© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/00 25. Februar 2000

 
Friedrich Ebert: Vor 75 Jahren starb der erste deutsche Reichspräsident
Ein Patriot des Reiches
Burkhart Berthold

Ebert verkörpert in schöner Anschaulichkeit so ziemlich alles, was iein Teil der deutschen Rechten am neuen Staat verabscheute: Er war ein Spießer, blaß, bieder und behäbig. Es fällt schwer, sich den Fritze Ebert in irgendeiner Art von heroischer Bewegung vorzustellen; auch verbindet sich mit seinem Namen kein mutiger Entschluß, kein kühner Entwurf, keine mitreißende Rede. In einer Zeit, die überreich war an dramatischen Szenen und die selbst Naturen wie dem wackeren Philipp Scheidemann einen großen Auftritt bescherte, bleibt Ebert blaß, beleibt und bieder. Und doch war es dieser so ganz und gar unmerkwürdige Mensch, der die Große Sozialistische Novemberrevolution verhinderte.

Friedrich Ebert wurde am 4. Februar 1871 in Heidelberg geboren. Sein Vater war Schneidermeister, die Mutter entstammte kleinbürgerlichen Verhältnissen. Von den neun Geschwistern starben drei früh, einer brachte es zum Hausbesitzer, ein anderer wurde Trambahnschaffner, die Mädchen heirateten, nur der kleine Fritz fiel aus der Art. Emil Felden, einer seiner Biographen, ließ ihn schon als Zwölfjährigen kluge Reden führen, aber das lag vielleicht an Feldens Hauptberuf: Als Pfarrer hatte er gewissermaßen dienstlich mit frühreifen Knaben zu tun.

Zunächst aber verhieß sein Lebensweg nichts Aufregendes: Friedrich trat die Sattlerlehre an, in die SPD ein und nach Bremen über. Dort brachte er es nach und nach zu einer lokalen Parteigröße und zu einem großen Parteilokal: Der junge Sattler sattelte aufs Wirts-Gewerbe um, heiratete, empfahl sich Bebel und taufte seine Kinder gut preußisch: Friedrich, Georg, Heinrich, Karl und Amalie. Ein Familienfoto dieser Zeit zeigt ihn, blaß, beleibt und bieder, beinahe erdrückend hinter den Seinen: Der mächtige Schnurrbart allerdings wirkt ein wenig angeklebt.

Was Bebel an ihm schätzte, sollen sein Eifer, sein Organisationsvermögen, seine Zuverlässigkeit gewesen sein – Eigenschaften, die sozusagen im Verborgenen blühen und nicht gerade einen Volkstribun verheißen. Aber ein solcher war Bebel schließlich selbst. Ebert wurde 1905 in den Parteivorstand gewählt, 1912 kandidierte er erfolgreich für den Reichstag. Beiträge zur hitzigen Theorie-Debatte in der damaligen SPD leistete er keine – die Partei war stramm marxistisch: Ob Ebert sich jemals mit den "Klassikern" des Sozialismus herumschlug ist unbekannt, dagegen schätzte er die Klassiker des Bürgertums: Einen Arbeiterbildungsverein, sinnigerweise Goethe-Bund geheißen, förderte er entschieden. Gelegentliche Goethe-Zitate in seinen späteren Reden müssen keine Geistesblitze seiner Redenschreiber gewesen sein, selbst Eberts Tochter sinniert in ihrem Tagebuch über Goethe – und das als Sechzehnjährige.

1913 stirbt Bebel. Amt und Uhr erbt Friedrich Ebert. Als Chef der aufstrebenden SPD ist er nun prominent. Bei Kriegsausbruch steht Ebert für die große Mehrheit seiner Partei: Einige pazifistische Pflichtübungen verdecken kaum die patriotische Begeisterung der Arbeiter. Alle stramm marxistische Theorie geht über Bord auch die internationale Solidarität der Proletarier. Wo die Völker ihre Vaterländer bedroht sahen, zogen sie blank – und ein Pazifist wie Jean Jaurès, der an den alten Idealen festhält, fällt als erstes Opfer dieses Krieges – in der Heimat.

Friedrich Ebert stimmt für die Kriegskredite. Sein Patriotismus, schlecht getarnt als Furcht vor dem reaktionären Rußland, ist echt. Seine Söhne teilen ihn – und gehen an die Front. Friedrich junior wird verwundet, Heinrich fällt in Mazedonien, Georg am Chemin des Dames. Es gibt Bilder von den beiden jungen Männern in Uniform: Besonders bei Georg wirkt alles eine Nummer zu groß. Das Gewehr 98 mit aufgepflanztem Bajonett reicht über die Stirn.

Friedrich Ebert, an der Spitze der SPD, unterstützt die kaiserliche Regierung: Mitwirkung am Hilfdienstgesetz (Arbeitseinsatz für alle nicht-eingezogenen Männer), Friedensresolution des Reichstages, Absage an die revolutionsvorbereitende Zersetzungspolitik der radikalen Linken: Als es im Januar 1918 zu Streiks kommt, setzt er sich formal an die Spitze dieser Bewegung – und beendet sie nach wenigen Tagen: Die Revolution findet nicht statt.

Die Revolution findet auch im November 18 nicht statt. Die Front steht, aber die Etappe fällt. Als der Krieg verloren ist, zieht sich der Kaiser zurück. Auch Prinz Max von Baden, des Kaisers letzter Kanzler, zieht sich zurück. Doch zuvor bittet er Ebert zu sich. "Ich lege Ihnen das Schicksal des Deutschen Reiches ans Herz", sagt Prinz Max. "Zwei meiner Söhne sind für dieses Reich gefallen," sagt Ebert.

Die Revolution steht vor der Tür, aber sie tritt nicht ein. Hinter der Tür sitzt Ebert, verhandelt mit den einen, kungelt mit den anderen, verbündet sich mit dem – inzwischen ehemals – kaiserlichen Heer, läßt sich zum Vorsitzenden des Rates der Volksbeauftragten wählen, was ihm eine Art von Legitimität verleiht. Leider verleiht diese Legitimität aber keine Macht. Die Generale beschließen, es mit diesem Sozi mal zu probieren, besser als Rosa und Karl wird er wohl sein, aber auch den Generalen fehlt die Macht: Die Truppe ist müde, rebellisch oder geht nach Hause. Nur wenige bleiben, und das sind unheimliche Gesellen: Frontkämpfer und junge Freiwillige bilden die ersten Freikorps. Ihnen imponieren die alten Generale ebenso wenig wie die neuen Herren, am wenigsten dieser Dicke da, der blaß, beleibt und bieder als Staatsoberhaupt posiert. Aber dieser Ebert erscheint ihnen als einzige Alternative zum Bolschewismus – und was der bedeutet, wissen sie, dennoch hat Ebert nun eine Truppe.

Und diese Truppe siegt. Zwischen November 1918 und März 1919 tobt der Bürgerkrieg. Hunderte von Toten allein in Berlin. Daß die meisten Bürger um ihren Krieg einen Bogen machen – Ernst von Salomon, einer der Freikorps-Kämpfer, beschreibt, wie das zivile Leben in beinahe obszöner Weise weitergeht, ändert nichts, erklärt aber manches: Der Republik fehlen von Anfang an die Republikaner. Als noch nicht klar ist, wie die Unruhen enden, schweigen auch all die Schöngeister, die sich später für Weimar noch begeistern. Thomas Mann etwa, der eine feine Nase für die Konjunktur besaß, machte damals noch in Reaktion. Erkämpft wurde Eberts neues Deutschland nicht von der SPD, den Gewerkschaften oder den vereinigten Sattlergesellen, sondern - von den Arbeitern und Bauern, die in den Reihen der Freikorps den Spartakus zerschlugen. All die biederen Mitglieder der Nationalversammlung in ihren guten Anzügen, die sich um Hugo Preuß scharten, Eduard David und Friedrich Ebert konnten das nur, weil bedeutend weniger gut gekleidete, dafür aber besser bewaffnete Soldaten sie schützten. Daß diesen der geballte Dank des Vaterlandes in Gestalt ihrer baldigen Entlassung und Verhöhnung gewiß sein würde, hat sie vielleicht nicht einmal überrascht.

Friedrich Ebert wurde ein guter Präsident. Er konnte den Versailler Vertrag nicht verhindern, nicht die Ruhrbesetzung, nicht die Inflation. Aber wer hätte das gekonnt? Kemal Atatürk vielleicht, der den Alliierten den "Friedensvertrag" vor die Füße warf und die Invasion zurückschlug. Aber Deutschland ist nicht Anatolien. Was Ebert gelang: Er verteidigte die Reichseinheit mit Zähnen und Klauen, er ließ sich auf keine Bekenntnisse deutscher Kriegsschuld ein, und er bemühte sich, aus seinem taktischen Bündnis mit dem Heer eine echte Versöhnung zwischen Links und Rechts wachsen zu lassen. Es war nicht sein Schuld, daß die Matadore zur Rechten wie zur Linken es sich leicht machten und es vorzogen, Alle gegen den Dicken! zu spielen. Seine eigene Partei war drauf und dran, ihn auszuschließen, Tucholsky attackierte ihn mit Leidenschaft, George Grosz und Rudolf Schlichter zeichneten ihn als Geldsack, Fettwanst, Schweineschnauze - und die Rechte sah in ihm kurz eine Art Kriegsgewinner.

Letztlich blieb sein Einfluß, nachdem er Deutschland ohne Genie, aber mit guten Nerven an der Revolution vorbeigesteuert hatte, begrenzt. Festakte aller Art nahmen einen Großteil seiner Tätigkeit ein. Auf den Fotos sieht man ihm oft das Vergnügen an, das ihm das Amt bereitete. Insgesamt aber war er zu kurz Präsident, um der Wahnidee von der eigenen Bedeutung zum Opfer zu fallen, die bei uns so viele hohe Herren dahinrafft. Schlimmere Laster als Zigarren sind unbekannt, und reich wurde er nicht. Ein Foto zeigt ihn vor einem Gefallenendenkmal, und hier sieht er einmal nicht blaß, beleibt und bieder aus, sondern schmerzerfüllt. Wir, die wir solche Szenen kennen, staunen: Denn hier ist sie echt. Das war im August 1924. Ein halbes Jahr später starb Friedrich Ebert, sieben Jahre nach seinen beiden Söhnen.


 
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