© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    07/00 11. Februar 2000

 
Berliner Salons: Die Freunde literarischer Abende kommen in der Hauptstadt auf ihre Kosten
Das gesellige Canapé
Doris Neujahr

Früher bezeichnete das Wort "Salon" erstens einen großen, prachtvoll ausgestatteten, halböffentlichen Raum, der in reichen europäischen Häusern zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert entstanden war und in dem "man Klavier spielte, das Essen servierte und Gäste empfing" (Deborah Hertz).

Die zweite Bedeutung des Salons galt dem besonderen gesellschaftlichen Ereignis, das in diesem Zimmer regelmäßig stattfand. Ein Salon mußte von der Dame des Hauses organisiert sein, die auch den charakteristischen intellektuellen Diskurs leitete. Die "Gesellschaft", die sich hier versammelte, bot freilich keinen repräsentativen Querschnitt durch die Sozialstruktur, sondern umfaßte die Mächtigen, die Vornehmen und Reichen.

Der Salon entwickelte sich zu einer Schnittstelle zwischen Politik, Kultur, Presse, großem Geld und altem Adel, an der galante Geschichten geflüstert, Bonmots getauscht, politische Entscheidungen lanciert und Künstlergenies auf den Schild gehoben wurden. Der ideale Teilnehmer war geistvoll und unterhaltsam zugleich, er wußte um die Etikette, ohne ihr Sklave zu sein. Der Salon war ein Modell toleranter, moderner Zivilisiertheit und Kommunikation, wo über Gegensätze und Standesschranken hinweg Brücken gebaut und gesellschaftliches Rollenverhalten durchgespielt wurde. Überhaupt waren die Elemente des Spiels und der Ironie für einen erfolgreichen Salon unverzichtbar. Marcel Proust hat die Faszination des Salons, aber auch den Abgrund der Selbstgefälligkeit, der Arroganz und Verödung, an dem seine Teilnehmer stets balancieren, vollendet beschrieben.

In der deutschen Sozialgeschichte, wo die Standesunterschiede sehr bestimmend blieben, war der Salon eher die Ausnahme. Die erste und wichtigste Blüte erlebte er zur Zeit der Frühromantik in Berlin, wo die Namen der Salondamen Rahel Varnhagen, Henriette Herz oder Dorothea Schlegel bis heute einen legendären Klang haben. Der auf dieser Traditionsbasis gewachsenen, schmalen deutschen Salonkultur machten die NS-Zeit und der Zweite Weltkrieg den Garaus. Folgen hat das bis heute, und sei es, daß dem politischen Personal in Deutschland noch immer ein Sinn für Ästhetik abgeht oder ein Streit um Meinungen schnell in moralischen Totschlag einmündet.

In Berlin, wo der Salon das Fehlen einer alteingesessenen guten Gesellschaft kompensierte, wird dieser Verlust besonders stark empfunden; andererseits sind die Erwartungen und Ansprüche an die Zukunft hier auch am größten. Seit einigen Jahren sprießt in der Stadt wieder eine Salonkultur aus dem Boden, die sich nur zu gern auf frühromantische Ursprünge beruft. Praktisch aber sind es Versuche, neue Rahmen und Foren für Kommunikation und gehobene Unterhaltung zu schaffen, das Bedürfnis nach schönen Formen, nach Eleganz, gutem Benehmen, nach einer Ästhetik des Lebens und des menschlichen Umgangs zu stillen: Nicht alles, was als "Alltagskultur" subsummiert wird, läuft also auf Nivellierung und Verhäßlichung hinaus!

Die Berliner Autorin Cornelia Saxe hat sich für ihr Buch "Das gesellige Canapé". Die Renaissance der Berliner Salons" (Quadriga Verlag, Berlin 1999) sich zu den verschiedenen Einrichtungen, Adressen, Treffpunkten auf den Weg gemacht. Die neuen Salons, so das Fazit, wollen nicht einfach die verlorenen Vergangenheit rekonstruieren, sondern spiegeln auch die neuen Vielschichtigkeiten, Differenzierungsprozesse und die Aufweichung traditioneller Geschlecherrollen wider. Das heißt: auch Männer können heutzutage einen Salon unterhalten! Neben den traditionellen literarischen Salons gibt es Treffpunkte für Akademiker, Gourmets, für Künstler, exklusive Frauensalons oder Salons für Schwule und Lesben. Einige sind randständige Liebhabereien ihrer Betreiber, etwa die elitäre französische Tafelrunde in einer Charlottenburger Künstlerwohnung; andere haben eingestandenermaßen auch einen wirtschaftlichen Hintergrund, wie der Salon im eigenen, kleinen, defizitären Prenzlauer-Berg-Buchladen, dessen Inhaber sich in würdiger Stefan-George-Haltung präsentiert. Der Salon eines sich äußerst wichtig nehmenden Unternehmensberaters, ausgerichtet in dessen privater Sechs-Zimmer-Wohung, dient eindeutig als Kontaktbörse für Politiker, Wirtschaftsleute, Aufsteiger und als Jahrmarkt der Eitelkeiten obendrein.

Was für ein Stoff also für eine boshafte Klatschkolumnistin, für eine scharfsichtige Kultursoziologin oder eine Gesellschafts- und Berlin-Kritikerin, welche die Substanz vom Surrogat, die originelle Geste von der Pose, das Feuer echter Begeisterung vom Talmi-Glanz der Blasiertheit, die hohe Kunst der Ironie von der abgelauschten Platitüde unterscheidet und so die fließenden Aggregationen in der neuen Hauptstadt beschreibt! Die Autorin Cornelia Saxe ist weder das eine noch das andere, sie hat bloß eine brave, solide Arbeit abgeliefert (die Adressenliste am Schluß!). Die rund zwei Dutzend Kapitel sind immer gleich aufgebaut: Zunächst werden die Salon-Betreiber vorgestellt, wer sie sind, was sie wollen, wen sie vorzugsweise einladen oder anziehen, und dann ein Treffen geschildert. Man spürt ihr Erstaunen darüber, was es in der großen Stadt so alles gibt, wo sie überall reinschnuppern und wen sie alles kennenlernen durfte. Sie wirkt wie eine karikaturistischer Beleg für die These von Nicolaus Sombart, daß man eine Gesellschaft nur von der Spitze der Gesellschaftspyramide aus beschreiben kann, nicht aber von unten, als Gerade-mal-Zugelassene.

Peinlich und unprofessionell ihr Geständnis, zum Teesalon von Nicolaus Sombart, dem bekanntesten Salonier (im Buch ist dieser Begriff fälschlicherweise mit einem Betonungszeichen versehen) und Salontheoretiker Berlins, nicht zugelassen worden zu sein. Rührend und noch unprofessioneller ihre Freude, mit der sie eine schließlich gewährte Privataudienz bei Herrn Sombart wie ein Staatsereignis ausbreitet, um dann ihr Buch mit einer "Perle" aus dem seinem Zitatefundus zu beschließen. Im Personenporträt des Klappentextes heißt es, Cornelia Saxe sei "aus der Künstlerszene im Prenzlauer Berg hervorgegangen". Hatte die Prenzlauer-Berg-Szene nicht eine Vorliebe für den französischen Dekonstruktivismus? Hätte die Autorin doch den Versuch unternommen, Herrn Sombart zu dekonstruieren und zu zeigen, was an ihm eitler Snobismus, Versatzstück und – mit Verlaub – mittlerweise Senilität ist! Ach ja: Auf Seite 39 ist von "Stefan Hermlin" die Rede. Nun hieß der "Stefan" zwar in Wahrheit "Rudolf" (nämlich Leder), schrieb sich aus ästhetischen Gründen im Alltag jedoch "Stephan"! Noch so ein Beispiel einer verschenkten Pointe!


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen