© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/00 18. Februar 2000

 
CDU-Krise: Die Deutschen flüchten aus Protest gegen die Parteienkrise in Wahlverweigerung
Vakuum in der Mitte
Dieter Stein

Die am Dienstag vom Bundestagspräsidenten Thierse verkündete Entscheidung, die CDU zu einer Rückzahlung von 41,3 Millionen Mark Steuermitteln zu zwingen, trifft die Partei empfindlich. Das Vorgehen des Bundestagspräsidenten ist konsequent, und angesichts von CDU-Drohungen gegen Thierse muß die Äußerung Kanzler Schröders wie eine schallende Ohrfeige klingen, die CDU habe wohl immer noch nicht begriffen, daß sie und der Staat nicht gleichzusetzen seien.

Die CDU hat sich tatsächlich zunehmend mit dem Staat verwechselt. Sie könnte nun den schmerzlichen Prozeß einer zwangsweisen Abnabelung vom Staat durchleiden. Durch materiellen Liebesentzug in Millionenhöhe. Wenn eine solche Privatisierung der CDU gelingt, könnte die Partei an Effizienz gewinnen. Die brutale Diät könnte sich als heilsame Therapie für eine durch Pfründewirtschaft träge gewordene Organisation herausstellen. Wenn Kohl die CDU war, so ist seine Körperfülle symptomatisch für eine politisch und geistig verfettete Partei.

Die Kur, die der CDU seitens des Bundestagspräsidenten verordnet wird, ist jedoch möglicherweise zu milde. Die Strafzahlungen fallen empfindlich aus, sind aber nicht hoch genug, um die CDU aus dem Kreis der den Staat ausbeutenden Parteien auszuschließen. Es handelt sich eher um eine Bewährungsstrafe. Die CDU wird dies mit Reue und Besserungswillen quittieren.

Würde die CDU tatsächlich in den Bankrott getrieben – und danach sieht es derzeit wahrlich nicht aus –, könnte sich das bürgerliche Lager neu organisieren. Aus der CDU könnte eine notwendige radikale Reformkraft gegen den Parteienstaat erwachsen. Dies hätte zur Folge, daß die politisch und moralisch diskreditierte Führung der Union auf Nimmerwiedersehen von der Bühne verschwinden würde und es zu einer nachhaltigen Belebung der politischen Landschaft käme. Daran können aber weder SPD noch Grüne, weder FDP noch PDS ein Interesse haben. Schließlich leiden auch sie unter Blutarmut und hängen am Tropf des Staates.

Eine waidwunde CDU, die aufgrund einer Bewährungsstrafe unter ständigem Besserungsdruck steht, die politisch dauerhaft erpressbar ist und die überdies eine offensive, kraftvolle Artikulation konservativer, freiheitlicher, rechter Bürgerinteressen hemmt, kommt dem Interesse einer linken Dauerhegemonie für die nächsten drei, vier Legislaturperioden entgegen.

Zu erwarten ist bei den kommenden Wahlen deshalb eine massive Flucht der Wähler in Wahlenthaltung und die Verweigerung der Mitwirkung an einer repräsentativen Demokratie, in der dem Souverän passende Repräsentanten fehlen oder die angebotenen Alternativen unterschiedslos als indiskutabel angesehen werden. Bei der jüngsten Oberbürgermeisterwahl in Halle am vergangenen Sonntag fiel die Wahlbeteiligung auf symptomatische 37 Prozent. Ein erstes Indiz, daß sich die Bürger von einem Politbetrieb abwenden, der aktive Mitwirkung nicht fördert.

Mancher Blick schweift nach Österreich, wo es im Zeichen der Freiheitlichen Jörg Haiders gelungen ist, ein Parteienkartell zu zerschlagen und für einen demokratischen Frühling zu sorgen. Nur: Vieles spricht gegen eine politische Entwicklung in Deutschland nach dem Muster Österreich. Zu unterschiedlich sind die Voraussetzungen der Parteiensysteme. So existiert im Osten eine den Protest weitgehend absorbierende PDS, im Westen regional starke Grüne, dazwischen die FDP. Schließlich besitzt die CDU durch die Existenz einer eigenständigen und populistisch-konservativ gefärbten CSU ein Mittel, um Stimmungen nach rechts auszubalancieren. Eine überregional erfolgreiche Rechtspartei ist deshalb nicht in Sicht.

Die FPÖ war in Österreich fester und akzeptierter Teil eines etablierten Drei-Parteien-Systems, als Haider 1986 die Wiener Schwesterpartei der FDP übernahm. Die FPÖ war keine Neugründung. Eine solche hätte es auch in Österreich schwer gehabt. Wie fanatisch neugegründete Parteien in Deutschland von den Inhabern der Macht bekämpft werden, ist bekannt.

Wir werden deshalb die nächsten Monate, ärgstenfalls Jahre, mit einer politischen Lähmung des bürgerlichen Lagers rechnen dürfen, wenn es nicht zu grundlegenden Neuformierungen rechts der "Neuen Mitte" kommt. Was solange bleibt, ist ein politisches Vakuum.


 
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