© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/00 10. März 2000

 
Literaturarchiv will wertvolle Bücher retten

MARBACH. Das Deutsche Literaturarchiv in Marbach will Tausende von Büchern vor dem "Säuretod" retten. Wie der Literaturwissenschaftler Gunther Nickel erklärte, sind von dem Säurefraß vor allem Bücher und sonstige Schriften betroffen, die nach 1850 hergestellt wurden. In der Zeit davor wurden die Blätter in der Regel auf resistentem Hadernpapier gedruckt. Mitte des 19. Jahrhunderts gingen die Papierhersteller dazu über, Holzfasern zu verwenden. In Verbindung mit Aluminiumsulfat, das bereits seit etwa 1800 mitverwendet wurde, beschleunigen diese Fasern die Produktion von Schwefelsäure, die wiederum die Zellulose angreift.

Der Bestand im Literaturarchiv stammt zu rund 80 Prozent aus der Zeit vor 1850. In Marbach lagern etwa 600.000 Bücher, mehr als 6.000 Zeitschriften, rund 1.000 Nachlässe von Schriftstellern und Dichtern sowie 22 Millionen Blätter in der Handschriftenabteilung. Das wertvollste Stück ist das Originalmanuskript "Der Proceß" von Franz Kafka.

Die gefährdeten Bücher und Schriften werden seit November vorigen Jahres tonnenweise nach Leipzig zum Zentrum für Bucherhaltung (ZfB) verfrachtet. Dort werden sie auf 50 Grad Celsius erhitzt, der Wasseranteil auf 17 Prozent reduziert. Anschließend werden die Bücher mit einer Alkohollösung geflutet, die Titan und Magnesium enthält, und danach wieder getrocknet. Auf diese Weise wird die Schwefelsäure gebunden. Experten schätzen, daß mit dieser Behandlung die Lebensdauer der Bücher und Schriften um etwa 100 Jahre verlängert wird.

Für ein Kilo Bücher verlangt das ZfB eine "Aufbereitungsgebühr" von 32 Mark. Mit den 170.000 Mark, die dem Literaturarchiv im Jahr dafür zur Verfügung stehen, kann die Rettungsaktion nicht finanziert werden. Deshalb hat das Archiv zu einer Spendenaktion aufgerufen; rund 2.000 Geldgeber haben bis jetzt für etwa zehn Tonnen Bücher gespendet. Knapp die Hälfte davon wurde bereits behandelt. Allerdings warten noch mehrere hundert Tonnen pflegebedürftiger Bücher auf eine Behandlung. Ein Spendenkonto hat das Literaturarchiv Marbach bei der Postbank Stuttgart (BLZ 600 100 70, Konto-Nr. 90-705) eingerichtet.


 
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