© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/00 03. März 2000

 
Parteien II: Fraktionsgeschäftsführer Manfred Grund über politische Stimmungen
"Eine Sehnsucht nach Führung"
Jörg Fischer

Herr Grund, Frau Simonis in Kiel erreichte über 43 Prozent der Stimmen und hat mit den 6,2 Prozent der Grünen die absolute Abgeordnetenmehrheit, Volker Rühe feiert seine 35,2 Prozent als Erfolg – zu Zeiten von Stoltenberg waren absolute Mehrheiten üblich. Was bedeutet das für die Bundespolitik?

Grund: Wählerzustimmung wie zu Zeiten Stoltenbergs war in Schleswig-Holstein noch vor sechs Monaten so gut wie sicher. Auf Heide Simonis hätte niemand seinen alten Hut verwettet. Verglichen mit dem Europawahlergebnis von über 50 Prozent sind die 35,2 Prozent eine Enttäuschung, gemessen an der letzten Bundestagswahl und gemessen an der "Anti-CDU-Kampagne" der letzten Monte ist dies ein durchaus respektables Ergebnis. Von einem festen Wählerstamm ausgehend, läßt sich der Wählerzuspruch wieder verbessern. Für die Wahl in NRW ist wieder alles offen.

Die Abgeordneten aus den neuen Bundesländern waren am "System Kohl" unbeteiligt, Kurt Biedenkopf war nie ein Freund Kohls, der bisherige Unionsfraktionsvize Luther aus Sachsen hat als erster Konsequenzen gefordert, trotzdem verliert die Union auch zwischen Kap Arkona und Erzgebirge. Empfinden Sie das als gerecht?

Grund: Bei Wahlentscheidungen halten sich Mitleid und Gerechtigkeit in Grenzen. Die Wähler in den neuen Bundesländern machen ihre Wahlentscheidung auch stärker von Augenblicksstimmungen abhängig. Da hat die letzte Schlagzeile der Bild-Zeitung mehr Einfluß als die eigene Überzeugung oder die Frage, ob Gerechtigkeit waltet.

Nachfolger von Wolfgang Schäuble als Fraktionsvorsitzender ist seit Dienstag der Finanzexperte Friedrich Merz. Was halten Sie von ihm?

Grund: Mit Friedrich Merz verbinden sich viele Erwartungen. Er wird der Fraktion ein markantes Profil geben; er wird die Rolle des Oppositionsführers erfolgreich gestalten. Dabei braucht er die breite Unterstützung aus Fraktion und Partei. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit ihm.

Umstritten ist in der CDU, ob auf dem Parteitag im April zunächst ein Übergangskandidat – wie beispielsweise der thüringische Ministerpräsident Bernhard Vogel – CDU-Vorsitzender werden soll. Auch Volker Rühe und Angela Merkel gelten nicht als Konservative. Droht eine Linkswende in der CDU?

Grund: Wieso kann man als Frau aus dem Osten nicht konservativ sein? Die ganze Etikettierung ist doch nur Verhinderungsstrategie. Zuerst gilt doch, was wollen unsere Mitglieder, und wie werden wir unseren Wähler gerecht? Davon abgeleitet wird es weder einen Linksruck geben, noch einen Rückfall in den Strukturkonservatismus.

Politik soll vor allem gestalten, nicht Personal-Karusselle drehen. Wie geht es inhaltlich weiter? Wie will die CDU/CSU-Fraktion wieder inhaltlich punkten?

Grund: Wir müssen öffentlich wieder wahrgenommen werden, ohne auf Spendenskandale reduziert zu werden. Die Personalentscheidungen sind erste Vorbedingung. Danach gilt es, uns den Inhalten zuzuwenden. Unsere Entwürfe zur Sicherung der sozialen Sicherungssysteme, zur Steuerreform gehören breit diskutiert. Aber auch das Thema Nationalstaat / Europa und dieEU-Erweiterung gehören auf die Agenda.

Umfragen in Deutschland geben einer fiktiven deutschen FPÖ 15 Prozent. In den neuen Bundesländern laut Umfragen noch mehr. Warum?

Grund: Es ist die Sehnsucht nach Führung, klaren Worten und einfachen Antworten. Dafür sind viele anfällig, in Österreich, in Frankreich, in Deutschland, und natürlich auch in den neuen Bundesländern. Allerdings ist die Gesellschaft in Mitteldeutschland weniger offen als die Gesellschaft in den alten Bundesländern. Soweit allerdings eine Sehnsucht nach mehr nationaler Identität damit verbunden sein sollte, ist dies ein von der CDU bisher vernachlässigtes Politikgebiet.

 

Manfred Grund, 44, Diplom-Elektroingenieur, ist seit 1994 direkt gewähltes Mitglied des Deutschen Bundestages für das thüringische Eichsfeld und seit 1998 Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.


 
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