© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    12/00 17. März 2000

 
Unternehmen: Wilhelm Hankel über die Fusion von Deutscher und Dresdner Bank
"Ein Rückfall in die Steinzeit"
Jörg Fischer

Herr Professor Hankel, am 1. Juli 2000 verschmelzen Deutsche Bank und Dresdner Bank zur weltweit größten Bank mit einer Bilanzsumme von 1,25 Milliarden Euro, ein Mehrfaches des deutschen Bundeshaushalts. Ist das "Turbo-Kapitalismus" oder nur ein wettbewerbsrechtlich interessanter Firmenzusammenschluß?

Hankel: Es ist ein Paradigmen-, es ist ein Szenenwechsel im deutschen Finanzmarkt. Der eigentliche Machthaber im deutschen Finanzwesen, der bisher im Verborgenen stand – die Versicherungswirtschaft –, tritt vor den Vorhang. Der Anstoß zu dieser Bankenfusion dürften weniger bankpolitische Erwägungen gewesen sein als solche der Allianz-Versicherung …

… die große Aktienpakete an beiden Firmen hält.

Hankel: Richtig, die Allianz ist daran interessiert – wie alle Versicherungsgesellschaften im Wege des Allfinanzgeschäftes – Versicherungspolicen über den Banktresen zu verkaufen.

Die Aachener und Münchner Versicherungsgruppe kooperiert beispielsweise schon mit der Commerzbank...

Hankel: Die Versicherer brauchen das Filialnetz dieser beiden Großbanken, zumal diese beiden größten "Sparkassen" in Deutschland offenkundig ein gestörtes Verhältnis zur ihrer Sparerkundschaft haben. Sie wollen sich von diesem Teil ihrer Kundschaft trennen.

Was hat der kleine Sparer von der Fusion?

Hankel: Die deutschen Sparer lernen jetzt, daß sie den Großbanken nicht allzuviel bedeuten. Bisher waren sie billige Geld- und Kapitallieferanten. Jetzt werden sie teuer, denn sie wollen beraten werden Nur: Über das Internet können sie nicht beraten werden. Die Schließung der Filialen ist sowohl ein Schlag gegen die traditionelle Bankenkundschaft, den sogenannten "kleinen Sparer". Sie ist aber auch eine Absage an das traditionelle Kreditgeschäft, besonders im Mittelstandsbereich. Die beiden fusionierten Banken werden im Grunde Fonds und Anleger. Damit wächst ihr Risiko, aber auch ihre Abhängigkeit von einem weltweiten Börsencrash beträchtlich.

Es gibt also gute Aussichten für Sparkassen und Genossenschaftsbanken?

Hankel: Die Genannten sind keine "global player". Für sie zahlt es sich jetzt als volksnahe Banken aus, daß sie nicht versucht haben, zu stark ins internationale und spekulative Geschäft abzugleiten.

Was passiert, wenn eine solche Megabank ins "Schleudern" kommt? Der deutsche Einlegerschutz greift da wohl nicht mehr?

Hankel: Für den Gesetzgeber stellt sich die Frage, ob die bisherigen Schutz- und Aufsichtsgesetzte (Sparerschutz, Kreditwesengesetz und Versicherungsaufsichtsgesetz) noch in diesen getrennten Formationen zu halten sind. Diese Gesetze gingen ja immer davon aus, daß es in den einzelnen Bereichen der deutschen Geld-, Kredit- und Versicherungswirtschaft Unterschiede gibt: unterschiedliche Bilanz- und Anlagevorschriften, unterschiedliche Regeln für den Deckungsstock und dergleichen. Das alles gerät ins Schwimmen, wenn sich diese Branche "zusammenfusioniert" und Banken zu Erfüllungsgehilfen der Versicherungswirtschaft werden. Die Versicherungswirtschaft kann dann über ihre Bankentöchter leicht die Bestimmungen umgehen, die ihnen die Versicherungsaufsicht für ihr Anlagevermögen vorschreibt. Die Folgen dieser unkontrollierten "Fusionitis" müssen den Gesetzgeber wachrütteln! Leider merkt man nicht allzuviel davon.

Sind solch große Einheiten ökonomisch überhaupt sinnvoll?

Hankel: Mit Sicherheit nicht. Ronald Coase wurde für diese Erkenntnis 1991 mit dem Nobelpreis für Ökonomie ausgezeichnet. Sein Lebenswerk besteht darin, nachgewiesen zu haben, daß eigentlich jede Megafusion ein Rückfall in die Steinzeit ist. Man kann alles Notwendige meist billiger und besser kaufen als unter dem eigenen Firmendach erstellen. Deswegen sind die meisten Fusionen – unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten – ein Flop. Es gibt Statistiken, die zeigen, daß fast die Hälfte aller bisherigen Fusionen unwirtschaftlich gewesen sind, aber die Schäden daraus trägt die Allgemeinheit. Einer der größten Nationalökonomen des Jahrhunderts, Josef Schumpeter, hat schon in den vierziger Jahren prophetisch darauf hingewiesen hat, daß, so der Sozialismus siegen wird, es nicht auf dem von Marx vorgezeichneten Weg passiert, sondern es über die Monopolbildung geschehen wird. Die Wirtschaft fusioniert sich selber in den "Sozialismus" hinein!

Bis 2003 sollen 16.000 Stellen bei den fusionierten Banken wegfallen und 800 Filialen schließen. Die Umbaukosten werden auf einmalig drei Milliarden Euro geschätzt, dem stünden aber dann jährliche Einsparungen in gleicher Höhe gegenüber – so die Presseerklärung der Fusionspartner. Die Aktienkurse beider Banken gingen zunächst bergab. Wer profitiert am Ende?

Hankel: Was den Aktionären blüht, wird die Zukunft zeigen. Das wird weitgehend von der Entwicklung an den Weltfinanzmärkten abhängen. Wird es einen Crash geben? Wie stark wird er ausfallen? Das läßt sich heute noch nicht mit Sicherheit erkennen. Sicher ist nur eins: Der Sozialgesetzgeber muß in Sachen Mitarbeiter aktiv werden. Es kann nicht angehen, daß die Gewinne aus solchen Fusionen privatisiert und die aus den Synergieeffekten resultierenden Arbeitsplatzverluste sozialisiert werden. Das Mindeste wäre, daß ein Geschäfts- und Sozialplan aufgestellt wird, der nicht nur die Kosten der Arbeitslosigkeit, sondern auch der Umschulung und Neuqualifizierung abdeckt. Dann würden sich Gewinn und Verlust aus solchen Fusionen ganz anders darstellen als heute.

Für Karel van Miert – den ehemaligen belgischen EU-Wettbewerbskommissar – ist die Fusion ein Fall für die EU-Kommision. Zu Recht?

Hankel: Er hat im Prinzip recht. Aber dann müßte die EU-Kommission erst einmal verbindliche Wettbewerbs-, Antitrust- und Antifusionsregeln vorlegen. Die gibt es bisher nicht! Das nationale Kartellrecht greift nicht, denn es geht von einer heimischen Marktbeherrschung von mehr als 25 Prozent Marktanteil aus. Das ist angesichts der Dimensionen des Weltmarktes unbrauchbar. Ich bezweifele, ob dieses Kriterium überhaupt zieht. Hier sind alle Kartellforscher gefordert, denn quantitative Regeln, wie Marktanteilsprozentsätze, überzeugen schon deswegen nicht, weil sie ja meist bei rückläufigen Märkten erreicht werden und nicht bei steigenden. Ökonomisch ist das widersinnig. Hier müssen andere Kriterien her, und die lassen sich auch finden.

Kann ein Nationalstaat oder auch die EU solche Megaunternehmen überhaupt noch beeinflußen?

Hankel: Nur noch bedingt, denn für "global players" gibt es keine Grenzen, weder Staats- noch Währungsgrenzen. Sie können also jederzeit der nationalen Aufsicht ausweichen. Umgekehrt zwingt diese Entwicklung die an ihre Standorte gebundenen Regierungen dazu, diese "global players" zu hofieren, damit sie ihre Möglichkeiten nicht voll ausnutzen. Rot-Grün dagegen buhlt geradezu um ihre Huld und Nachsicht. Globalisierung bedeutet, daß es einen rechtsverfassungsfreien Raum gibt. Der müßte geschlossen werden. Wir brauchen eine Vereinheitlichung der Steuergesetzgebung für Kapitalgesellschaften, damit es nicht zu Standortverlagerungen aus Steuerflucht-Aspekten gibt. Und wir brauchen auch eine neue Re-Regulierung an den internationalen Finanzmärkten. Es gibt eben Geschäfte, die gerade im Globalismus verboten gehören, beispielsweise der Aktienkauf auf Kredit und für die Beschäftigten "feindliche" Übernahmen.

Dafür ist selbst die EU zu klein...

Hankel: Gewiß zu klein. Denken Sie nur daran, daß das "Land" mit dem größten individuellen Aktienvermögen nicht USA heißt, sondern Hongkong.

Gerüchte über weitere "feindliche" Übernahmen – beispielsweise der Commerzbank durch die Londoner Großbank Hongkong and Shanghai Banking Corp. (HSBC) mittels verdeckter Aktienkäufe – kursieren. Kommt ein zweiter Fall Vodafone-Mannesmann?

Hankel: Er wird mit Sicherheit kommen. Ob hier, vermag ich nicht zu sagen. Ich sagte ja schon, deswegen gehört in das Paket von globalen Aufsichtsregeln auch ein Kodex über sozialfreundliche Übernahmen hinein. Das kann nur im Einvernehmen mit den übrigen führenden Staaten und Regierungen vereinbart werden. Man fragt sich, wozu eigentlich ein G7er-Klub gegründet worden ist, wenn nicht für solche Dinge.

 

Prof. Dr. Wilhelm Hankel wurde 1929 in Langfuhr/Danzig geboren. Er war Chefökonom der Kreditanstalt für Wiederaufbau, dann Abteilungsleiter für Geld und Kredit unter SPD-Wirtschaftsminister Karl Schiller. In den siebziger Jahren war er Präsident der Hessischen Landesbank. Neben seiner Lehrtätigkeit an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität, Frankfurt a.M. war er Gastprofessor an den US-Universitäten Harvard, Georgetown und der Johns-Hopkins-University. Er war Berater von Regierungen der Dritten Welt, Ost-asiens und Rußlands.

Veröffentlichungen: "Die sieben Todsünden der deutschen Vereinigung" (Siedler); "Das große Geldtheater" (DVA); "Die Euro-Klage" zusammen mit Wilhelm Nölling, Karl Schachtschneider und J. Starbatty (Rowohlt)

 

weitere Interview-Partner der JF


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen