© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/00 18. Februar 2000

 
Sachsen-Anhalt: Die DVU-Fraktion zerbricht und treibt wilde Blüten
Jungferngeburt in Magdeburg
Moritz Schwarz

Über die Kaiserin-Mutter Franz Josephs, die Erzherzogin Sophie, hieß es, sie sei der einzige Mann am Wiener Hof. Im Magdeburger Landtag vollzieht sich derzeit ein ähnliches Schauspiel. In der Fraktion der Deutschen Volksunion (DVU), von Kritikern für ein Ensemble braver Marionetten gehalten, durchtrennte die Fraktionschefin Claudia Wiechmann Ende Januar keck die Fäden und klopfte dem großen Puppenspieler in München mächtig auf die Finger.

Nicht nur verbat sich die 44jährige Wiechmann die selbstherrlich-dirigistische Einmischung des Münchner Parteibesitzers, Verlegers und Inhabers des erfolgreichen "Deutschen Buchdienstes" Gerhard Frey, in die Geschäftsgänge der Fraktion; als der cholerische Sonnenkönig und seine Günstlinge es schließich zu toll trieben und mit politischen Erpressungsversuchen auf die Unbotmäßigkeiten reagierten, formierte die Chefin und ihr Vize Helmut Wolf eine Abwehrfront gegen den gewichtigen Vorsitzenden und forderten gar offiziell dessen Rücktritt.

Rücktritt in seiner, im wahrsten Sinne des Wortes, eigenen Partei? Das muß in den Ohren Gerhard Freys wie Diebstahl geklungen haben und erregte göttlichen Zorn. Ein flugs einbefohlener Bundesparteitag der DVU am vergangenen Wochenende in der Hauptstadt der Bewegung bestätigte nicht nur die unerschütterliche Treue der durchschnittlichen Parteilinge zu ihrem Vorsitzenden, sondern ermächtigte Frey auch, die Frondeure parteipolitisch zu exkummmunizieren. Tatsächlich verstieß Frey die Rädelsführer umgehend aus seiner Partei.

Nach dem erfolgreichen Einzug in den Landtag Sachsen-Anhalts im April 1998 hatte sich bald gezeigt, daß man in der Münchner Parteizentrale ganz andere Vorstellungen von Verantwortung gegenüber dem Wähler hat, als die idealistischen Abgeordneten um die intelligente und eloquente Claudia Wiechmann. In München war man offenbar geradezu darauf bedacht, daß sich im Magdeburger Landtag in Sachen DVU nichts tat. Aktive und selbständige Politik wurde mit Mißtrauen beäugt, Aktivitäten der Basis gar vehement bekämpft. So spricht der gründlich desillusionierte Kreisverbandsvorsitzende von Magdeburg/Schönebeck, Peter Reffert, gar von "regelrechten Drohbriefen", die er auf die untersagte Teilnahme am Kommunalwahlkampf hin von Frey erhalten habe. Auch die Einrichtung von Bürgerbüros wurde selbstherrlich verboten. Angeblich äußerte Gerhard Frey über solche Versuche, der Partei eine Basis zu geben: "Mich interessieren keine Mitglieder, sondern nur Wähler".

Peter Reffert beklagt weiterhin, der erfolgreiche Einzug in den Magdeburger Stadtrat ohne Frey-Millionen, allein über die Basisarbeit, beweise, daß DVU-Politik auch anders möglich sei. Weshalb der Verzicht auf eine Beteiligung an der Landtagswahl in Schleswig-Holstein am 27. Februar unter Verweis auf die Kosten ein Indiz dafür sei, daß Frey gar keine echte Partei wolle. Nicht zuletzt wirft er ihm politischen Extremismus in seiner National Zeitung vor.

Dies korrespondiert mit den Erlebnissen der aufmüpfigen Landtagsabgeordneten. Vom ersten Tag der parlamentarischen Arbeit an versuchte der Parteipatriarch, die ihm genehmen Fraktionsmitglieder in entsprechende Positionen zu hieven. Bald spaltete sich die Fraktion durch eine Kette von Austritten in neun Widerständler und sechs "Freygänger". Zuvor schon waren Letztere, so hört man aus der kritischen Mehrheitsfraktion, durch eine "wenig positive" Arbeitsleistung unangenehm aufgefallen. Es wird beklagt, man hätte Vorwürfen aus der SPD-Fraktion wegen der mangelnden Arbeitsleistung der Kollegen nichts entgegenhalten können. Schließlich traf man den Frey-treuen Abgeordneten Dieter Kannegießer statt in der Ausschußsitzung in der Bahnhofskneipe beim Bier an – und zwar genau mit jenem Kollegen, der ihn im Falle von Abwesenheit hätte vertreten sollen. Ermahnungen durch die Fraktionsvorsitzende nutzten so wenig wie Beschwerdemeldungen nach München.

Auch daß die Mitteilung des Verdachts der Pädophielie gegen einen Mitarbeiter der Fraktion bei Frey angeblich lediglich einen Wutanfall gegen den Meldenden hervorrief, erschreckte die Führung in Magdeburg zutiefst. Und dabei hatte es zuvor bereits Vorwürfe wegen Stasi-Tätigkeit, sowie wegen Tierquälerei gegen andere Frey-treue gegeben.

Am Dienstag dieser Woche schließlich ließ sich die neue "Freie Fraktion der DVU" vom Präsidium des Hohen Hauses anerkennen.

Für Charlotte Wiechmann muß dies wie Hohn klingen, reklamierte sie doch für ihre Gefolgschaft: "Unsere Fraktion ist jetzt be-freyt!" Die Sachsen und Anhaltiner haben nun das ungewöhnliche Vergnügen, durch wunderbare Jungfrauengeburt, zwei Fraktionen einer Partei in ihrer Volksvertretung zu haben.

Daß die Unterstützer von Claudia Wiechmann der entzogegenen Liebe ihres Vorsitzenden nicht nachtrauern, liegt vor allem am "System Frey", das diese nach dem Wahlsieg im April 1998 von "innen" kennenlernen durften. Es offenbarte sich zwischen den Zeilen bald, was man offensichtlich als das eigentliche Interesse des Münchner Doktors erkennen mußte.

So geht aus einem der JUNGEN FREIHEIT vorliegenden Schriftwechsel hervor, daß Frey etwa ein dringend von Frau Wiechmann erbetenes Arbeitstreffen mit der Forderung nach Bezahlung rückständiger Abgabenleistungen der Fraktion an die Partei verweigerte. Nach dem Motto, keine Leistung ohne Bezahlung, war Frey bereit, die politische Arbeit der Fraktion wegen internen Finanzquerelen komplett zu boykottieren. Das Abgeordnete kein Privatbesitz, sondern Volksvertreter sind, schien ihn dabei wenig zu interessieren. Auch daß Frey in dem Schreiben einen Wiederantritt der DVU bei der nächsten Landtagswahl im Jahr 2001 ausdrücklich vom "loyalen" Verhalten der Parlamentarier abhängig machte, zeigt, daß es der DVU wohl kaum um Politik geht. "Inhalte", "die Sache" oder "der Wähler" scheinen Begriffe außerhalb des Interesses von Frey zu sein.

Inzwischen hat die abtrünnige Fraktion sogar das Landeskriminalamt eingeschaltet. Nachdem der Landtagsabgeordnete Horst Mertens des Nachts angeblich Besuch von zwei "Herren", die gegen seinen ausdrücklichen Willen auf sein Grundstück vor- und in seine Wohnung eindrangen und ihn dort zwar nicht tätlich, aber in eindeutiger Weise "massiv bedrängten", fühlt sich die Renegaten-Fraktion nicht mehr sicher.

Allerdings bestätigte das LKA in Magdeburg auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT zwar, daß ein Gespräch in dieser Sache mit der Mehrheitsfraktion stattgefunden habe, hält die Vorwürfe jedoch nicht für stichhaltig genug, um Ermittlungen aufzunehmen. Und auch im Lager der allgemein als offen und sympathisch beurteilten Frau Wiechmann gibt es fragwürdige Vorfälle. So ist auch Helmut Wolf bereits polizeilich auffälig geworden: Mit einem Revolver soll er seine Frau bedroht haben.

Auf die Frage, ob denn bei diesen Verhältnissen die DVU noch dem Auftrag des Grundgesetzes entspreche, wonach die Parteien an der politischen Willensbildung mitzuwirken haben, betonte Helmut Wolf, diese Beurteilung wolle man den Fachleuten überlassen. Claudia Wiechmann sieht immerhin durch Gerhard Frey wichtige demokratische Grundsätze in Frage gestellt.

Gerhard Frey hat wieder einmal alles getan, um die Vorurteile gegen ihn als Urteile zu legitimieren. Er kann sich wohl rühmen, der Welt einziger Verleger zu sein, dessen Buchdienst eine angeschlossene Landtagsfraktion betreibt.


 
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