© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/00 18. Februar 2000

 
Günter Rohrmoser: Kampf um die Mitte. Der moderne Konservativismus
Wie ein Hamster in der Trommel
Georg Willig

Modern und konservativ zugleich – geht denn das? Für den politischen Philosophen Günter Rohrmoser ist das keine Frage, sondern eine Notwendigkeit, wenn wir uns aus der "geistigen Verödung und resignativen Dumpfheit" befreien wollen, unter der unser Land leide. Anders als der französische Historiker Francois Furet, Ex-Kommunist und Verfasser der bedeutenden Analyse "Die Vergangenheit einer Illusion", der am Ende seines Lebens zu dem Schluß kam, daß wir dazu verdammt sind, "in der Gesellschaft zu leben, in der wir nun einmal leben", ist der christlich geprägte Rohrmoser von dieser Resignation weit entfernt. Der Professor für Philosophie, der auch Theologie und Nationalökonomie studiert hat, setzt trotz einer Welt, die auch er in düsteren Farben sieht, auf eine Erweckung der Geister, auf eine Chance zur Umkehr.

Zuversicht schöpft er aus der Beobachtung, daß "die Konsequenzen des in den Zustand der Erosion übergegangenen Sozialismus weltweit zur Bildung und Verstärkung konservativer Kräfte und Bewegungen geführt haben". Die Bundesrepublik Deutschland werde von diesem zu beobachtenden Trend nicht die große Ausnahme bleiben können.

Obwohl Rohrmoser klar und konzentriert schreibt, ist es bei der Fülle von Beobachtungen über den Zustand der Parteien, die Differenzen und Übereinstimmungen von Sozialismus und Liberalismus und "ihr gleichzeitiges Scheitern", nicht immer leicht, den roten Faden seiner Darstellung zu finden.

Im 11. Kapitel seines Buches kommt er am deutlichsten zum Kern seiner politischen Philosophie: Wir befänden uns nach der Phase, in der der Staat für alles sorgte und nachdem die "gleichlaufende Entwicklung von Kollektivismus und Individualismus in einer Sackgasse gelandet ist", im Zustand eines sich "vollendenden Liberalismus". Der einzelne habe sich im Namen der Emanzipation aus allen sozialen Kontexten und Bindungen befreit. Der Liberalismus habe sich dem Hyperliberalismus verschrieben. Individualismus und Kollektivismus seinen Strategien von gestern und zum Untergang verurteilt.

Wie sehr es auch zutrifft, daß ein libertärer Individualismus oft Kapriolen schlägt, die auf die Dauer keine Probleme lösen können, so wenig hilfreich ist aber auch bei diesen Urteilen die Vermischung von liberal und libertär, weil man dabei nicht deutlich erkennt, wo für ihn die Grenze zwischen den beiden Begriffen liegt. Daß von der Maxime des Liberalismus: "Freie Entfaltung des Individuums im Rahmen der vorhandenen Regeln und Gesetze" auch in unserer Gesellschaft noch einiges lebendig ist, wird dabei übersehen. Und kann man vom "vollendeten Liberalismus" sprechen, wenn in der deutschen Volkswirtschaft die Hälfte des Volkseinkommens durch staatliche Hände geht und sie damit nicht mehr privatwirtschaftlich verfaßt ist? "Das ist ein sozialistisches Land", bemerkte zu dieser Frage Roland Baader in seinem Buch "Fauler Zauber".

Rohrmoser quält aus christlicher Sicht die Sorge um die Menschen, die, wie er schreibt, nach dem Willen der Liberalen wie in einer Trommel ein Leben lang durcheinandergewirbelt werden. Wie wahr das auch für viele sein mag, mit Menschen wie Hamster in der Trommel, die nicht Nein sagen können, wäre auch keine Wende zu erwarten, auf die Rohrmoser ja setzt.

Rohrmoser will das bewahren, was eine Zukunft sinnvoll macht, denn für ihn ist die Sinlosigkeit unseres Treibens das entscheidende Kriterium unserer heutigen Existenz. Die neue Fragestellung, die sich aus den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte ergeben habe, sei die, ob eine Gesellschaft ohne Religion überhaupt bestehen könne.

Der Philosoph, der schon am Anfang der 68er "Studentenrevolution" den Werteverfall sah, der unsere Gegenwart weitgehend bestimmt, wurde damals als der "letzte Reaktionär" beschimpft. Er aber hat bei diesem Streit der Meinungen und Ideologien Recht behalten.

Heute sieht er drei Aufgaben, die wir lösen müssen, wenn es wieder heller um uns werden soll: "Die erste ist die Rekonstruktion der Deutschen als Nation. Die zweite die Reaktualisierung des geistig-kulturellen Erbes der Deutschen in Konfrontation mit der Krise der Moderne. Und die dritte Aufgabe besteht in der Vergegenwärtigung der Substanz des Christentums selbst."

Für Rohrmoser sind das keine Forderungen, die an der Wirklichkeit vorbeigehen. Er sieht "in der Bewegung nach rechts, die wir überall beobachten können", den "Ausdruck einer epochalen Wende, die weltgeschichtlich genannt zu werden verdient".

Wie weit die Argumente in diesem Buch überzeugen oder nicht, scheint nicht der entscheidende Punkt zu sein; der liegt darin, daß hier einer mutig und mit klaren Worten gegen den noch heute vorherrschenden Meinungsstrom schwimmt und in verworrenen Zeiten seine Orientierung nicht verliert. Es lohnt sich, darüber nachzudenken und zu sprechen.

 

Günter Rohrmoser: Kampf um die Mitte. Der moderne Konservativismus nach dem Scheitern der Ideologien, Olzog Verlag, München, 1999, 352 S., 48 Mark


 
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