© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/00 10. März 2000

 
Pankraz,
Oskar Wilde und das EU-Kondom aus Brüssel

Die Meldung ging durch viele Zeitungen und wurde tagelang auf den Infotafeln der Fernsehsender gehalten: Die EU bemängele Länge und Umfang der deutschen Penisse, denn diese seien nicht mit dem kürzlich von Brüssel erarbeiteten EU-Normkondom kompatibel. Die Penisse der deutschen Männer seien im Durchschnitt etwas zu kurz und vor allem zu schlank, um in das EU-Normkondom hineinzupassen. Das müsse sich "im Interesse Europas" ändern.

Eine ähnliche Meldung kursierte vor einiger Zeit in England. Die Misthaufen auf den britischen Dörfern, las man damals, verstießen gegen die EU-Misthaufennorm, ihr Geruchsgrad sei zu hoch. Damals setzte es auf der Insel eine Menge sarkastischer Kommentare und hinreißender Karikaturen; es gab internationale Irritation, und am Ende fand sich ein Brüsseler Offizieller, der die Sache dementierte.

Diesmal, bei den deutschen Penissen, ist das anders. Kein Kommentator nimmt die Angelegenheit "auf die leichte Schulter", es gibt keine Karikaturen, und es wird auch nichts dementiert. Offenbar traut man der Angleichungswut der EU-Kommission inzwischen alles zu und duckt sich ängstlich in die Furchen, Sanktionen könnten drohen.

Das Selbsbewußtsein der EU-Bürokraten ist enorm gewachsen, allen Korruptions-Affären zum Trotz und parallel zum Wuchern und Ausufern der Brüsseler Strukturen. Als Pankraz die Penis-Meldung telefonisch zu verifizieren versuchte, geriet er in ein wahres Dickicht von Zuständigkeiten und Kompetenzansprüchen, wurde von einer Stelle zur anderen weitergereicht, von der Presse-Agentur zur Pressestelle, von der Pressestelle zum Sekretariat für dies und das, von dort zu einer Art Obersekretariat und von dort wieder zurück zur Pressestelle. Zum Schluß wurde ihm bedeutet, telefonische Auskünfte gebe es nicht, er habe seinen Informationswunsch schriftlich in dreifacher Ausfertigung einzureichen, unter Nennung seiner dienstlichen Funktion und Anfrageberechtigung und unter Beifügung des Rückportos.

Keiner der Telefonpartner übrigens hielt die Penis-Order für einen Scherz, keiner war auch nur überrascht, die meisten hatten von ihr gehört und fanden nichts an ihr auszusetzen. Deutlich zu spüren war die Überzeugtheit, daß die EU selbstverständlich das Recht habe, auch eine europäische Kondom-Norm zu erlassen, da sie doch das Recht (und nicht nur das Recht, sondern die ausdrückliche Pflicht) habe, schlechthin alles zu normieren, was sich irgendwie normieren lasse.

Angeblich nützt die Brüsseler Normierungswut den Interessen der Industrie, befördert Handel und Wohlfahrt, erleichtert Kommunikation und Verständigung. Man kann daran aber zweifeln. Industrie, Handel und Kommunikation, so wird einem ja schon in der Schule beigebracht, benötigen Freiheit wie der Fisch das Wasser, ein operables Minimum an gesetzlichen Vorschriften, eine Norm-Elastizität, die rasches Ausgreifen in Neuland ermöglicht, Innovation, Unterscheidungsqualität.

Eine Bürokratie, die alles und jedes angleichen will, muß mit solchem Freiheitsverlangen früher oder später kollidieren. Das läßt neuartige, interessante Konflikte erwarten. Ideal der Bürokratie ist nicht die Innovation, sondern die geregelte Verdauung. Das einzig Gesunde an ihr ist, wie schon Bismarck (Brief an Wagener, 1850) entdeckte, "ihr großer Magen", Kopf und Glieder, so weiter Bismarck, "werden von der Bürokratie krebsmäßig weggefressen, und die Gesetzesexkremente, die sie von sich gibt, sind der schlimmste Dreck von der Welt".

Schon heute empfinden die meisten mittelständischen Betriebe die EU-Vorschriften als schwere Belastung, ja, oft sogar als lebensgefährliche Bedrohung. Die großen Konzerne halten sich ganze ausgedehnte Juristenstäbe, um mit dem "EU-Recht" zu Rande zu kommen, und die Staatskanzleien haben alle Hände voll zu tun, um an sich vernünftige, im Interesse nationaler Wirtschaftsförderung dringend gebotene Maßnahmen vor dem Einspruch der EU-Kommission wasserdicht abzusichern, sie mit einer Semantik zu umkleiden, die den Brüsseler Bürokraten keine Angriffsflächen bietet.

Jene Bürokraten sind, wie Bürokraten nun einmal sind: lebens-fremd, paragraphenversessen, phantasielos. Ihr so gern geübtes Pochen auf "Wettbewerbsgleichheit" ist nichts als Pose. Auch auf sie trifft letztlich zu, was der arme Oskar Wilde einst über die ihn quälenden Bürokraten im Zuchthaus von Reading mitzuteilen wußte: "Sie sind grausam aus Dummheit. Ihre Dummheit ist das Ergebnis stereotyper Systeme und unverrückbarer Verordnungen, eben der Bürokratie. Was im modernen Leben unmenschlich ist, das ist Bürokratismus."

Sicher, es gibt kein System ohne zugeordnete Stereotype, kein modernes Leben ohne Bürokratie. Gute, nämlich schlanke und korruptionsfreie, Bürokratien sind eine erstrangige zivilisatorische Errungenschaft. Staaten und Staatengemeinschaften sind aber gut beraten, wenn sie ihren Bürokratien grundsätzlich mit Vorsicht begegnen und sorgfältig darauf achten, daß sie sich nicht verselbständigen. Indikatoren für solche verhängnisvolle Verselbständigung sind leicht auszumachen; die Sache mit dem EU-Normkondom ist einer.

Das Problem liegt nicht darin, daß die deutschen Penisse nicht in das EU-Normkondom hineinpassen, sondern daß solch ein Kondom überhaupt ausgeheckt wurde. Das Ding gehört schleunigst ins Kondom-Museum zu Köln am Rhein abgeführt. Dort gibt es zwar schon Kondome mit Backenbart und mit elektrischer Innenbeleuchtung, aber selbst diese sind völlig ungenormt, entsprechen nicht einmal der berühmten deutschen Industrienorm DIN. Ein Normkondom in den Beständen wäre eine absolute Innovation – und hätte somit den schönen Nebeneffekt, jedem Begriff von entfesselter Bürokratie frontal zu widersprechen.


 
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