© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/00 25. Februar 2000

 
Enteignungen 1945/49: Heiko Peters erwartet Rückkehr zum Rechtsstaat
"Ein Umdenken beginnt"
Jörg Fischer

Herr Peters, im Interesse der Bürger, die durch die sowjetische Besatzungsmacht zwischen 1945 und 1949 in Mitteldeutschland enteignet wurden, setzen Sie Ihre Anzeigenkampagne gegen Mitglieder der alten Kohl-Regierung fort, die 1990 letztlich erfolgreich die "Unumkehrbarkeit" der Enteignungen verteidigt hat. Nachdem nun der von Ihnen neben Kohl, Waigel, Kinkel und Herzog stets als einer der Hauptverantwortlichen für die "Landnahme" attackierte Wolfgang Schäuble die politische Bühne verlassen mußte: Macht der Niedergang der CDU den Weg frei für die Rückkehr zum Rechtsstaat?

Peters: Ich denke, wir haben heute eine wirklich neue Situation, weil der Öffentlichkeit bewußt wird, daß ein Teil der ehemaligen Regierung leider kriminell gewesen ist. Das muß man so hart sagen. Hinter Kohls Spendenaffäre scheint doch auf, was er und seine Paladine, Waigel, Bohl, Kinkel und Schäuble, über viele Jahre hinweg taten. Und dazu gehört natürlich auch der Enteignungsskandal.

Wird man sich jetzt wirklich intensiver um diesen Skandal kümmern, der so weit zurückliegt und den die Medien so darstellen, als handle es sich um eine Art Michael-Kohlhaas-Syndrom einer kleinen Schar von Enteigneten, über die die Geschichte hinweggehe. Zumal das Bundesverfassungsgericht mit seinen Entscheidungen 1991 und 1996 die "Staatshehlerei" der Kohl-Regierung bestätigte. Also wird das politische Klima für Sie günstiger, doch juristisch bleibt alles beim alten?

Peters: Sie haben insofern recht, als es tatsächlich schwierig ist, gegen das Bundesverfassungsgericht anzukommen. Ungeachtet des Umstands, daß diese beiden Entscheidungen offenkundig falsch waren.

Daß das Bundesverfassungsgericht von Kohls Getreuen getäuscht wurde, ist ja mittlerweile nicht zuletzt wegen Ihrer Anzeigenkampagne eine Binsenweisheit. Trotzdem stört dies offenbar niemanden. Schon gar nicht die politische Klasse.

Peters: Aber wir haben doch eine neue Situation durch die politische Entwicklung der letzten Monate. Es war doch in der Öffentlichkeit so, daß immer noch gesagt werden konnte: Selbst wenn Peters recht hat, so könnten doch Kohl und Waigel 1990 von der subjektiven Einschätzung ausgegangen sein, die Russen würden den Fortbestand der Enteignung wirklich zur Vorbedingung ihrer Zustimmung zur Wiedervereinigung machen. Auf der Unterstellung, Kohl habe subjektiv aus dieser Einschätzung heraus gehandelt, basiert noch die Verfassungsgerichtsentscheidung von 1996. Erst jetzt, als Folge der Spendenaffäre und seines fragwürdigen Ehrenwortes, ist Kohls Glaubwürdigkeit nachhaltig erschüttert. Das hehre Denkmal Kohl, der Mythos vom Kanzler der Wiedervereinigung zerbröckelt. Und auf einmal stehen da ganz normale Menschen, die ertappt worden sind beim Mißbrauch der Macht. Und das ist eben doch der springende Punkt, wo die Demokratie wieder zu funktionieren beginnt, wo die Leute im Land wieder nachdenklich werden und wo sie auch die wirtschaftlichen Folgen dieser unglaublichen Handlungsweise erkennen. Jetzt hat der Sprecher der CDU in den neuen Ländern, Michael Luther, gesagt: "Peters hat recht. Wir müßten zurückgeben, und zwar im Interesse des Landes. Wir müßten zurückgeben im Interesse der Rechtsstaatlichkeit. Wir müßten zurückgeben, weil wir uns einfach die hohen Subventionen, weil wir uns die Arbeitslosigkeit nicht mehr leisten können." Solche Stellungnahmen zeigen doch, daß ein Umdenken beginnt. Und wenn jetzt die Staatsanwaltschaft in Karlsruhe Ermittlungen gegen den ehemaligen Kanzleramtsminister Friedrich Bohl aufnimmt wegen Betrug und Urkundenfälschung, begangen zwecks Desinformation der Öffentlichkeit zum Nachteil von Hunderttausenden, dann signalisiert dies: Das Umdenken erfaßt auch die Justiz.

Ermuntert Sie das zu weiteren rechtlichen Schritten?

Peters: Auf jeden Fall. Ich selbst habe vor vierzehn Tagen Klage eingereicht beim Bundesparteigericht der CDU. Und zwar nach dem Vereinsrecht auf Auskunfterteilung gegen den ehemaligen Bundeskanzler Kohl. Das Parteigericht hat inzwischen den Eingang der Klage bestätigt und wird darüber mit großer Wahrscheinlichkeit im März befinden. Dann hat ein Bremer Rechtsanwalt vor kurzem bei der Staatsanwaltschaft in Karlsruhe mit einem ganz neuen Gedanken eine Anzeige erstattet: Nach § 105 Strafgesetzbuch ist Nötigung von Verfassungsorganen ein Verbrechen, das mit einer Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren bestraft wird. Was aber haben Kohl und seine Minister in den Jahren 1990/91 getan? Sie haben das gesamte Parlament genötigt, in unsere Verfassung einen Unrechtsparagraphen einzufügen. Das aber durften sie nicht, weil dafür die Voraussetzung fehlte, nämlich jenes sowjetische Junktim zwischen dem Fortbestand kommunistischer Enteignungen auf DDR-Gebiet und der Zustimmung zur Wiedervereinigung, das von Kohl aus dem Hut gezogen wurde, um den Zugriff auf fremdes Eigentum zu legitimieren. Ich bin sehr gespannt, wie die Staatsanwaltschaft mit dieser Anzeige umgehen wird.

Sind das Anzeichen dafür, daß sich wirklich etwas zugunsten der Enteignungsopfer zu bewegen beginnt?

Peters: Ich glaube, daß Demokratie und Rechtsstaatlichkeit heute in Deutschland wieder eine Chance haben. Weil erkannt wird, daß Funktionäre, die nach zu langer Machtausübung der Versuchung zum Mißbrauch erlegen waren, jetzt abtreten.

Es bleiben nach wie vor die gewichtigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die das Handeln der Kohl-Regierung für verfassungskonform erklärt haben und die für die Enteignungsopfer doch eine unüberwindliche Hürde darstellen.

Peters: Das ist richtig, und insoweit kann man eine Revision dieser Entscheidungen nur als Fernziel unserer Bestrebungen ins Auge fassen. Aber es eröffnen sich aktuell doch auch andere juristische Möglichkeiten, die in der Sache zum Erfolg führen werden, ohne jetzt wieder vors Bundesverfassungsgericht ziehen zu müssen. Es gibt ja Neuansätze in den unteren Instanzen. Das zeigt die jüngste Entscheidung des Verwaltunsgerichts in Dresden. Die haben vor Wochen in einer spektakulären Pressemitteilung gesagt: Nach dem Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz müßten die von 1945 bis 1949 erfolgten Enteignungen genauso behandelt werden wie die vor 1945. Da in diesem Gesetz aber die nach 1945 Betroffenen explizit ausgenommen werden, legen wir dies dem Bundesverfassungsgericht zur erneuten Prüfung vor. Denn es kann nicht sein, daß man zum Nachteil einer kleinen Gruppe den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes ignoriert. Daraufhin hat das Verwaltungsgericht Magdeburg bei der Treuhandanstalt einen Verkaufsstop verfügt über das gesamte Vermögen des Hauses Sachsen-Anhalt – bis zur Klärung dieser von den Dresdner Kollegen erneut aufgeworfenen Frage. Das heißt also: die gesamte Gerichtsbarkeit kommt da drüben ins Wanken. Und die wirtschaftliche Vernunft sagt ja sowieso, daß wir in den neuen Bundesländern, bei einer Arbeitslosigkeit von bis zu 30 Prozent, dringend neue Arbeitsplätze brauchen. Wir können diese Arbeitslosigkeit aber nur beseitigen, wenn der Mittelstand, das ehemalige Bürgertum, wieder an seine Plätze zurückkehrt.

Vor zwei Jahren haben Sie in einem JF- Gespräch (34/98) auf fiskalische Motive abgestellt, um den Zugriff der Kohl-Regierung auf fremdes Eigentum zu erklären. Könnten Sie sich auch noch politische Erwägungen vorstellen, etwa mit Blick auf den dubiosen Verkauf der Leuna-Werke an Elf Aquitaine als Testfall für die von Kohl geforderte "Europäisierung" des DDR-"Volksvermögens", eine gezielte Sabotage des "Aufbau Ost", der ja mit der Rückkehr des Mittelstandes und der verleumdeten "Junker" ein in Kohls Augen zu nationales Gepräge erhalten hätte?

Peters: Dem muß ich leider widersprechen. Wir haben die Parallele im Saarland. Adenauer wollte ursprünglich aus dem bis 1955 von der Bundesrepublik abgetrennten Saargebiet das erste "europäische" Land machen. Die Volksbefragung, bei der über 90 Prozent für die Eingliederung in die Bundesrepublik stimmten, machte aus derartigen Plänen Makulatur. Ich glaube nicht, daß der Historiker Kohl, der sich in der Gründungsgeschichte der Bundesrepublik gut auskennt, einen Fehler, den Adenauer, sein großes Vorbild, gemacht hat, wiederholt hätte. Also ist die These, Kohl habe dezidiert die Europäisierung Mitteldeutschlands betrieben, reine Spekulation und mit Fakten nicht zu erhärten.

Haben sich nach den jüngsten Entwicklungen, die die alte, von Ihnen für die staatlich betriebene "Hehlerei" verantwortlich gemachte CDU-Führung wegfegten, Ihre Chancen in Ihrer eigenen Partei verbessert, mit Ihrem Anliegen gehört zu werden?

Peters: Die Partei hat ein furchtbar schlechtes Gewissen. Jeder Parlamentarier, besonders jeder Bundestagsabgeordnete kennt diesen Skandal. Jeder kriegt rote Ohren, wenn er darauf angesprochen wird. Denn jeder hat mindestens 20 Briefe zu diesem Thema bekommen. Trotzdem haben sich diese Leute bislang immer wieder hinter Unwahrheiten versteckt. Doch jetzt hat Michael Glos, der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, plötzlich ungewohnt deutlich gesagt, er werde Schäubles Nachfolger in der Fraktion auch daran messen, wie er mit dem Enteignungsskandal umgehe. Da müsse dringend etwas passieren, weil sich große Teile des Bürgertums deshalb von der CDU/CSU abgewandt haben. Ich weiß auch, daß es jetzt innerhalb der FDP Bestrebungen gibt, im Bundestag einen Untersuchungsausschuß zu fordern, um hier endlich die Wahrheit zu erfahren.

Das sind in der Tat ganz neue Töne. Doch wer könnte gerade in der FDP, die ja mit dem einstigen Bundesjustizminister Klaus Kinkel einen der Hauptverantwortlichen für die Täuschung des Bundesverfassungsgerichts in ihren Reihen hat, Interesse daran haben, daß auch dieser Skandal seine "brutalen Aufklärer" findet?

Peters: So unglaublich es klingt: wohl die gesamte Parteiführung – mit Ausnahme eines einzigen Mannes, nämlich Kinkels. Kinkel steht natürlich in der Gefahr, strafrechtlich belangt zu werden wegen seiner Falschaussage vor dem Verfassungsgericht. Aber die gesamte FDP hat ein Rieseninteresse daran, in Zukunft nicht mehr an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern. Und wenn sie es nun in dieser Angelegenheit schafft, einen Untersuchungsausschuß zu erwirken, profiliert sie sich als Retter der Rechtsstaatlichkeit und als wahrer Anwalt des Bürgertums. Dann schneidet sie sich aus der Erbmasse der CDU-Wählerschaft ein großes Stück Kuchen raus.

Aber das Image als Rechtsstaatspartei pflegt die FDP doch seit Urzeiten. Speziell die Enteigneten haben das Parteigewissen dabei jedoch in den letzten zehn Jahren in keiner Minute belastet.

Peters: Weil der Einfluß Kinkels dies verhindert hat. Auf ihn hat man bis heute wohl Rücksicht genommen. Der FDP-Vorsitzende Wolfgang Gerhardt hat mir im persönlichen Gespräch vor einigen Monaten gesagt: "Es fällt mir schwer, gegen Herrn Kinkel einen Untersuchungsausschuß zu beantragen. Aber andererseits weiß ich ganz genau, Herr Peters, daß sie völlig Recht haben."

Das klingt fast unglaublich.

Peters: Lassen Sie sich diese Angaben doch von Herrn Gerhardt bestätigen, oder von Herrn Brüderle, der an diesem in Radebeul bei Dresden geführten Gespräch beteiligt war.

Wir bezweifeln Ihre Angaben nicht, nur erinnert das ein wenig an die "Wende" 1989/90, als jeder Tag Neuigkeiten brachte, die man vor dem Mauerfall als Märchen abgetan hätte. Unstreitig scheint die FDP den Zerfall der CDU wahlstrategisch als Chance zu begreifen.

Peters: Auf die am Boden liegende CDU braucht man keine Rücksicht mehr zu nehmen.

Aber wirkt sich das für Ihr Anliegen nicht negativ aus, wenn Ihre Partei an politischem Einfluß verliert? Aus der SPD haben die Enteigneten ja sicher keine Unterstützung zu erwarten.

Peters: Das sehe ich nicht so. Wenn Herr Schröder, der doch eine sehr pragmatische Politik, insbesondere Wirtschaftspolitik macht, und jetzt auch bei der Steuerpolitik sehr vernünftig ansetzt, von den Grünen wegen seiner Atompolitik fallen gelassen wird, hat er doch auf einmal einen Ersatzpartner in der FDP. Und die FDP hat ja schon einmal, nach 1969, die SPD in die bürgerliche Mitte gerückt. Die gleiche Chance hat sie jetzt wieder. Und ein pragmatischer Bundeskanzler Schröder mit einem Wirtschaftsliberalen wie Gerhardt oder Brüderle an der Seite kann für unser Land durchaus Zukunftsperspektiven bieten. Schauen Sie sich doch dagegen große Teile der CDU an: Heute stehen die doch weit links von der SPD-Rechten! Zur SPD-Linken ist eine klare Grenze jedenfalls dank Geißler und Süßmuth nicht zu erkennen. Deshalb ist zur Zeit im Bürgertum, wenn auch noch hinter vorgehaltener Hand, der Ruf nach einem Blocher oder Haider zu hören. Das Bürgertum im rechten Spektrum, und damit meine ich keinesfalls irgendwelche extremen Überhänge, ist doch heute in der Bundesrepublik heimatlos, weil die CDU durch Kohl und Konsorten so weit nach links gerückt wurde.

 

Heiko Peters ist selbständiger Kaufmann und CDU-Mitglied in Hamburg-Blankenese. Seit über vier Jahren kämpft er mit großformatigen Zeitungsanzeigen für die Rechte der Opfer von Enteignungen in der Sowjetischen Besatzungszone zwischen 1945 und 1949.

 

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