© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/00 10. März 2000

 
Literatur: Vor fünfzig Jahren starb Heinrich Mann
Feind des Untertanen
Werner Olles

Einen "Zivilisationsliteraten" nannte ihn sein Bruder Thomas, als Heinrich Manns politische Kampfansagen gegen den wilhelminischen Macht- und Obrigkeitsstaat zu Beginn des Ersten Weltkrieges ihren Höhepunkt erreichten. In zahlreichen Essays geißelte er Chauvinismus und Militarismus, und schon bald erreichte "das politisch-weltanschauliche Zerwürfnis einen solchen Grad von emotionaler Bitterkeit, daß jeder persönliche Kontakt unmöglich wurde. Die beiden Brüder sahen einander nicht während des ganzen Krieges" (Klaus Mann).

Heinrich Mann wurde am 27. März 1871 in Lübeck geboren, wo der Vater eine Getreidefirma besaß. Das Bürgertum seiner Heimatstadt verachtete er schon als junger Mann, und die Übernahme der väterlichen Firma lehnte er kategorisch ab. In Dresden begann er eine Buchhändlerlehre, brach diese jedoch ab, als der Vater starb und die Familie 1891 nach München zog. Nach einer kurzen Studienzeit in Berlin und München genoß er seine von Zügen des Fin de siècle geprägte und durch eine bescheidene Rente ermöglichte Junggesellenexistenz, die es ihm erlaubte, ein Reiseleben zwischen Italien, Frankreich und der Münchner Bohème zu führen.

Schon sein erster Roman "In einer Familie" (1894) stützte sich auf das Vorbild der französischen Gesellschaftskritiker des 19. Jahrhunderts, Stendhal, Balzac und Zola. In der Romantrilogie "Die Göttinnen" (1902 f.) und in der Novelle "Pippo Spano" (1904) schilderte er hingegen rauschhaft lebende dekadente Ausnahmegestalten, die an Nietzsche und D’Annunzio erinnern, während er in dem 1900 veröffentlichten satirischen Roman "Im Schlaraffenland" in unduldsamer Schärfe und in schroffem Gegensatz zu Heimatkunst und Gründerzeit den modernen Kapitalismus in den Metropolen anprangerte.

1905 erschien "Professor Unrat" – 1930 mit Emil Jannings und Marlene Dietrich unter dem Titel "Der blaue Engel" verfilmt – mit dem er auch international bekannt wurde. Einmal mehr beschwor er hier das Ende der wilhelminischen Bürgerkultur in Gestalt eines autoritär-patriarchalischen Professors, der durch seine nicht standesgemäße Liebe zur "Künstlerin Fröhlich" schließlich seinen gesellschaftlichen Untergang erleben muß.

In den folgenden Jahren nahmen ihn, der sich schon sehr früh zu sozialistischen Lehren bekannte, politische Fragen immer stärker gefangen. Ätzend und in unversöhnlichem Ton – zuweilen grotesk und übertrieben – kritisierte er in der Romantrilogie "Der Untertan" (1914), "Die Armen" (1917) und "Der Kopf" (1925) den Zusammenhang von Großkapital und Politik. 1931 wurde Heinrich Mann zum Präsidenten der Preußischen Akademie der Künste, Sektion für Dichtung, ernannt. Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten erhielt er ein Schreibverbot, aber selbst seine Feinde erkannten in ihm einen Gegner von Rang.

So schrieb das Literaturblatt der Berliner Börsenzeitung am 25. Juni 1933: "Heinrich Mann ist wie sein Bruder Thomas deutscher Abstammung. Es wäre verfehlt, ihn und seine Werke in die Rubrik ’jüdische Zersetzungsliteratur‘ zu stecken. (...) Es hat keinen Wert, Heinrich Mann zu erniedrigen, er muß im Kampf um unser politisches, gesellschaftliches und geistiges Leben widerlegt und geschlagen werden."

Zu dieser Zeit waren seine Bücher jedoch schon verbrannt worden, stand sein Name auf den Ausbürgerungslisten und war er schon aus der Sektion Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste entfernt worden, weil er einen "Dringenden Appell" für den Aufbau einer Einheitsfront von KPD und SPD unterschrieben hatte. Von verschiedenen Seiten gewarnt, emigrierte er am 21. Februar 1933 nach Toulon und später nach Nizza. In der Emigration sammelte er die antinazistischen Intellektuellen, initiierte die Vorbereitungstagung für die Volksfront im Pariser Hotel "Lutetia" im Februar 1936 und plädierte in unzähligen Aufrufen, Essays, Anthologien und Flugschriften für einen sozialistischen Humanismus, der ihn allerdings immer öfter in eine fatale Nähe zum sowjetischen Stalinismus und zur KPD brachte.

1935/37 erschienen die Romane "Die Jugend des Königs Henri Quatre" und "Die Vollendung des Königs Henri Quatre", die seine geistige Verwurzelung in Frankreich bezeugen. Schon immer hatte er die französische Kultur im Gegensatz zur deutschen als "klar" empfunden und den Rationalismus eines Descartes gerühmt. Daß es sich dabei um eine seiner Klischeevorstellungen handelte, wurde spätestens mit der Kollaboration großer Teile der französischen Intellektuellen mit dem Nationalsozialismus klar. Nach dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht floh Mann über die Pyrenäen zunächst nach Spanien und dann weiter in die USA. Hier arbeitete er unter anderem als notorisch erfolgloser Drehbuchautor bei Metro-Goldwyn-Meyer. Auch der 1942 geschriebene Roman "Lidice", in dem er die Besetzung der Tschechei schilderte, wurde – vor allem wegen der stilistisch verknappten Form – kein Erfolg.

Als Nelly Kroeger, Manns zweite Frau, im Dezember 1944 Selbstmord verübte, vereinsamte der Dichter noch stärker. Einer Übersiedlung nach Deutschland stand er dennoch skeptisch gegenüber. 1946 erschien seine Autobiographie "Ein Zeitalter wird besichtigt", und am 5. Mai 1947 erhielt er die Ehrendoktorwürde der Philosophischen Fakultät der Berliner Humboldt-Universität. Ihrem Aufruf "Deutschland ruft Heinrich Mann" wollte er aber wegen gewisser Bedenken gegenüber der "Unzuverlässigkeit" und "Launenhaftigkeit" des SED-Regimes nicht folgen. 1950 wurde Heinrich Mann zum Präsidenten der Deutschen Akademie der Künste in der DDR gewählt, doch die Nachricht erreichte ihn nicht mehr. Am 12. März 1950 war der Dichter – zwei Wochen vor seinem 79. Geburtstag – im kalifornischen Santa Monica gestorben.

Thomas Mann würdigte seinen Bruder mit den Worten: "Die Verbindung des Dichters mit dem politischen Moralisten war den Deutschen zu fremd, als daß sein kritisches Genie über ihr Schicksal etwas vermocht hätte, und noch heute, fürchte ich, wissen wenige von ihnen, daß dieser Tote einer ihrer größten Schriftsteller war."


 
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