© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/00 10. März 2000

 
DDR-Nostalgie: Zu Besuch bei der Tochter des KP-Vorsitzenden Ernst Thälmann
Es fängt wieder alles von vorne an
Werner H. Krause

Da sitzt eine alte Frau und sperrt sich dagegen, in die Zukunft zu schauen. Umgeben von Trophäen einer längst untergegangenen Epoche beharrt Thälmanns Tochter Irma Gabel-Thälmann auf den "Errungenschaften" des Sozialismus. Längst hat sich ein stalinistisch geprägter Sozialismus in der Praxis als unfähig erwiesen. Selbst die Parteispitze der gewendeten PDS würdigt den ehemaligen KP-Vorsitzenden nicht mehr. Der Mythos Thälmann, mit dem jedes Kind in der ehemaligen DDR zwangsläufig aufwuchs, ist endgültig passé.

Irma Gabel-Thälmann lebt in einer kleinen Wohnung in Baumschulenweg mit der Erinnerung an ihren Vater. Ein Zimmer ist gänzlich seinem Andenken gewidmet. Büsten mit seinem kantigen Schädel, Porträts, auf denen er mit hochgestreckter Faust seinen Parteigängern die Ideologie des Kommunismus in die Köpfe einzubläuen scheint, zahlreiche Geschenke von sozialistischen Arbeitskollektiven, welche zu DDR-Zeiten den Namen "Ernst Thälmann" trugen, kurzum: Thälmann über allem.

Doch gerade dieses Gedenken an ihren Vater ist es gewesen, das zum Bruch Irma Gabel-Thälmanns mit der PDS führte. "Für die PDS bedeutet Thälmann überhaupt nichts mehr", läßt sie ihrem Zorn freien Lauf.

Zum 50. Jahrestag der Ermordung Ernst Thälmanns im KZ Buchenwald war 1994 im PDS-Parteigebäude eine Veranstaltung vorgesehen. "Nicht einer aus der Parteispitze der PDS war zu dieser Kundgebung erschienen, um Ernst Thälmanns Kampf zu würdigen. Es verschlug mir einfach die Sprache, als ich erleben mußte, daß mein Vater in der PDS offensichtlich nichts mehr gilt. Da stand für mich fest, daß ich dieser Partei, welche sich jetzt auf bürgerlich mausert, nicht länger angehören wollte", empört sich Irma Thälmann.

Zu DDR-Zeiten erhielt sie ständig Einladungen, in Betrieben über das Lebenswerk ihres Vaters zu berichten. Nach der Wende fand sie sich in einer Gesellschaft wieder, die sie immer bekämpft hatte. Mit Genugtuung nimmt sie seitdem Einladungen von Buchhandlungen aus den alten Bundesländern an.

"Der Untergang der DDR hat in mir ein Gefühl der Trauer ausgelöst", sagt die Unbelehrbare noch heute. Doch dann wird ihr Tonfall schärfer, als sie mit jenem Mann abrechnet, dem sie die Schuld am Zusammenbruch der DDR anlastet.

"Gorbatschow hat unseren Staat auf dem Gewissen, der ist ein übler Verräter gewesen", zürnt die Ewiggestrige. Irma Gabel-Thälmann hofft auf ein Wiedererstehen des Sozialisimus, wenn dies auch eine Utopie sein dürfte.

Nach ihrer Entzweiung mit der PDS ist sie der KPD beigetreten. Sie gesteht freimütig ein, daß sie damit der PDS eins auswischen wollte. "Wir sind bloß ein kleiner Haufen, können nicht viel bewirken", schätzt sie realistisch ein. Tatsächlich zählt die KPD, die noch unter der Modrow-Regierung ihre Neugründung vornahm, nur knapp 600 Mitglieder. Doch die genügen schon, um die PDS in Harnisch zu bringen. Zwischen Irma Thälmann und der PDS herrscht so etwas wie Kriegszustand.

Die heute 80jährige hatte im Jahre 1943 die letzte Begegnung mit ihrem Vater im Zuchthaus Bautzen. Sie erinnert sich noch an seine Worte: "Entweder bringen mich die Faschisten um oder man trägt mich auf Schultern hinaus."

Erstmals äußert sich Irma Gabel-Thälmann darüber, daß ihr Vater in der Phase des Deutsch-Sowjetischen Nichtangriffpaktes einen Brief an die sowjetische Botschaft Unter den Linden richtete, um seine Freilassung nach Moskau zu erreichen. Daß sie von Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht zunichte gemacht wurde, weil Thälmann ihnen als Märtyrer in faschistischen Kerkern lieber war denn als Mitspieler um die Macht in der Partei, vermag sie bis heute nicht zu glauben.

1944 wurde Irma Thälmann zusammen mit ihrer Mutter von der Gestapo verhaftet. Eine Begründung hierfür gab es nicht. Die inhaftierte Thälmann-Tochter erhielt von der Gestapo einen anderen Namen, um unter Mitgefangenen zu verschleiern, wer sie wirklich war. "Erst viel später begriff ich, daß unsere Festnahme in Zusammenhang mit der Ermordung meines Vaters am 18. August 1944 erfolgte. Eingepfercht in einem Gefängniswagen mußte sie mit anhören, wie die begleitenden Wachposten darüber sprachen, daß der Führer der KPD, Ernst Thälmann, einem alliierten Bombenabwurf auf das KZ Buchenwald zum Opfer gefallen sei.

Noch heute ist sie aufgewühlt, wenn sie darüber spricht. Jegliche Zweifel an der Integrität ihres Vaters, der den Parteiapparat der KPD auf den harten stalinistischen Kurs festlegte, weist sie entschieden zurück. Es bereitet ihr so etwas wie eine späte Genugtuung, daß vor geraumer Zeit ein revolutionärer Freundschaftsbund "Ernst Thälmann und Genossen" seine Gründung vollzogen hat, dem sie sofort beigetreten ist.

Das Beitragsformular enthält auf der Rückseite einen Schwur, der keinen Zweifel daran läßt, was für Ziele sich die Genossen gestellt haben. Da steht zu lesen: "Ich werde mir stets und immer bewußt sein, daß der Kampf für den Sturz der Klassenherrschaft und die soziale Befreiung klug vorbereitet und unter den geringsten Verlusten realisiert werden muß". "Es fängt eben wieder alles von vorne an", so sieht es Irma Gabel-Thälmann.


 
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