© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/00 10. März 2000

 
Totengedenken: Im Süden Sachsen-Anhalts eskaliert der Streit um das Grab der Attentäter von Walther Rathenau
Pfarrerin wollte Grabstein sprengen lassen
Moritz Schwarz

Am 31. Januar entfernte eine Pioniereinheit der Bundeswehr auf dem Kirchenfriedhof der heute zu Bad Kösen gehörenden Gemeinde Saaleck den Gedenkstein der Leutnante a.D. der kaiserlichen Marine und Rathenau-Mörder Erwin Kern und Hermann Fischer. Kern und Fischer hatten am 24. Juni 1922 in der Berliner Königsallee mit Maschinenpistolen und einer Handgranate den offenen Wagen des Außenministers des deutschen Reiches, Walther Rathenau, hinterrücks angegriffen und den Außenminister tödlich verletzt.

Der Großindustrielle und Essayist, Jude und Sohn des Gründers der AEG hatte sich im Ersten Weltkrieg durch seine effiziente Organisation der deutschen Kriegswirtschaft anerkanntermaßen um den angestrebten Sieg des Vaterlands verdient gemacht. Nach der Niederlage Deutschlands jedoch war sein pragmatisch-patriotisches Handeln von rechts bis links auf Unverständnis gestoßen, schürte aber vor allem bei der extremen Rechten irrationalen Haß auf ihn.

Die beiden Kriegsteilnehmer Fischer und Kern hatten sich nach 1918 dem Freikorps "Marinebrigade Erhardt" angeschlossen. Zwar unternahm die Marinebrigade 1920 einen Putschversuch, den sogenannten "Kapp-Putsch", ließ aber davon ab, als sie angesichts eines Generalstreikes dazu gezwungen gewesen wäre, Blut zu vergießen. Obgleich sie auch weiterhin um eine Rückkehr zur Monarchie durch Staatsstreich bemüht war, hatte sie sich zuvor, durchaus nach offizieller Auffassung, im Auftrag der SPD-geführten Reichsregierung im Kampf gegen die aufständischen Spartakus-Kommunisten um die Weimarer Republik verdient gemacht. Nichtsdestotrotz schritten die beiden Attentäter mit Billigung ihres Kommandeurs, Kapitän Erhardt, zur Tat.

Hermann Fischer und Erwin Kern, deren Vorgehen zweifelsohne als feige, deren Tat als verbrecherisch, deren patriotische Motive aber als ehrenwert anerkannt werden können, wurden auf ihrer Flucht schließlich am 17. Juli 1922 auf der Burg Saaleck, nahe Bad Kösen, von der Polizei gestellt. Kern fiel im Kugelhagel der Polizei, Fischer richtete sich selbst. Beide wurden auf dem Kirchhof des kleinen Dörfchens Saaleck, als Mörder und Selbstmörder ganz am Rande des Friedhofs begraben.

Die Nationalsozialisten, die ohne Rücksicht auf historische Wahrheit die Geschichte der Freikorps vereinnahmten, stilisierten auch Kern und Fischer zu Vorkämpfern der nationalsozialistischen Sache und errichteten den beiden Männern einen Gedenkstein auf dem Kirchhof unter Mißbrauch des Zitates von Ernst Moritz Arndt: "Tu, was du mußt, sieg oder stirb, und laß Gott die Entscheidung".

Dieser Stein wurde nun auf Bitten der ehemaligen Pfarrerin von Bad Kösen-Saaleck, Frau Hoenen, unterstützt von einem Kirchengemeinderatsbeschluß, von der Bundeswehr abgebrochen. Bereits seit 1997 hatte Frau Hoenen nach Aussage von Zeugen immer wieder gedenkende Besucher des Grabes übel beschimpft und sei vor deren Augen auf der Grabstätte herumgetrampelt. Pfarrer Imbusch, seit 1999 Nachfolger von Frau Hoenen, begründet den ungewöhnlichen Einsatz der Bundeswehr im Dienste der Kirche damit, daß die Bundesrepublik Deutschland als Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches, das den Stein schließlich 1933 aufgestellt habe, durchaus zu dessen Beseitigung herangezogen werden könne.

Der verantwortliche Offizier, der Kommandeur der Panzergrenadierbrigade 38 in Weißenfels, Oberst Bernd-Günter Köpcke, sieht seinerseits den Einsatz eher als Gefälligkeit gegenüber der Kirchengemeinde an, die man, wie er betont, im Rahmen einer größeren Pionierübung durchgeführt hat. "Eine Einzelaktion der Bundeswehr für diesen Stein", versicherte er auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT, "hätte es auf keinen Fall gegeben."

Dafür spricht nicht nur, daß die Entfernung des Steins erst Ende Januar erfolgte, obgleich die Bitte schon im September/Oktober an die Streitkräfte herangetragen wurde. Oberst Köpcke widersetzte sich auch der Bitte der Kirche nach Sprengung des Steines und Entschied auf Abbruch. Inzwischen befindet sich der Stein in der Sachsen-Anhalt-Kaserne in Weißenfels, wo er zwischengelagert wird, bis ihn die Kirchengemeinde zurücknimmt.

Als Grund für den erbetenen Abriß gibt Pfarrer Imbusch "Nazi-Versammlungen" an der Grabstätte an. Dergleichen Vorgänge sind der Hauptamtsleiterin im zuständigen Bürgermeisteramt, Frau Dechandt, allerdings "seit Jahren" nicht mehr bekannt. Auch die örtliche Polizeidienststelle sowie die zuständige Polizeidirektion in Merseburg wissen nichts von solchen Vorfällen. Wie deren Pressesprecher auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT mitteilte, lägen, außer den Angaben Frau Hoenens, keine Hinweise auf Neonazi-Aktivitäten in Bad Kösen-Saaleck vor. Den Angaben der Pfarrerin sei auch nachgegangen worden, es habe sich jedoch nichts strafrechtlich Relevantes ergeben.

Oberst Köpcke bedauert inzwischen, daß ihn die Kirchengemeinde "ein bißchen im Unklaren gelassen" habe über die politische Natur der Grabstelle. Zwar stehe er noch nach wie vor voll und ganz hinter der Aktion, doch hätte er sich dann um eine bessere Information der Öffentlichkeit bemüht, wäre dem Ansinnen nach Sprengung eines Soldatengrabes entschlossener entgegengetreten und hätte die Rolle der Bundeswehr offensiver verteidigt. Gleichwohl sieht er, der sich bei anderer Gelegenheit stets schützend vor, so Köpcke, die "Kameraden der Wehrmacht" gestellt habe, das Recht der beiden kaiserlichen Offizier auf soldatische Ehre durch ihren gemeinen Mord verwirkt. Er spreche sich für eine differenzierte Betrachtung des Falles aus und nehme selbstverständlich den Protest konservativer Bürger ernst, den er von jenen Protesten aus dem Umfeld der NPD zu scheiden weiß, die sowieso nur auf eine Instrumentalisierung des Vorfalles abziele.

Inzwischen versuchen konservative Bürger, sich mit der Kirchengemeinde gütlich zu einigen. Die Entscheidung liegt bei der Kirche. Bleibt zu hoffen, daß wieder Frieden einkehrt in Saaleck, und Totengedenken und Geschichtserinnerung wieder möglich wird, ungestört von tatsächlichen wie angeblichen Nazi-Treffen.


 
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