen Zugriff der Parteien."

Für den Bereich der Parteienfinanzierung fordert Fücks maximale Transparenz, Wirtschaftsprüfer müßten in Parteiorganisationen nach spätestens vier Jahren wechseln. Sollte es trotzdem zu Verstößen kommen, sei als Sanktion der zeitweiese Verlust des passiven Wahlrechts und der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter vorzusehen.

Herausgehobene politische Funktionen wie das Amt des Bundeskanzlers sollen, geht es nach Fück, in Zukunft zeitlich begrenzt werden. Letztlich gehe es aber auch nicht ohne einen neuen Verhaltenskodex für die Ausübung politischer Ämter und Mandate.


 
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