© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/00 03. März 2000

 
Schleswig-Holstein: Eine Landtagswahl ohne Überraschungen
Alle atmen erleichtert auf
Jochen Arp

Alle sind erleichtert. Die SPD, weil sie wieder die schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin stellen kann; die Grünen, weil sie trotz miserabler Regierungsleistung noch einmal in den Landtag gerutscht sind; die FDP, der man noch vor einem halben Jahr voraussagte, ihr Lebenslicht werde bald verlöschen, weil sie um fast zwei Prozent zugelegt hat; der SSW, der als politischer Arm der dänischen Minderheit von der Fünf-Prozent-Sperrklausel befreit ist und trotzdem aufgrund des neuen Wahlgesetzes nun auch im Landesteil Holstein kandidieren konnte und dort Proteststimmen einsammelte.

Vor allen Dingen aber kann die CDU jubeln. Zwar hat sie nicht ihr Wahlziel erreicht, mit Volker Rühe den Ministerpräsidenten in Kiel zu stellen, doch blieb ihr mit knapp über 35 Prozent das von vielen Anhängern befürchtete Schicksal erspart, aufgrund des fast kriminellen Finanzgebarens an der Spitze ins Bodenlose zu stürzen. So ist aus der angeblichen "Schicksalswahl im Norden", wie die Medien trompeteten, eine verhältnismäßig langweilige Wahl geworden.

Dabei hatte noch vor wenigen Monaten die Parteienlandschaft in Schleswig-Holsein ganz anders ausgesehen. Angesichts einer zerfahrenen Bundespolitik der rot-grünen Regierung in Berlin liefen SPD und Grünen die Wähler in Massen davon und meinten, in der CDU eine Alternative zu finden. Umfragen gaben der CDU in Schleswig-Holstein einen Vorspruch von zehn Prozent vor der SPD.

Dann kam der CDU-Finanz-Kladderadatsch mit allen seinen Folgen. Auch im hohen Norden rutschte die CDU in den Keller. Sie hatte sich von außerhalb einen Spitzenkandidaten geholt, den Hamburger Volker Rühe, der bisher keine Affinität zu seinen nördlichen Nachbarn hatte erkennen lassen. Stoltenberg soll hinter den Bemühungen gesteckt haben, Rühe am schleswig-holsteinischen Landesvorsitzenden vorbei nach Kiel zu holen. Eigentlich hatte sich der vor gar nicht langer Zeit gewählte Landesvorsitzende Peter Kurt Würzbach, ein ausgewiesener Konservativer, Chancen ausgerechnet, an der Spitze seiner Partei in den Landtagswahlkampf zu ziehen; er hatte zwar markige Reden gehalten, die ihm den Beifall der Basis einbrachten, ließ aber konkrete politische Umsetzungen seiner Forderungen und Ankündigungen vermissen. So fanden Stoltenbergs Bemühungen, einen Matador von außen zu holen, Unterstützung bei Teilen der CDU-Landtagsfraktion, die keineswegs auf der konservativen Schiene liefen, sondern eher den Liberalismus lobenswert fanden.

Rühe war für alles gut. Er hat noch nie recht deutlich werden lassen, daß er bestimmten Grundsätzen folgt, es sein denn, man wertet seinen Drang nach einer steilen Karriere als die Verfolgung politischer Ziele. Als Verteidigungsminister zog er den Zorn der Konservativen auf sich, als er angesichts der Agitation von Reemtsma und Heer gegen deutsche Soldaten sich in volle Deckung begab und keinen Finger krumm machte für die Verteidigung der ehemaligen Wehrmachtssoldaten, die in der jungen Bundesrepublik die Bundeswehr aufgebaut hatten, sondern die Bundeswehr von jeder deutschen Tradition abschnitt. Er folgte jedem Zeitgeistdruck, ließ durch fliegende Kommandos in den Kasernen der Bundeswehr Traditionsecken abräumen, nannte Kasernen nach den Wünschen der Linken um, kurz er tat alles, um seiner Karriere nicht zu schaden. Eines allerdings konnte niemand leugnen: er war ein Krafthuber mit bullenartiger Durchsetzung. Und die Christdemokraten freuten sich, einen Macher gefunden zu haben, der den Anschein erweckte, er werde wie eine Dampfwalze über die politische Landschaft rollen.

Seinen Wahlkampf führte er nicht mit inhaltlichen Aussagen, sondern mit Schnäcken wie "Arbeit, Zukunft, Volker Rühe" oder "Bessere Ausbildung, bessere Aussichten. Hier kommt die Zukunft – Volker Rühe". Er wollte keine andere Politik als SPD und Grüne machen, sondern diese Politik besser durchsetzen. Allerdings blieb er die Antwort darauf schuldig, wie er seine von den Bürgern bejubelten Versprechungen, etwa 1.000 Lehrer neu einzustellen, bezahlen wollte.

Wenn die rot-grüne Bundesregierung weiterhin so vor sich hingedümpelt wäre wie im vergangenen Jahr, wäre das Rezept der CDU mit Rühe an der Spitze aufgegangen. Dann aber erfolgte der tiefe Fall der Christdemokraten, und sie erschienen den Wählern in einem noch trüberen Licht als die Rotgrünen. In Ermangelung einer Alternative wandten sich die Bürger der SPD zu.

Was hat nun in Schleswig-Holstein den Absturz der CDU verhindert? Tatsächlich hat sich in den letzten Wochen vor der Wahl gezeigt, daß sich die CDU-Basis, nachdem sie ihren ersten großen Schreck überwunden hatte, fester um ihre Partei scharte. Die CDU-Wahlveranstaltungen waren so stark besucht von Mitgliedern und Sympathisanen wie selten zuvor, gleichgültig ob man sich im Hinterzimmer eines Dorfgasthauses traf oder in den großen Hallen der Städte. Allerdings wollte man nichts über schleswig-holsteinische Bildungspolitik hören, sondern erwartete Aufklärung über die Skandale in der Parteispitze. Die Besucher beschworen die Partei, die Unsauberkeiten aufzudecken und dafür zu sorgen, daß sie nicht weiterhin geschehen. Das wurde ihnen vesprochen.

Schließlich kam bei dem gutbürgerlichen Publikum die Angst hinzu, daß nunmehr die Linken übermächtig würden. So hielt noch ein erheblicher Teil der traditionellen CDU-Wähler zu der Partei, weniger weil sie überzeugt waren von deren Politik, als vielmehr aus Befürchtungen, daß sonst die Linken den Durchmarsch antreten würden.

Spannend wird die Situation innerhalb des Landesverbandes Schleswig-Holstein der CDU. Rühe mit seinen Gefolgsleuten hat den bisherigen Landesvorsitzenden Würzbach demontiert. Der zog trotzdem loyal durch die Dörfer, wo die konservative Landbevölkerung zu erreichen ist und breitete in Wahlversammlungen das Bild einer konservativen CDU-Politik aus, das der Wirklichkeit nicht entsprach. Nun allzu gern glaubte aber sein Publikum die Parolen, die in der Wirklichkeit keine Entsprechung gefunden hätten.

Nun geht Rühe nach Berlin, um dort, wie er scheinheilig verbreitet, die Interessen der Schleswig-Holsteiner wahrzunehmen. Auf den Landesvorsitzenden Peter Kurt Würzbach aber kommt ein Scherbengericht zu, weil er, den Rühe kräftig gegen das Schienbein trat, am Wahlabend vor laufenden Fernsehkameras zurücktrat, indem er von einem "schlimmen Ergebnis" und einer "bitteren Quittung" für die CDU sprach, obgleich Rühe das Ergebnis schönredete, um seine Chancen als möglicher Parteivorsitzender zu stärken. Tatsächlich hatte Rühe vor der Wahl erklärt, er würde es sich als Verdienst anrechnen, die CDU bei Erreichung des vorherigen Landtagswahlergebnisses von 37,2 Prozent zu stabilisieren. Das hat er nicht geschafft.

Würzbach ist noch etwas über ein Jahr lang Landesvorsitzender. Wenn er nicht vorher gestürzt wird oder selbst die Klamotten hinschmeißt, ist sein politisches Ende gekommen. In CDU-Kreisen wird geraunt, daß man – in der Nord-CDU kann man eventuelle Führungspersönlichkeiten mit der Lupe suchen – den jetzigen Europa-Abgeordneten Reiner Böge, einen 48jährigen Diplom-Agraringenieur aus dem Kreis Segeberg, der vor allem bei der Aufklärung des BSE-Skandals in Brüssel eine gute Figur gemacht hat, auf den Schild heben will. In der Bevölkerung Schleswig-Holsteins ist Böge nicht verankert.

Damit kann man alle Hoffnung fahren lassen, daß aus dem CDU-Desaster eine Selbstbesinnung der Parteien wird, die zu einer Reform an Haupt und Gliedern führen könnte. Sie werden ihre Allmacht weiter behalten, werden sich unter den Nagel reißen, was immer sich anbietet, werden die Posten paritätisch unter sich aufteilen, sich an ihre Macht klammern, und sie können sich dabei sogar auf den Wählerwillen berufen.


 
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