© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/00 25. Februar 2000

 
CDU Berlin: Drinnen Parteitag, draußen Protest
An Geld mangelt es nicht
Moritz Schwarz

Die Woche des Valentinstages ist klassische Mafia-Zeit. In der gegenwärtigen Situation in dieser Woche einen CDU-Parteitag zu veranstalten, ist eine Koinzidenz von feiner Ironie. Doch statt Ganoven wie "Zahnstocher-Charly" oder "Gamaschen-Joe", galt es vergangenen Samstag, wirklich "dicke Fische" zu stellen, wie "Don Kohleone", "Don Schäubleone" oder "Don Kantherone". In der Rolle der berühmten Untouchables, der Unbestechlichen, die Jugendorganisation der Republikaner, die "Republikanische Jugend" Berlins. Tatort war diesmal, statt einer Chikagoer Hinterhofgarage, der Platz vor dem Berliner Hotel "Maritim" und Schwarzgeld statt Schwarzbrand das Corpus Delicti.

Gekleidet in dunkle Anzüge, bewehrt mit ebensolchen Hüten und Sonnenbrillen erwarteten die Jungrepublikaner am frühen Vormittag die Delegierten des christdemokratischen Landesparteitages. Zu den Klängen des Titel-Themas aus dem Mafia-Film und Hollywood-Erfolg "Der Pate" verteilten die selbsternannten "mane polite"-Aktivisten bündelweise falsche "KOHLe" aus schwarzen Koffern an Passanten und Parteitagsbesucher. Anbei noch eine diskrete Handreichung zur "Landschaftspflege", Marke "Eine Hand wäscht die andere", mit Anweisungen für den Dienstgebrauch, wie: "Alles leugnen" oder "Bei unwiderlegbaren Beweisen, das zugeben, was heraus gekommen ist, nicht mehr". Junge Damen präsentierten dazu mafiös-angehauchte Polit-Polemik auf DIN-A-3-Plakaten im Kriminal-Tango-Schritt.

Chefinvestigator Eliot Ness alias RJ-Landeschef Thomas Kay gab den finstren Paten, wenn auch ohne Kätzchen im Arm. Gekonnt begrüßte er im allzu vertraulichen Italo-Sing-Sang vorübereilende Journalisten, Gäste und Politiker mit "Willkommen in der italienischen Oper, wir nennen es CDU-Parteitag" und glänzte mit einer Kaskade spontan erdachter Mafia-Redewendungen, die er leichtfüßig auf die jüngsten CDU-Machenschaften münzte. Als schließlich der Kopf der Bande, der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen – mit einem tiefen und breitbrüstigen "Ahhh, Don Eberhardo!" begrüßt – aus seiner schwarzen Limousine steigt, formiert die kleine Schar blitzschnell eine Demofront und läßt die Masken fallen. Rasch umgedrehte Mafia-Plakate zeigten auf der Rückseite mit "REP" gezeichnete konkrete politische Forderungen gegen den Spendensumpf und mit dem gemeinsam skandierten Schlachtruf "Rechtsstaatlich – Ehrlich – Patriotisch" fand die Demonstration unter Gejohle und Gelächter mit dem Bedauern über nur einen CDU-Parteitag im Jahr (Motto: "Und was machen wir nächsten Samstag?") ihr Ende. Drinnen tagte die ehrenwerte Gesellschaft.

In der Belle Etage, mit Panoramablick über den Bahnhof Friedrichstraße, versammelten sich 385 Damen und Herren unter einem glitzernden Sternenhimmel aus Halogenlämpchen zur Wiederwahl ihres Landesvorsitzenden Eberhard Diepgen. Von der Decke herab glänzte es vornehm auf nobles Holz und königsblaue Sitzpolster und blitzte funkelnd in den blanken Chromrahmen hunderter Stühle. Vor den Saaltüren diverse Buffets, eine eigene Theke für feine Zigarren und eine eigens abgeteilte Lounge mit Luxus-Hostessen. Noch hat die CDU ja Geld.

Und auch am Selbstbewußtsein gebrach es trotz allem nicht. Dafür war Schuldbewußtsein ein rares Gut. Verantwortung abschieben statt übernehmen: So gaben sich die Redner nach dem Motto "Unsere Mauern brechen, unsere Herzen nicht" zwar problembewußt, aber vor allem selbstherrlich im Bewußtsein einer zu Unrecht vorenthaltener Größe. Zwar ist von der CDU im Grundgesetz mit keinem Sterbenswörtchen die Rede, dennoch scheint es sich hier nach eigenem Verständnis um eine verfassungsmäßige Institution zu handeln, die Recht auf Staat hat. Der Vordenker dieser Idee, daß Demokratie sich nicht mehr durch Parteien, sondern in Parteien zu vollziehen hat, Wolfgang Schäuble, wird trotzig bejubelt, und hingerissen beschließt der Parteitag eine Ergebenheitsadresse an ihn, der unschuldig ("das bißchen Irrtum") für die Reinheit der CDU sein politisches Leben gegeben hat. Und wie unter Rechtgläubigen üblich, scheut man davor zurück, das Böse mit Namen zu nennen. Verräter verfallen der Feme. Und so findet Helmut Kohl kaum Erwähnung.

Statt dessen versteckt Parteichef Diepgen die Verantwortung der Partei hinter dem Satz: "Wir lassen uns doch unseren Stolz nicht nehmen, weil einige Idioten Unsinn gemacht haben!" Erfolge haben bekanntlich stets viele Väter, Niederlagen sind dagegen meist früh verwaist. Wenn ursächlich auch richtig, so scheint, was Diegen sagt, moralisch doch inakzepabel, denn Kohls Erfolge prieß man ja auch nicht nur als Einzeltaten, sondern ebenso als Frucht der CDU-Kompetenz.

Inzwischen hat das Plenum Eberhard Diepgen mit fast neunzig Prozent gewählt. Der quittiert es mit Humor und dankt freundlich. Ein voller Erfolg, waren es doch beim letzten Mal vor zwei Jahren "nur" rund 62 Prozent. Mit dem befürworteten Wiederaufbau des Stadtschlosses, seinem Eintritt für eine Erneuerung von Kurfürstendamm und der Tauenzienstraße und seiner Sorge um das Brandenburger Tor (kein Holocaust-Mahnmal, Widerstand gegen die amerikanische Großbotschaft, Demonstrationsverbot für Links- und Rechtsextremisten am Pariser Platz) bietet er den Berlinern eine plausible Vision des "Neuen Berlin", wie das Werbe-Schlagwort der Stadtverwaltung für die neue Bundeshauptstadt lautet.

Dann wendet Diepgen den Blick nach Süden, Haider werde ("von dem halte ich überhaupt nichts") als Waffe gegen die CDU benutzt. Dann nach vorne, Friedrich Merz heißt der erste Baustein einer neuen Zukunft. Genauso sehen es die Delegierten. Ebenso steht Angela Merkel bei ihnen hoch im Kurs, und auch wenn nicht alle sie sich so recht als neue Parteichefin vorstellen können, so bescheinigt man ihr doch, "enorm gewachsen" zu sein und vor allem im Kampf gegen den Spendensumpf "sehr beeindruckt" zu haben. Wie Kohl anfangs verlacht, erlangte sie ebenso in einer großen Aufgabe allgemeinen Respekt. Bieder, gradlinig und mit einer Träne Christentum im Augenwinkel.


 
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