© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/00 10. März 2000

 
LOCKERUNGSÜBUNGEN
Staatstragend
Karl Heinzen

Die von der stellvertretenden PDS-Bundesvorsitzenden und Europaabgeordneten Sylvia-Yvonne Kaufmann angezettelte Diskussion, ob die demokratischen Sozialisten die Beteiligung der Bundeswehr an UN-Militäreinsätzen in Zukunft erlauben sollen oder nicht, spiegelt mehr wider als nur das Ringen um eine Marketingstrategie, die in den alten Bundesländern wenigstens die wertkonservative Linke erreicht. Vor allem nämlich geht es hier um eine Richtungsentscheidung: Muß sich die Politik der PDS nicht zwangsläufig darin erschöpfen, unablässig moralischen Rigorismus herauszukehren, weil es schließlich Abstand von einer DDR zu gewinnen gilt, in der eine pragmatisch ausgerichtete Vernunft das Sagen hatte? Oder wäre es nicht stattdessen endlich einmal angebracht, nach der nun fast zehnjährigen gesamtdeutschen Erfolgsgeschichte der Partei die Vergangenheit zu verabschieden und sich jener Gegenwart zuzuwenden, in der es so viel an Verantwortung zu übernehmen gibt? Der Gegensatz zwischen diesen Positionen ist nicht so unüberbrückbar, wie es im Vorfeld des Parteitages erscheinen mag.

Da Gerhard Schröder und Joschka Fischer unterdessen regieren, ersparen sich ihre Parteien auch jene Oppositionsrituale, die einst darüber hinweghelfen konnten, daß der Platz einer demokratischen Linken in unserem Gemeinwesen seit langem verwaist ist. Die Glaubwürdigkeit, die SPD und Grüne der Neuen Mitte vermitteln, weil sie unterlassen, was ihnen nicht aufgetragen worden ist, haben sie links verspielt, weil sie nach der bleiernen Zeit unter Kohl noch nicht einmal das möglich machen wollen, was möglich wäre. Die so entstandene Vakanz würde zu Sorgen berechtigen, wenn sie denn von Dauer sein sollte: Der Stabilität unserer nicht zuletzt auf das langfristige Vertrauen von Investoren zielenden politischen Ordnung ist nicht damit gedient, wenn es an Institutionen mangelt, die sie bei Bedarf nach links hin absichern können.

Die PDS wächst aus der Rolle einer ungeliebten Mehrheitsbeschafferin für jenen Notfall, in dem sozialdemokratische Politik anders nicht durchgesetzt werden kann, in die einer tragenden Säule unserer Demokratie hinein. Diese Aufgabe verlangt von ihr das besondere und dereinst den Grünen zugetraute Fingerspitzengefühl, nur dort Fundamentalopposition zu leisten, wo die Raison unseres Gemeinwesens dadurch nicht bedroht, sondern mittelbar sogar gestärkt werden kann. Die PDS allein verfügt über jenen noch unverbrauchten Nimbus, der es ihr ermöglicht, durch Überzeugungsarbeit eine Desillusionierung über den Spielraum von Veränderung in Gang zu bringen, ohne daß damit einer Desintegration der plötzlich mit der Realität konfrontierten Milieus aus dem Verfassungsbogen Vorschub geleistet wäre. Niemand sollte dieser Partei daher ihre Radikalität vorhalten: Nur aus der Distanz zu unserer Ordnung kann sie dieser dienen.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen