© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/00 18. Februar 2000

 
Österreich: Die FPÖ muß sich neu erfinden
Für einen neuen Stil
Peter Sichrovsky

Ein Gespenst geht um in Europa" – hat nicht schon einmal eine wichtige politische Schrift mit dieser Aussage begonnen? Diesmal ist es nicht der Kapitalismus, der Kommunismus, der Faschismus oder Nationalsozialismus, nein, ein ganz neues Gespenst bedroht das verschlafene Europa, das Gespenst der "dummen Wähler".

In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg, nach dem mühsamen Training der Diktaturtrainierten Europäer in entsprechender Art und Weise von ihrem neu erworbenen demokratischen Recht der Stimmabgabe Gebrauch zu machen, reagierte der beeindruckte Bürger mit Dankbarkeit und Hingabe. Er gab jenen Parteien seine Stimme, die – kaum voneinander unterscheidbar – in vertrauensvoller Weise ihm erklärten, daß sie zumindest, wenn auch nichts anderes, das Brot auf dem Tische und das demokratische Recht der Stimmabgabe garantierten.

Die Not der Nachkriegsjahre motivierte die Wähler, frei nach dem Spruch "Zuerst das Fressen und dann die Moral", zumindest in Österreich mit einer beeindruckenden Konsequenz immer wieder jene korrupten Parteien zu wählen, die, die Wähler entsorgend, vor allem ihre Funktionäre und Bonzen versorgten. Nun, wenn der Satz von Brecht irgendeine Berechtigung hat, dann jene, daß die Wähler in Österreich nun endlich satt sind und zu Denken beginnen. Erst die ökonomische Sicherheit verlieh ihnen den Mut, das Risiko zu wagen und das Establishment zu ignorieren.

Sie wählten "rechts", was "links" derart erschütterte, daß diese bereits den Blausäuregeruch unter den Achseln der "Neuen Nazis" roch und zu schreien begann. Mit einem eng begrenzten Vokabular von "rechtsextrem" über "faschistisch" bis zu "neo-nazistisch" wurde die FPÖ in Österreich nicht politisch zugeordnet, sondern kriminalisiert. So einfach geht das. Die Logistik funktioniert gemäß der eigenen Auswahl der jeweils gefälligen Lüge. Die FPÖ ist rassistisch, also muß man doch reagieren, die FPÖ ist faschistoid, also muß man doch aufschreien, Haider ist ein Nazi, also muß man doch gegen ihn vorgehen. Die Lüge wird zum Argument, die Selbstlüge zum Motiv und der Heiligenschein des Antifaschismus sitzt auf dem Haupt wie maßgeschneidert. Alles paßt plötzlich so toll zusammen.

Wer wird schon einem deutschen SPD-Abgeordneten streitig machen, gegen den Faschismus aufzutreten? Wer wird einen deutschen Außenminister kritisieren, wenn er gegen einen Neo-Nazi polemisiert? Alles hat seine Berechtigung, jeder kennt seine Rolle, Vorhang auf, das Schauspiel kann beginnen. Bloß, wo bleibt der Nazi? Wir warten schon alle so lange! Wo sind die Faschisten, vor denen wir uns fürchten sollen? Wo die Rassisten und Populisten und Rechtsextremen?

In einem Interview mit einer amerikanischen Tageszeitung antwortete ich dem Journalisten auf die Frage, warum ich als Jude unter einem Neo-Nazi arbeite, warum er als Journalist in einem Land lebe, in dem der Präsident wegen Vergewaltigung verurteilt worden sei? Er reagierte mit Empörung und meinte, das sei eine Lüge, bei aller Kritik an Clinton sei dieser wahrhaftig kein Vergewaltiger! "Sehen Sie", antwortete ich ihm, "Haider ist so weit von einem Neo-Nazi entfernt wie Clinton von einem Vergewaltiger!"

Ihm gefiel dieser Vergleich nicht. Mir seiner auch nicht.

Doch was ist die Konsequenz dieses Aufschreis in der Welt? Leider kann das Image nicht von einem Produkt getrennt betrachtet werden. In einer Zeit, in der alles zur Ware wird, ob Nachrichten, Parteien oder Politiker, entscheidet die Identität eines Produktes über Erfolg oder Niederlage. Deshalb muß die FPÖ – ob sie nun berechtigt oder unberechtigt verurteilt wird – sich selbst neu erfinden. Jede Form der Verteidigung muß scheitern, weil sie nur den Gegner stärkt und ihn in seiner lügnerischen Welt stabilisiert. Es kann Jahre dauern, bis man die Kunden davon überzeugt, daß in einer bestimmten Schokolade keine Giftstoffe sind, wenn tagaus, tagein in der Presse davon zu lesen ist – auch wenn in dieser Schokolade nie Giftstoffe enthalten waren.

Die FPÖ muß diese kommunikativen Mechanismen verstehen und entsprechend reagieren. Jetzt beleidigt und voller Selbstmitleid sich in die Ecke zu verziehen und die Welt zu beschimpfen, weil sie bösartig und unfair ist, hat wenig Sinn. Nichts ist überzeugender und auch entlarvender als die Realität, und die ist derzeit einfach beschissen für die FPÖ.

Wir, die in der FPÖ arbeiten, sind derzeit in der Phantasie unserer Gegner die Handlanger des Teufels. Das macht das Leben zwar spannend, aber auch anstrengend. Wie lange das allerdings die neuen Demokratien in Europa aushalten, ist eine andere Frage. Wenn Schreien, Verleumden und Hetzen statt Argumentieren der neue demokratische Stil in Europa ist, dann darf sich wahrlich keiner wundern, wenn die wahren Rechtsaußen in der politischen Landschaft mehr und mehr Zulauf bekommen.

 

Peter Sichrovsky, Publizist und Schriftsteller, ist für die FPÖ Mitglied im Europäischen Parlament.


 
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