© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/00 18. Februar 2000

 
LOCKERUNGSÜBUNGEN
Weniger Demokratie
Karl Heinzen

Die Gesellschaft hat ihren Staat noch nie so recht geliebt, doch nun mag sie nicht einmal mehr glauben, daß er wenigstens ein unvermeidliches Übel sei. Da das Bedürfnis nach demokratisch legitimierter Politik auch durch die 16 Jahre geistfeindlicher Menschenverachtung unter Helmut Kohl nicht gänzlich ausgelöscht werden konnte, muß weiterhin nämlich mit dem Schlimmsten gerechnet werden. Wer eine Macht schönredet, die nicht von Privaten ausgeübt wird, raubt denjenigen, die über genug Vermögen verfügen, um es genießen zu können, ein Stück ihres Vertrauens in eine gesicherte Zukunft. Unverändert schließen sich Demokratie und Marktwirtschaft leider aus, wenn es hart auf hart gehen könnte. In solchen Situationen ist es schon der Mühe wert, daran zu erinnern, daß unser Wohlstand nicht von der Politik herrührt.

Der Abschied von der Demokratie schmerzt umso mehr, als es um den Wandel von Einstellungen und nicht den von Verhältnissen geht. Die neuerliche Revolution von den Höhen der Gesellschaft herab will daher behutsam ins Werk gesetzt sein. Genügend Umsicht besitzt hier als ehemaliger Richter am Bundesverfassungsgericht naturgemäß Ernst-Wolfgang Böckenförde, der in der "Frankfurter Allgemeinen" das neue Wissen der Menschen um die Natur der CDU als Chance genutzt hat, den Parteienstaat als Ganzes in Frage zu stellen. Hier liegt er mehr als nur instinktiv richtig, und er scheut sich auch nicht, die Stoßrichtung seiner Anregung durchblicken zu lassen: Da, so die Auf- fassung des Verfassungsgerichts, "der Volkswille, von dem in Wahlen und Abstimmungen die Staatsgewalt ausgeht, ’in der Wirklichkeit des modernen demokratischen großen Staats nur in den Parteien als politischen Handlungseinheiten erscheinen‘ kann", ist es naheliegend, eben diesen Parteien so weit wie nur möglich Beschränkungen in der Gestaltung von Politik aufzuerlegen.

Vieles, was noch vor zwei Jahrzehnten Sorge bereitete, hat sich zum Guten gewendet: Die Menschen meinen nicht mehr, durch Engagement etwas bewegen zu können. Ihr Grundvertrauen hat sich von demokratisch legitimierten Institutionen auf die Medien verlagert. Die Immunisierung gegen Vorurteile und Haß hat sie in ihrer Bereitschaft gestärkt, gemeinsam gegen etwas aufgebracht zu werden. Vor diesem Hintergrund läßt sich mit Parteien kaum noch ein praktischer Nutzen verbinden. Als Relikte eines überwundenen Prinzips bergen sie aber immer noch genug Gefahren für die Stabilität von morgen. Die Aussichten für einen Systemwechsel hin zu weniger Demokratie sind aber günstig, und sie müssen ergriffen werden. Wiederum ist es Helmut Kohl, der für den Aufbruch in eine neue Zeit steht: Nicht nur, daß er den Aberglauben an die Erfolgsaussichten redlicher Politik austrieb – er gibt auch noch den Vorwand, mit jener Artikulation des Volkswillens aufzuräumen, mit der sein Name zu Unrecht in Verbindung gebracht wird.


 
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