© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/00 03. März 2000


Verpuffter Ärger
von Dieter Stein

Mancher leidenschaftliche Demokrat hatte sich von den Schleswig-Holstein-Wahlen ein Schlachtfest erwartet. Nach all den Skandalen wäre doch ein Blutbad unter den CDU-Kandidaten nur konsequent gewesen. Oder wenigstens ein scharenweises Fernbleiben der Wähler von den Wahlurnen. Stattdessen: Offenbar eine Landtagswahl wie jede andere. Eine leicht gesunkene, aber vergleichsweise ordentliche Wahlbeteiligung. Und moderate Stimmenverluste der CDU gegenüber der letzten Kieler Landtagswahl. Nicht einmal ein historisches Tief wurde erreicht. Nach der Barschel-Affäre war die CDU tiefer gestürzt.

Kurz: Der Ärger über die Spendenaffäre scheint wieder zu verpuffen oder schon verpufft zu sein. Oder ganz anders: Die Normalbürger haben sich nie so furchtbar über die Skandale um Kohls Schwarzkonten aufgeregt wie die Politiker und Medienmacher selbst. Man hat nur die Politiker so zu Gesicht bekommen, wie man sie schon immer gesehen hat. Welchen Grund hat man also, sich von Parteien abzuwenden, die man tendenziell schon immer für korrupt angesehen hat, tönt es von den Stammtischen, wo bekanntlich Volkes Meinung zu hören ist.

Wohin sollte sich bürgerlicher Protest auch wenden in Deutschland? Derzeit ist keine ernstzunehmende starke Kraft in Sicht, in der sich der Bürgerprotest massenhaft bündeln ließe. Konservative, nationalliberale, rechtskonservative Grüppchen und Gruppen zersplittert, zerspellt in alle Windrichtungen, dutzende kleiner Mini-Haiders im Handgemenge verkeilt; der eine will nun Bungee-Jumpen, der andere Fallschirmspringen, der dritte legt sich auf die Sonnenbank. Der Österreich-Effekt will aber nicht so recht auf Deutschland übergreifen.

Stattdessen sieht es eher danach aus, daß die CDU sich auf wundersame Weise von der Kohl-Affäre erholt. Der schmerzhafte Ablösungsprozeß vom schwergewichtigen Übervater könnte in einen Aufstieg aus dem Jungbrunnen umgemünzt werden. Fraglich ist nur, ob die aprilfrische CDU unter Rühe und Merkel zu einer noch stromlinienförmigeren Formation wird, oder ob sie grundlegende Konsequenzen aus dem Debakel zieht.

Das Beispiel Österreich zeigt, daß selbst neue und radikal-demokratische Parteien wie die Freiheitlichen nicht davor gefeit sind, bei Machtbeteiligung in Opportunismus umzukippen und Inhalte und Methoden des zuvor angegriffenen Parteienkartells zu übernehmen. Freiheitlicher Reformdruck nach einem Zurückdrängen von Parteienmacht und staatlicher Machtanmaßung muß deshalb öffentlich quer zu allen Parteien ausgeübt werden. Auf Parteien allein ist dabei kein Verlaß.


 
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