© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    07/00 11. Februar 2000

 
Zeitschriftenkritik: "Kalaschnikow"
Ein wenig angestaubt
Werner Olles

Die 68er-Kulturrevolution hatte einst die Zeitschriftenlandschaft polarisiert und ein Schubladensystem in Kraft gesetzt, das mit Kategorien wie links und rechts, fortschrittlich und reaktionär, liberal und konservativ zwar für Ordnung im Lande sorgte, aber leider auch gähnende Langeweile produzierte. Inzwischen ist die Lage etwas diffuser, man könnte auch, um Jürgen Habermas zu zitieren, von einer "neuen Unübersichtlichkeit" sprechen. So verzichten manche Zeitschriftenprojekte auf eine eindeutige Zielutopie und lassen sich kaum noch bestimmten politischen Standorten zuordnen.

Für das Politmagazin Kalaschnikow mit dem hübschen Untertitel "Waffe der Kritik" gilt dies jedoch nicht. Hier versucht man, Marxismus und Revolution resignativ-heroisch zu bewahren, allerdings unter Verzicht auf jeglichen Dogmatismus, den man durchaus als Mitschuldigen an der Krise der Linken und des Sozialismus erkannt hat. Kalaschnikow-Herausgeber Stefan Pribnow und seine Redakteure wissen, daß die marxistische Theorie ihre zentrale Aufgabe, die Analyse der Klassenherrschaft in den wirklichen sozialen Beziehungen der Menschen, noch zu leisten hat, und daß jeder, der Herrschaft und Entfremdung voneinander trennt, den Marxismus und seine Methode als Legitimationsideologie mißbraucht und selbst zum Agenten der Unterdrückung wird.

Es lohnt sich also, die Texte zur Sozialismus-Debatte und zur Politischen Ökonomie in der Winter-Ausgabe aufmerksam zu lesen, auch wenn sich André Brie – der es besser wissen müßte – in seinem Beitrag "Sozialismus im 21.Jahrhundert" in Bezug auf die von ihm vermutete "Offensive" von Konservativen und Rechten, die er noch dazu umstandslos mit Wirtschaftsliberalen in einen Topf rührt, eine geradezu frappierende Fehleinschätzung der politischen Lage in Deutschland leistet. Was Ulrich Weiß dagegen zur Arbeitslosigkeit im Kapitalismus, zum Parlamentarismus und zum Populismus der Schröders, Fischers & Co. schreibt, ist von einer lesenswerten provokativen Schärfe.

Als bekennender Überläufer interessiert man sich naturgemäß am meisten für jene Texte, die sich mit den "Rechten Leuten von links" befassen. Dabei handelt es sich im wesentlichen um Matthias Hartmanns "Antwort auf den antidoitschen Stammtisch", Stefan Pribnows Aufsatz "Zur Kritik der Nation und ihrer Aftergänger", Günther Sandlebens "Kritik an Rabehls Danubia-Rede zur Lage der Nation" und Petra Leischens Text "Ad Bernd Rabehl". Alle vier Deutungen sind gewissermaßen symptomatisch für die Beschäftigung mit der Neuen Rechten in Deutschland. Während Pribnows und Hartmanns Ausführungen von durchaus anregender, nonkonformistischer Frische sind und auch erkennen lassen, daß hier Ansätze für eine ehrlich gemeinte Auseinandersetzung vorhanden sind, bietet Sandleben die flache Kritik des juste milieu der Orthodoxie, die zielsicher und ungebrochen im tröstenden Horizont des sozialistischen Biedersinns landet. Da es diesem politischen Typus scheinbar unmöglich ist, Nation, Klassenkampf und Sozialismus zusammen zu denken, könnte vielleicht eine kleine Anleihe bei Ernst Niekisch hier ganz hilfreich sein, möglicherweise genügte aber auch schon eine retrospektive Jenseitsreise zu den ML-Grundschulungskursen der seeligen siebziger Jahre.

Dagegen ist Petra Leischens Beitrag "Ad Bernd Rabehl" – offenbar für den linksradikalen Heranwachsenden mit Latinum geschrieben – ein Musterbeispiel dafür, wohin der fanatische Haß auf den politischen Gegner führt. In einer nur notdürftig moralisch verbrämten Anbiederung an das extremistisch-"antifaschistische" Milieu, die an Platitüden, Klischees, Abstrusitäten und geistigen Tiefpunkten nicht so leicht zu überbieten ist, wird hier eine klebrige Übereinstimmung mit jenem gewalttätigen, linientreuen, linken Restbestand zelebriert, der das Motiv des zeitverschobenen, nachholenden und am falschen Gegenstand exekutierten Widerstands gegen den Nationalsozialismus bis zur Karikatur präzisiert. Daß bei einem derartigen prinzipialistischen Denken, wenn es sich erst einmal zur Existenzfrage stilisiert hat, unaufhaltsam das Gefühl von Wirklichkeit verloren geht, liegt auf der Hand. Es lohnt sich daher auch nicht, auf Leischens Invektiven gegen Bernd Rabehl ("Lügner", "Antidemokrat", "Antisemit", "Faschist") einzugehen, letztlich desavouiert sie sich damit nur selbst. Was bleibt, ist eine trübe Mischung aus Re-education-Kultur, aktiver Verfolgung Andersdenkender zugunsten der rührend-kitschigen Idylle eines ewigen Antifa-Seminars und einer unterdrückerischen Vorstellung von Kohärenz und Einheit der Biographie, die im Zweifelsfall, so jedenfalls suggeriert es uns Leischens letzter Satz, "...dem Faschisten Rabehl bald das Handwerk legen", mit Berufsverboten, Gewalt und Stacheldrahtzäunen durchzusetzen ist. Die Lust, sich mit dem Heft Richtung Altpapiertonne zu bewegen, wird von solchen Sätzen ungemein gefördert.

Dennoch ist es das Verdienst von Kalaschnikow, durch den Wegfall von Denkverboten, Tabus und Zensurmaßnahmen das Bedürfnis nach Homogenität und Kohäsion in der verbliebenen Linken durchbrochen zu haben, die ihre brüchig gewordene Identität durch die Verfolgung von Renegaten und Abweichlern zu konservieren und ihre Vergreisung durch das hektisch-beflissene Hissen der antifaschistischen Warnflagge zu kaschieren versucht. In Gesinnungsdebatten und auf Gute-Menschen-Parties – das hat man hier längst verstanden – können revolutionäre, aber auch antifaschistisch gezähmte Linke nur ihr Gesicht verlieren, und sei es im Fall des Antifaschismus auch eine Fratze. Der inneren Logik des wohlverdienten Zerfalls folgend, verstummen im trauten Kreis dieses politischen Autismus dann die Gesänge.

"Kalaschnikow" erscheint im Verlag "Philosophischer Salon", Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin. Einzelpreis: 10 Mark


 
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