© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/00 25. Februar 2000

 
Parteiaffären: Gertrud Höhler über die Konsequenzen aus der Krise des Parteienstaates
"Die Wähler schlagen zurück"
Moritz Schwarz

Frau Professor Höhler, was ist die CDU-Spendenaffäre wirklich, eine Parteikrise oder eine Staatskrise?

Höhler: Es ist eine Krise des Parteiensystems. An der CDU wird jetzt sichtbar, was eigentlich das ganze klassische Nachkriegsparteiensystem an Verfehlungen aufweist, was sich im Grunde bei allen Parteien finden läßt. Worum es eigentlich geht: Die alten Inhalte, mit denen die Parteien aufgetreten sind, schlagen nicht mehr durch. Es gibt keine feste Klientel mehr. Bestimmte feste Wertvorstellungen lassen sich nicht mehr bestimmten Parteien zuordnen. Die SPD ist nicht mehr sozialdemokratisch, die CDU nicht mehr konservativ, statt dessen mischen sich die Werte. Deshalb stürzen die Parteien auch so ab beim Fehlverhalten Einzelner. Denn der Bürger ist nicht mehr in der Lage, die Partei von den wenigen, die die Fehler gemacht haben, zu unterscheiden. Alleingelassen mit seinem Orientierungsproblem, schlägt er enttäuscht zurück, wenn sich dann auch noch die Persönlichkeiten in den Parteien daneben benehmen.

Am Anfang steht also ein Werteverlust, der jetzt durchschlägt, weil das Parteipersonal sich auch noch desavouiert hat?

Höhler: Ja, allerdings meine ich mit Werteverlust etwas anderes: Wir haben diese Werte nicht gänzlich verloren, sondern sie sind nicht mehr ohne weiters zuzuordnen. Früher waren bestimmte Werte fest zugeordnet, heute verteilen sie sich in Variationen auf alle Parteien. Daher finden heute auch Wählerwanderungen statt, wie sie früher unbekannt waren.

Parteien entstanden vor etwa hundertfünfzig Jahren, weil sich bestimmte Menschen um bestimmte Werte scharten. Hat nicht das Klammern an die Macht und die Preisgabe der Überzeugung zugunsten des aktuellen politischen Vorteils diese für ein Gemeinwesen notwendige Werte-Allokation zerstört: Fahrlässige Tötung an der Demokratie?

Höhler: Nein. Die Regierung Schröder ist das beste Beispiel für diese Wertestreuung. Das ist doch keine sozialdemokratische Regierung. Aber sie tut, was sie tut, nicht aus Opportunismus, sondern weil es getan werden muß. Sie kann nicht sagen, Sozialdemokraten waren immer stark arbeitnehmerorientiert, da können wir doch nicht jetzt die Unternehmer entlasten. Aber das ist es, was jetzt gerade notwendig ist. So eine Politik ist zwar eigentlich die Politik der Konservativen, aber sie ist eben fällig. Das ist nur ein Beispiel, denn auf zahlreichen anderen Feldern ist es genauso. Und Helmut Kohl hat doch, ehrlich gesagt, genauso sozialdemokratische Politik gemacht.

Ihre Argumentation betrifft doch lediglich die Wirtschaftspolitik. Außerhalb davon gibt es aber keine Notwendigkeit zum Verlust der Konturen. Preisgegebene Werte zeugen doch von Opportunismus?

Höhler: Man konnte nicht mehr die einfach strukturierten Unterscheidungen aufrechterhalten, weil die Lebenserfahrung der Menschen, der Staaten und der großen Systeme dem inzwischen widerspricht. Dem hat der Ideenvorrat der Parteien Rechnung getragen.

Zugunsten einer Anpassung an die Notwendigkeiten geben Sie also den Anspruch volkssouveräner Staatlichkeit auf Gestaltung auf. Wo sehen Sie nun eigentlich den Kritikpunkt?

Höhler: Einmal ist das die Auswirkung von Macht. Offenbar beraubt sie die Menschen der Maßstäbe, und sie beginnen sich Absolution in Dingen zu erteilen, die sie im Normalfall eigentlich für nicht zulässig halten.

Aber Macht ist ja nun ein Faktor, der der Demokratie nur zu bekannt ist. Das ist also wohl keine neue Erkenntnis?

Höhler: Ja, wir wollen doch nur deshalb nach dem einfachen Ansatzpunkt suchen, weil wir da sofort fündig werden. Offenbar ist für das Gesetz der Demokratie ungeheuer wichtig, daß Macht nur auf Zeit verliehen werden darf. Offensichtlich verführt Macht um so stärker, je länger man sie inne hat. Also sollten Mandate vielleicht zeitlich begrenzt werden, wie das in den USA der Fall ist: Nur zwei Amtszeiten für den Bundeskanzler, damit dieser Strudel nicht zu stark wird, in den die Menschen geraten, wenn sie ihre Hausmacht gefestigt, wenn sie Verhältnisse geschaffen haben, die ihnen das Gefühl verleihen, eigentlich guckt mir keiner mehr zu, sondern alle um mich herum bewundern und bestaunen mich nur.

Fazit: Mehr Machtbegrenzung, mehr Machtteilung und mehr Machtkontrolle?

Höhler: Ja, nur eigentlich haben wir diese Konsequenz bereits aus der Flick-Affäre gezogen, nämlich das Parteiengesetz. Und das Parteiengesetz ist hinreichend. Aber es muß eingehalten werden. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Warum aber funktioniert es dennoch nicht? Wir sollten deshalb einmal fragen, ist das Personal, das bei uns zu Erfolg gelangt, meist aus einer Funktionärsvita und nicht aus bürgerlichen Berufen kommend, vielleicht diesen Verführungen eher ausgeliefert, weil es zu wenig Realitätskontakt hat: Sollten wir nicht tatsächlich zwingend machen, daß man in einem bürgerlichen Beruf gearbeitet hat? Dürfen wir weiterhin zulassen, daß Leute vom sechzehnten Lebensjahr an ihr Lebensglück und ihre Karriere so auf die Politik bauen?

Also ist es ein Rekrutierungsproblem?

Höhler: Ja, und wir diskutieren bekanntlich bereits seit längerem darüber, ob denn auch die Besten, so wie wir uns das wünschen, in die Politik streben.

Ihre Forderung nach "Realitätskontakt" zielt auf eine Verbreiterung der Politikerklasse, Ihr Wunsch nach den Besten ist aber tendenziell elitär. Ist das nicht ein Widerspruch?

Höhler: Die Demokratie will, daß die Parlamente die Qualifikationsskala des Volkes widerspiegeln. Das ist bei uns nicht der Fall. Bei uns ist das Parlament von Staatsdienern okkupiert.

Also keine Regierung der Besten, sondern eine Regierung der Repräsentanz?

Höhler: Das will die Demokratie. Die Demokratie hat nicht die Vorstellung einer idealen Elite, sondern die Idee vom Repräsentanten, der den zu Repräsentierenden noch begreift. Die Mandatsträger sollen also ein Ausschnitt aus dem Leben dieser Kultur sein. Doch diese Verantwortung muß mit einem geschärften Gewissen einhergehen. Und das muß nun das Ziel sein, zu erkennen, wer möchte diese Verantwortung übernehmen und wer will nur sein Ego befriedigen.

Wolfgang Schäuble bittet, seine Partei nicht zu hart zu bestrafen. Aber gerade Parteien, die zu lange an der Macht beteiligt sind, bilden doch den Nährboden für die von Ihnen beschriebenen Funktionärseliten, weil sie sich zwischen den Souverän, das Volk, und den Gewählten schieben. Müßten also nicht Parteien ebenso klar abwählbar sein wie Politiker?

Höhler: Es gibt nicht umsonst die Formulierung: "Der Staat ist zur Beute der Parteien geworden". Die Parteien, als große Apparate, koppeln sich ab vom normalen bürgerlichen Leben und funktionieren so ähnlich wie Konzerne, die dann Vorteile vergeben, nur sie haben keine Leistungskontrolle, wie das ein Konzern eben hat. Das ist gefährlich, denn hier ist so viel Wildwuchs in puncto Ämter und Machtpositionen möglich. Allerdings hat die abgewählte Partei die wichtige Funktion der Opposition und der Kontrolle. Außerdem organisieren Parteien die Orientierung der Wähler und üben so, auch abgewählt, eine wichtige Funktion aus. Nur, wir möchten gerne nochmal hören, wofür steht denn die CDU? Das erfahren wir nicht so recht. Aber wir müssen gleichzeitig sagen, wofür die SPD steht, das erfahren wir auch nicht so recht. Und dabei wird’s den Leuten langsam mulmig. Wir haben jeden Tag die Gefahr der Entartung. Eigentlich müßte das zur Grunddebatte diese Staates werden, daß wir wissen, wir sind sehr stark gefährdet durch alle Machtkartelle. Und wir müssen zusehen, daß wir uns gegenseitig besser kontrollieren. Und nicht nur die eine Partei durch die andere, sondern der Bürger selbst kontrolliert, indem er bestraft.

 

Prof. Dr. Gertrud Höhler geboren 1941 in Wuppertal, studierte Literaturwissenschaften und Kunstgeschichte in Bonn, Berlin, Zürich und Mannheim. 1967 promovierte sie zum Dr. phil und arbeitete an der Universität Mannheim. 1972 wurde sie an die Universität Paderborn berufen, seit 1976 ist sie Professorin für Allgemeine Literaturwissenschaft und Germanistik. Von 1987 bis 1990 war sie Beraterin des Sprechers der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen. Sie ist Gastgeberin der philosophischen TV-Gesprächsrunde "Baden-Badener Disput" mit Alfred Grosser und Peter Sloterdijk.

Auswahl ihrer Veröffentlichungen: Die Zukunftsgesellschaft (1986); Virtuosen des Abschieds. Neue Werte für eine Welt im Wandel (1989); Spielregeln für Sieger (1991), Wettspiele der Macht (1994); Der veruntreute Sündenfall (1998). Im April erscheint im Econ Verlag, Düsseldorf, ihr neues Buch "Wölfin unter Wölfen. Warum Männer ohne Frauen Fehler machen"

 

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