© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/00 10. März 2000

 
Einwanderungsoffensive: Expertenmangel bremst IT-Branche
Spezialisten als Türöffner
Jörg Fischer

Nicht nur Neugründungen wie der Bundesverband der deutschen Computerbranche (BITKOM), sondern auch "altgediente" Verbände wie der Verband der Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik (VDE) oder der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) weisen seit einiger Zeit auf den Fachkräftemangel in der Informationstechnik (IT) hin. Nach der neuesten VDE-Statistik haben sich jetzt mit 13.164 rund acht Prozent mehr Studenten in Elektro- und Informationstechnik eingeschrieben als im Wintersemester 1998/99. An den Universitäten stieg die Zahl um 7,2 Prozent auf 4.790, an den Fachhochschulen schrieben sich 8,5 Prozent mehr ein, dort gibt es 8.370 Studienanfänger. Das Tief in den genanten Studienfächern wurde im Jahr 1996 erreicht, als nur 11.217 ein solches Studium begannen. 1990 begannen noch 24.725 Abiturienten mit einem solchen Studium, das bedeutet einen Rückgang um 55 Prozent.

Obwohl seit 1996 die Zahl der Studienanfänger wieder um 17 Prozent stieg, ist sie nach Ansicht des VDE jedoch nach wie vor zu gering, um den künftigen Expertenbedarf in den neuen Technologien decken zu können.

Der Anstieg der Studentenzahlen in der E/IT-Branche wird sich erst zeitversetzt um sechs Jahre – solange dauert ein Studium im Durchschnitt – auf die Absolventenzahlen auswirken. Den Tiefpunkt prognostiziert der VDE für 2002, der Mindestbedarf liege jedoch bei etwa 13.000 Ingenieuren im Jahr. Die Bedarfslücke wird weiter wachsen, denn Elektoingenieure und Informatiker sind zunehmend auch in der Automobilindustrie oder Medizintechnik gesucht. Ein Paradebeispiel ist Siemens. Hier hat sich der Anteil der Ingenieure bei den Beschäftigten in den letzten 30 Jahren auf 30 Prozent verdreifacht. Allein zwischen 1991 und 1997 wuchs die Zahl der Arbeitsplätze für Hochschulabsolventen im Unternehmen um 44 Prozent auf 19.500.

Neben – laut VDE – 75.000 unbesetzten IT-Stellen in Deutschland, gibt es nach EU-Angaben europaweit etwa eine halbe Million freier Stellen in der IT-Branche. Für VDI-Präsident Hubertus Christ ist die Ursache dafür, daß "in allen Industrieländern ein sinkendes Interesse an naturwissenschaftlichen und technischen Studiengängen zu verzeichnen" sei. Unbeeinflußt von der allgemeinen Rezession stieg der Anteil von Ingenieuern an den Beschäftigten in allen Branchen. "Wir haben es versäumt, diesen Sachverhalt speziell den Jugendlichen zu vermitteln", so Professor Christ in einem VDI-Nachrichten-Gespräch. Andererseits sind laut Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg 55.000 Ingenieure arbeitslos und 33.000 IT-Fachleute auf Arbeitssuche. Doch die Firmen suchen "Fachleute, die nicht nur qualitatives Wissen auf ihrem Fachgebiet haben, sondern darüber hinaus andere Qualifikationen wie Fremdsprachen, Teamfähigkeit und Sozialverhalten zusätzlich haben müssen, um ihre Stelle ausfüllen zu können" entgegnet dazu Professor Christ.

Ein weiterer Grund für den Mangel an IT-Fachleuten liegt in der weitverbreiteten neuen deutschen Technikfeindlichkeit. Das belegt eine Repräsentativstudie des Meinungsforschungsinstituts INRA vom Februar diesen Jahres zur Technikakzeptanz in der Gesellschaft. 51 Prozent der Deutschen sehen die Entwicklung hin zur Informationsgesellschaft eher positiv, 34 Prozent antworteten "teils-teils" und 10 Prozent kommen zu einer negativen Einschätzung. Interessant ist, daß 58 Prozent der männlichen Befragten pro Informationsgesellschaft eingestellt sind, aber gerade mal 44 Prozent der Frauen. Mit zunehmenden Alter nimmt die Technikfeindlichkeit zu. Auch ein Ost-West-Gefälle existiert: In den neuen Bundesländern ist die Technikakzeptanz vier Prozent höher. VDE-Vorsitzender Rolf Windmöller fordert daher: "Politik, Industrie und Verbände müssen sehr viel deutlicher auf die Chancen und Möglichkeiten der Informationstechnik hinweisen. Nur so läßt sich die Akzeptanz dieser Schlüsseltechnologien verbessern."

FDP: "Rechtsansprüche auf Einreise bleiben erhalten"

Die FDP-Bundestagsfraktion hat ein Einwanderungsgesetz in den Bundestag eingebracht. Der Gesetzentwurf wurde bereits in der vergangenen Legislaturperiode unter Federführung der stellvertretenden FDP-Vorsitzenden Cornelia Schmalz-Jacobsen erarbeitet. Um neugewonnene CDU-Wähler nicht zu verschrecken, soll das Gesetz den Titel "Zuwanderungsbegrenzungsgesetz" tragen. Westerwelle erklärte: "Die bestehende Zuwanderung muß stärker kontrolliert werden, zugleich müssen aber die in Deutschland auf Dauer lebenden Ausländer besser integriert werden. Ziel einer aktiven gesetzlichen Einflußnahme muß es sein, die Zuwanderung quantitativ zu begrenzen und dabei gleichzeitig die legitimen eigenen Interessen unseres Landes angemessen zu berücksichtigen und eine Auswahl von Zuwanderern zu ermöglichen. Das Gesetz ist nicht als zusätzliches Einwanderungsangebot, sondern ausschließlich als Lenkungsinstrument zu verstehen." Abwiegelnd fügte der FDP-Generalsekretär hinzu: "Die FDP will nicht mehr Zuwanderung, sondern mehr Kontrolle über Zuwanderung. Der Entwurf sieht vor, die Einwanderung insgesamt zu reduzieren. Jährliche Höchstzahlen sind danach auf Vorschlag einer Expertenkommission vom Gesetzgeber vorzugeben. Alle bestehenden Rechtsansprüche auf Einreise bleiben erhalten. Die Quote für Aussiedler soll schrittweise gesenkt und der Familiennachzug zu Neuzuwanderern quotiert werden. Neu hinzu kommt eine Quote für Arbeitsmigranten, um den Bedarf an ausländischen Arbeitskräften gezielt decken zu können. Mit diesen Quoten soll die Zahl der Asylsuchenden und der Familiennachzügler zu schon hier lebenden Ausländern verrechnet werden, so daß gegebenenfalls eine entsprechende Drosselung von Quoten erforderlich wird." Im FDP-Entwurf seien "obligatorische Sprach- und Eingliederungskurse" vorgesehen. Nur wer solche Kurse absolviert, erhält rechtliche Vorteile. Auch die Einbürgerung solle vom Besuch der Kurse abhängig gemacht werden. Westerwelle: "Zuwanderung muß sich an unseren eigenen Interessen orientieren." Zu den Integrationsproblemen von schon lange hier wohnenden Ausländern sagte der FDP-Politiker nichts.

Grüne: Deutschland ist ein Einwanderungsland

Cem Özdemir, innenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen will ein Einwanderungsgesetz, "denn der Mangel an Fachkräften in bestimmten Zukunftsbranchen zeige erneut, daß sich die Probleme auf den internationalen Arbeitsmärkten nicht mehr national lösen lassen. ... Der Vorschlag des Bundeskanzlers geht deshalb genau in die richtige Richtung und wird von uns unterstützt. ... Wir brauchen eine gesetzlich geregelte Zuwanderung, nicht nur von Spitzenkräften. Ein abgestimmtes und humanes Einwanderungsrecht muß aber auch soziale Fälle berücksichtigen und eine Regelung für Härtefälle schaffen." Das teilte der aus der Türkei stammende Bundestagsabgeordnete Ende Februar zur "Green-Card"-Idee von Kanzler Schröder in einer Presseerklärung mit.

Anfang März legte Özdemir nach und konkretisierte die grünen Ideen: "Wir schlagen vor, daß Regierungs- und Oppositionsfraktionen gemeinsam mit den Kirchen, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden unter Leitung desBundeskanzlers zu einem "Bündnis für eine humane Einwanderungspolitik" zusammenfinden. Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften und den neuen Oppositionsführer im Bundestag nehmen wir dabei gerne beim Wort. ... Für uns steht es außer Frage, daß es über die Anwerbung von Fachkräften hinaus weitere gesetzliche Regelungen für andere Einwanderungsgruppen geben muß. Dabei kommt es darauf an, humane Lösungen – auch für Familienangehörige und besondere Härtefälle – zu finden. Geregelte Einwanderung auf der Grundlage eines breiten gesellschaftlichen Konsens heißt aber auch, daß wir Ausländer, die schon lange mit einem unsicheren Aufenthaltsstatus in Deutschland leben, nicht mit kaltherziger Automatik wegschicken. Diese Menschen, die oftmals aus ihrer von Krieg und Bürgerkrieg betroffenen Heimat geflohen sind, müssen eine Chance haben, hier zu bleiben, hier zu arbeiten und sich zu qualifizieren. Auf diese Weise können sie selbst und ihre Kinder einen wichtigen Beitrag zum Wohlergehen dieses Landes leisten, dessen Bürger sie längst geworden sind." Die Grünen denken damit viel weiter als Schröder.


 
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