© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/00 25. Februar 2000

 
Interview: Industriellenchef Fritz über die wirtschaftlichen Folgen der Boykott-Kampagne
"Es ist kein Krisenstab nötig"
Andreas Mölzer / Walter Tributsch

Herr Generalsekretär Fritz, gibt es einen Schaden für den Standort Österreich wegen der Anti-Österreich-Kampagne?

Fritz: Das hängt davon ab, wie lange diese Art von politischer Quarantäne andauern wird. Wir von der Industriellenvereinigung gehen davon aus, daß es jedenfalls nicht kurzfristig vorbei geht. Man stellt sich besser auf Jahre ein, jedenfalls bis Ende des nächsten Jahres, und dann kann man nie ausschließen, daß es Fälle gibt, wo nicht in Österreich investiert wird, sondern auch anderswo, wo der eine oder andere Auftrag auch verloren geht. Ich bleibe aber dabei, es wird uns da und dort weh tun, aber nicht umbringen.

Kennen Sie konkrete Fälle, wo Betriebsansiedlungen abgesagt werden, oder die Zurücknahme größerer Aufträge?

Fritz: Ich kenne einzelne Fälle, aber es sind so wenige, daß ich bislang nicht einmal eine Liste angelegt habe, und auch die Quantifizierung im Sinne dessen, was das jetzt konjunkturell und wachstumsmäßig oder Bruttoinlandsprodukt-mäßig bewirkt, das kann alles noch nicht quantifiziert werden. Vielleicht muß man das tun, wenn dieses Thema weitergeht. Gott sei Dank muß man das derzeit nicht, es gibt auch keinen Krisenstab in der Industriellenvereinigung.

Was bedeutet es für die Wirtschaft als Ganzes und den Tourismus?

Fritz: Da sollte man besser die Hoteliervereinigung fragen, aber ich habe den Eindruck, daß die, die den Winterurlaub gebucht hatten, zumeist auch gekommen sind. Wie das im Sommer und nächsten Winter ausschaut, kann ich schwer beurteilen. Ich habe nur ein Vergleichsbeispiel: In der WaldheimZeit wurden wir ja eigentlich auch geschnitten. Und dort hat letztlich zurückblickend in diesen ganzen sechs Jahren der Tourismus in Summe nie gelitten. Sollte das diesmal wieder so sein, soll es mir recht sein, aber das weiß ich natürlich nicht.

Hat man im Kreise der Industriellenvereinigung Sorge, daß sich auf den Finanzmärkten etwas zum Nachteil für Österreich tun könnte?

Fritz: Da haben wir gegenteilige Informationen, weil uns das natürlich auch sehr interessiert. Die internationalen Manager und Analytiker gehen eher davon aus, daß das Riesenchancen sind, das Privatisierungsprogramm zu forcieren. Wir haben, wie die ausländischen Medien ja schon darlegen konnten, keinen Plunder zu verkaufen, sondern wirkliche Essenz, wirkliche gutlaufende Firmen, auch international herzeigbare, die im internationalen Vergleich eher unterbewertet als überbewertet sind. Es sind also Chancen für ausländische Investoren einzusteigen, auch für strategische Partner. Die Börse Wien ist sicher kein Maßstab, um zu sagen, ob diese Regierung jetzt angekommen ist oder nicht.

Wie sieht die Industrie den wirtschaftlichen Teil des Regierungsabkommen?

Fritz: Wir haben einen genauen Vergleich gemacht zwischen dem Programm, das jetzt am Tisch liegt, und dem Programm, das ÖVP und SPÖ ausgehandelt hatten. Wir stellen Gott sei Dank fest, daß dieses Programm Verbesserungen hat. Jedenfalls in Ansätzen, die durchaus geeignet sind, vertieft und erweitert zu werden. Es geht in zwei Richtungen: Die alte Regierung hätte im wesentlichen nur das Budget saniert. Diese Regierung muß das auch, will aber trotzdem die Zukunft nicht verschlafen und investiert in unser aller Zukunft. Jetzt hören wir uns den Vorwurf an, daß gerade umverteilt würde von dem "kleinen Mann" zum Unternehmen, was ich aber für Unsinn halte. Das heißt nichts anderes, als daß in den Standort investiert wird, in die Wohlfahrt von morgen für alle von uns, und das ist gescheit. Und der zweite Unterschied ist, man geht Systeme an. Es gibt einige Systembrüche bereits vorgezeichnet in einem Programm, andere sind noch verdeckt. Da wird sich Österreich noch ereifern, wenn sie draufkommen, daß da Systembrüche eingebaut sind. Die sind aber gut und notwendig.

Was wären das für Systembrüche?

Fritz: Schauen Sie, der offenste Systembruch ist doch wohl in der Regierung die Machtteilung. Warum ist SPÖ mit der ÖVP nicht mehr zusammengekommen? Auf der einen Seite, weil den Gewerkschaften all diese Strukturreformen zuviel waren; jetzt werden sie feststellen, daß das im Minimum zu passieren hat, schon weil es Brüssel verlangt. Es ist aus einem zweiten Grund nicht zustande gekommen, weil sie das Finanzministerium nicht aufgeben wollte. Ich verstehe das. Die Machtzentrale sozialdemokratischer Politik; dort muß jede Budgetposition, auch wenn es dreimal schon ausgemacht ist, vor Ausgabe genehmigt werden. Man weiß immer, wer wie wo was tut und hat alles in der Hand, was sich bewegt oder nicht bewegt in diesem Land. Damit ist Schluß. Es gibt ein Globalbudget und es gibt ein modernes Controlling.

Was halten Sie vom aktuellen Disput um die Größe des Lochs im Staatshaushalt?

Fritz: Das ist politisches Marketing. Ich glaube, wir reden von denselben Ziffern. Da hat der Budgetexperte Gerhard Lehner vom Wirtschaftsforschungsinstitut Recht, es wird nur unterschiedlich dargestellt.

Es sieht schlecht aus um den sozialen Frieden, sagen manche. Die Gewerkschaften drohen, auf die Straße zu gehen. Wie sind diesbezüglich Ihre Befürchtungen?

Fritz: Diese Sorge, wenn Sie so wollen, oder Befürchtung ist real. Die ist realer als durch den externen europäischen Druck, jetzt Aufträge zu verlieren. Das hängt davon ab, wie sich die Gewerkschaft jetzt positioniert. Die Gewerkschaft hat ihren zweiten Hut – nämlich den des politische Regierens in diesem Land, dieses sozialpartnerschaftlichen Gestaltens, sie hat ja da immer mehr Einfluß als die Arbeitgeberseite auf die Regierung – weggeworfen, von sich aus abgelegt, könnte man vornehm auch formulieren, und findet sich mit nur einem Hut jetzt zurück, und dieser eine Hut ist Interessenvertretung. Jetzt haben wir Waffengleichheit. Beide sind wir nur mehr Interessenvertreter. Und dieses Thema, wie sie jetzt als Interessenvertreter agiert, ist relativ leicht vorhersehbar. Sie wird dieses Programm nicht annehmen können, auch wenn sie an den Tisch gebeten wird, auch wenn sie gebeten wird, Vorschläge zu unterbreiten. Sie hat sie auch mit der alten Regierung abgelehnt und hat damit auch aufgegeben mitzuregieren. Ich kann mir nicht vorstellen, wie man da jetzt zu einer Budgetsanierung offensiv, konstruktiv, staatstragend beiträgt. Das ist vorbei. Das sind reine Interessenvertreter, das muß man auch akzeptieren.

Ist auch die Sozialpartnerschaft vorbei?

Fritz: Die des alten Zuschnitts jedenfalls. Ich war der erste, der das gesagt hat nach dem 3. Oktober. Sie wurde abgewählt mit dem 3. Oktober, jetzt ist es ein Faktum.

Wien erlebt erstmals wieder Großdemonstrationen, die auch zum Karl-Marx-Hof gezogen sind. Wiederholt sich die tragische Geschichte des vergangenen Jahrhunderts?

Fritz: Wenn sie sich wiederholt, dann sicher nicht eins zu eins. Wir leben heute in einer anderen Zeit mit einer anderen Zeitqualität. Und daß man immer noch zum Karl-Marx-Hof zieht, verstehe ich, weil es an den Bürgerkrieg erinnert, an eine furchtbare Zeit. Und insofern ist es nicht genau vergleichbar, was jetzt passiert. Insofern erwarte ich auch keine Spaltung der Gesellschaft. Damals stießen zwei Ideologien unversöhnlich aufeinander. Damals hatten wir beginnende Arbeitslosenheere und wußten nicht, wie wir die Zukunft gestalten. Heute geht es uns so gut, daß wir auch schon wieder nicht wissen, wie wir Zukunft gestalten, aber im Sinne des Beruhigtseins, und nicht im Sinne des Nichtwissens, wie man morgen sein Brot verdient. Das gilt zumindestens für die allermeisten in diesem Land. Und das ist eine Ausgangssituation, wo man von wirklicher Spaltung der Gesellschaft weder ideologisch – es sind alle weitgehend in die Mitte gerückt – noch vom Wohlfahrtsstaat her reden kann. Wer damit spekuliert derzeit, der zündelt eigentlich.

 

Lorenz Fritz, Jahrgang 1944, ist Diplomkaufmann, war von 1968 bis 1996 bei der Standard Telephon und Telegraphen AG, die letzten acht Jahre Generaldirektor, seit 1997 ist er Generalsekretär der – ÖVP-nahen – Vereinigung der Österreichischen Industrie. Im April 1997 wurde er in den Generalrat der Österreichischen Nationalbank berufen

 

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