© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/00 18. Februar 2000

 
Neues aus Bogenhausen: Eine Tagung der Münchner Burschenschaft der Danubia
Löschen, bevor es brennt
Baal Müller

AltachtundsechzigerInnen, die unter ihren einstmals langen Haaren den Muff von zweiunddreißig Jahren herumtragen, Antifa-AktivistInnen, die hinter ihren Büchertischen mit vergilbter Karl-und-Rosa-Literatur trotz voller Mensen einsam gegen den Faschismus kämpfen, langzeitstudierende BewohnerInnen von WGs mit Che-Guevara-Postern an der Klotür – sie alle können erleichtert aufatmen: Bei den 17. Bogenhausener Gesprächen am vergangenen Wochenende im Haus der Münchner Burschenschaft Danubia schreckte sie kein Bernd Rabehl mit Thesen zu Rudi Dutschkes nationalrevolutionärer Gesinnung aus ihren nostalgischen Träumen.

Vor rund 120 Zuhörern, die zeitweise sehr kontrovers mitdiskutierten, sprachen Günther Zehm, Alexej Kudrajtsev, Felix Buck, Gerhoch Reisegger und Rudolf Mittendorfer, der kurzfristig für Peter Sichrovsky eingesprungen war, über "Deutschland nach der Jahrtausendwende – Chancen und Risiken im Zeitalter der Globalisierung".

Zehm, der in Jena Philosophie lehrt, stellte in seinem Vortrag über "Politik und Journalismus in Deutschland" – mit streckenweise durchaus pankrazischem Witz – die Frage nach der Unabhängigkeit der heutigen Medien. Ausgehend von der These, daß mächtig sei, wer die Medien in seinem Sinne manipulieren könne, kam er zu einem erwartungsgemäß eher negativen Ergebnis. Die Ausübung von Macht sei in einer Demokratie schwerer zu identifizieren als in anderen Staatsformen, und der Machtmißbrauch könne daher nicht einfach personalisiert und mit charakterlichen Schwächen erklärt werden.

Dennoch sei jeder Politiker aus strukturellen Gründen ein habitueller Lügner, der sich gewissen Strategien bedienen müsse, wie sie etwa in sogenannten "Übelratgebern" beschrieben würden. Solche seien etwa die des (informativen oder desinformativen) "Billardstoßes", des geflissentlichen Zielens auf die "Achillesferse" des Gegners oder Konkurrenten und dessen "Kurierung" mit Hilfe eines "Bypasses", der ihm gleichsam gefilterte und ausgedünnte Informationen zuführe, ihn isoliere und verdörren lasse.

Mit solchen Strategien korrespondierten diejenigen erfolgreicher Journalisten, die etwa nach der Devise "Löschen, bevor es brennt" ihre Opfer mit einem Schwall politisch korrekten Heilwassers ertränken oder die potentiell Widerspenstigen mit reinigendem Schaum überschütten, um pathologische Formen von Meinungsfreiheit gleich im Keim zu ersticken.

Eine andere Methode ist nach Zehm das sogenannte "TMI": Die Gehirne der den Medien Ausgelieferten werden mit "too much information" zu bestimmten Themen (zum Beispiel der Levinsky-Affäre, dem Mahnmal, dem Kosovo-Krieg, der Spendenaffäre) rund um die Uhr kontaminiert, während andere, vielleicht noch wichtigere Themen, kaum Erwähnung finden. Gerne würden auch bloße Wünsche, Meinungen, Erwartungen oder Befürchtungen mit großem Getöse als "Fakten, Fakten, Fakten" ausgegeben, um eine permanente Doku-Soap vorzuführen.

Im Gegensatz zur Journalistenzunft lief Alexej Kudrajtsev nicht Gefahr, sich durch ein allzu vollmundiges Meinungsfreiheitspathos zu blamieren. Seine Aufgabe als Militärattaché des russischen Generalkonsuls in München sah er vielmehr darin, die gegenwärtigen deutsch-russischen Beziehungen aus der Sicht der russischen Regierung darzustellen. Zwei Themen standen im Mittelpunkt seines Referates: der Kosovo-Krieg, bzw. die mit dem NATO-Einsatz verbundene Entmachtung der UNO und Aushöhlung des Völkerrechts, und der Krieg in Tschetschenien.

Anders als die Haltung von NATO und UNO, die Serbien und Rußland mit zweierlei Maß messen, ist seine Haltung konsequent: Sowohl die Konflikte zwischen Serben und Albanern im Kosovo als auch das Vorgehen der russischen Armee gegen tschetschenische Rebellen seien innerstaatliche Angelegenheiten, der NATO-Krieg gegen Jugoslawien mithin eine völkerrechtswidrige Aggression. Wenngleich er mit der letzteren Behauptung Zustimmung ernten konnte, wurde seine Version des Tschetschenien-Krieges – eine Befreiung Tschetscheniens von "Banditen" – von großen Teilen des Publikums nicht akzeptiert. Breiten Widerhall fand jedoch seine Aufforderung an die Europäer, sich politisch, militärisch und kulturell von den Amerikanern zu emanzipieren.

Felix Bucks Vortrag über "Geopolitik 2000 – Deutschlands Lage in der Welt" knüpfte an das Thema einer europäischen Sicherheitspolitik an und entwarf Strategien für eine künftige deutsch-russische Zusammenarbeit. Eine am Vorbild der Hanse orientierte Politik im Ostseeraum sollte nach Buck Deutschland, das Baltikum und Rußland stärker als bisher zusammenführen, während den südeuropäischen Staaten eine gemeinsame Verantwortung im Mittelmeerraum zukomme. Nur durch eine solche Neuorientierung Europas in Verbindung mit einer langfristigen Wiederaneignung seiner kulturellen Überlieferung lasse sich die amerikanische Vormachtstellung überwinden und der Amerikanisierung eine europäische Identität entgegensetzen.

Gerhoch Reisegger erläuterte in seinen Betrachtungen über "Prozeßsteuerung der Weltagenda – der Krieg auf dem Balkan und seine Inszenierung" zahlreiche Details aus der Vorgeschichte des Kosovo-Krieges. Dabei spannte er den Bogen von der apokalyptischen Vier-Reiche-Spekulation bis zu Samuel Huntington und fand die amerikanische Intervention auf dem Balkan bereits in obskuren freimaurerischen Schriften aus den achtziger Jahren angekündigt. Überhaupt maß er geheimen Logen, die in der EU, den politischen Parteien und sogar den Kirchen hinter den Kulissen die Fäden ziehen, eine Rolle zu, die seine zum Teil sehr detailierten Ausführungen insgesamt in einem etwas mystischen Licht erscheinen ließen.

Ganz anders Rudolf Mittendorfer: Der in München lehrende Dozent für Politikwissenschaft lieferte "Fakten, Fakten, Fakten" – zum Beispiel über die Anzahl der multinationalen Unternehmen und ihre Niederlassungen oder die prozentuale Entwicklung der Armut – und hielt sich mit hypothetischen Bündnissen und okkultistischen Verschwörungstheorien zurück. Für einige Aufregung sorgte jedoch sein Szenario einer künftigen "Zwanzig-zu-achtzig-Gesellschaft", in der eine relativ kleine Elite von arbeitenden Großverdienern die Masse eines arbeitslosen und aufgrund der technologischen Produktivitätssteigerung wirtschaftlich überflüssig gewordenen Proletariats mit Brot und Spielen bei Laune hält.

Die Gäste der Burschenschaft Danubia haben sich, auch dank nahrhafter Verköstigung und wappengeschmückter Bierhumpen, ihre Laune nicht verderben lassen – auch nicht wegen des am Rande immer wieder zur Sprache gekommenen Mißverhältnisses zwischen dreisten Anmaßungen aus Brüssel, Berlin, Paris und Lissabon und ständigen Entschuldigungen aus Wien. Sicher wird man auch bei den 18. Bogenhausener Gesprächen wieder "in alter Frische" – wie der sehr schneidig moderierende Bundesbruder gelegentlich zu sagen beliebte – zusammenkommen. Bis dahin heißt es jedoch erst einmal zackig "Silentium!!!" – mit drei Ausrufezeichen.


 
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