© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/00 03. März 2000

 
Kino: "Die Asche meiner Mutter" von Alan Parker
Der Wille zum Überleben
Ellen Kositza

Während in den zwanziger und dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts ganze Völkerscharen über den Ozean in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten zogen, legt die Familie von Frank McCourt 1935 den umgekehrten Weg zurück. Geldnot, mangelnde Perspektiven und ungute Erinnerungen lassen die McCourts in ihre irische Heimat zurückkehren.

Frank McCourt und seine Geschwister wachsen in den Slums von Limerick auf. Von dieser Kindheit erzählt die autobiographische Geschichte, sie erzählt von Armut, Krankheit, Tod – und der großen Hoffnung, die das Leben weitergehen läßt. Da ist die Liebe zwischen den Eltern Angela und Malachy McCourt, die immer neues Leben entstehen läßt, wobei der Todesengel niemals fern ist und diejenigen dahinrafft, die den widrigen Lebensumständen nichts entgegensetzen können. Malachy (Robert Carlyle) ist kein schlechter Vater, er steckt voller Poesie, doch er findet keine Arbeit, kann seine Familie nicht ernähren und verfällt schließlich dem Alkohol. Es ist an Angela (Emily Watson, bekannt aus Lars von Triers "Breaking the Waves"), sich und ihre Kinder durchzubringen. Jeden Tag geht es um das blanke Überleben. "Unsere Träume gingen nicht über einen Teller Suppe hinaus", beschreibt Frank McCourt das Elend seiner Kindheit. Dabei thront über dem grauen Alltag in den Straßen von Limerick das Symbol des Gekreuzigten; die katholische Kirche ist hier das einzige, was als Moral und Institution Bestand hat. Doch einen Halt bietet auch die Religion nicht. Fast scheint es, als bedecke der Glaube die verbleibende Vitalität, das unbedingte Überlebenwollen mit blankem Hohn.

Trotz der Not und des Elends, allgegenwärtig sogar in der Liebe, erschlägt Parkers Film seine Zuschauer nicht mit dumpfer Depression, er wirkt durch einen bezwingenden melancholischen Grundton, der statt der Häßlichkeit die Wahrheit und die Schönheit dieses Lebens an der Existenzgrenze herausstellt – ohne Kitsch, mit verhaltenem Pathos. Ein kleiner Schönheitsfehler ist allein die Besetzung des "mittleren" Frank (Ciaran Owens), der äußerlich nicht so tadellos wie der ganz junge (Joe Breen) oder der adoleszente Frank (Michael Legge) in diese Rolle passen will.

Es gibt wenige Regisseure, die es wie Alan Parker verstehen, Stimmungen authentisch einzufangen, gänzlich unmanieriert Szenen darzustellen, die aus sich heraus berühren. Zu einem weiteren irischen Thema ist dies dem britischen Regisseur mit dem Film "Die Commitments" gelungen, "Angel Heart", "Mississippi Burning" und "Evita" sind weitere Beispiele dafür, wie Parker anstelle von bloßen Effekten auf raumgreifende Gesten setzt und dadurch Bilder schafft, die sich einbrennen.

Unterdessen entfachte der Film in Limerick aufgeregte Empörung, zur irischen Premiere haben aufgebrachte Einwohner Mahnwachen und Lichterketten vor dem stadtgrößten Kino initiiert. Limericks Bürger befinden, schon McCourts Roman von 1996 habe dem Ansehen ihrer Heimatstadt geschadet, der Film nun werde den Ruf der Stadt vollends ruinieren. Bereits das Buch, ein 550 Seiten dicker Wälzer, wurde ein weltweiter Bestseller, der Film dazu verdient den entsprechenden Erfolg.


 
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