© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    07/00 11. Februar 2000

 
CDU-Spendenaffäre: Der Staatsrechtler Winfrid Hedergott zur Parteienfinanzierung
"Moderne Pfründenwirtschaft"
Jörg Fischer

Herr Professor Hedergott, der Wissenschaftler Hans-Herbert von Arnim vertritt die These: "Die Parteien haben sich den Staat zur Beute gemacht". Ist die Aussage immer noch überzogen?

Hedergott: Ich würde das so formulieren: Die Parteien haben sich den Staat weitgehend zur Beute gemacht, mit steigender Tendenz. Artikel 3 Abs. 3 des Grundgesetzes, wonach unter anderem niemand wegen seiner politischen Anschauung benachteiligt oder bevorzugt werden darf, was eine deutliche Absage an das politische System vor 1945 bewirken sollte, ist von den etablierten Parteien nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes vom 23. Mai 1949 niemals ernst genommen und zunehmend ausgehöhlt worden. Faktisch werden alle im Staat oder im staatsnahen Raum zu besetzenden Stellen und Positionen, zum Beispiel bei Rundfunk und Fernsehen, von den Parteien und Fraktionen besetzt, die dann dafür von den Amtsinhabern durch Parteisatzungen oder Beitragsordnungen in verfassungswidriger Weise abkassiert werden. Diese Mandatsabgaben oder Sonderbeiträge stellen die moderne Form der "Pfründenwirtschaft" dar und dienen der verdeckten Parteienfinanzierung.

Verstöße gegen das Parteiengesetz stellen bislang keinen Straftatbestand dar. Mit welchen Sanktionen haben die Verantwortlichen zu rechnen?

Hedergott: Der vierte Abschnitt des Parteiengesetzes vom 24. Juli 1967, in der Fassung vom 17. Februar 1999, regelt die staatliche Finanzierung der Parteien und enthält keine besonderen Strafnormen gegen die handelnden Personen in den Organen der anspruchsberechtigten Parteien.

Sollten Verstöße gegen das Parteiengesetz künftig strafbar sein?

Hedergott: Im 5. Abschnitt des Parteiengesetzes wird im § 23 Abs. I geregelt, daß der Vorstand der Partei über die Herkunft und die Verwendung der Mittel, die seiner Partei im Rechnungsjahr zugeflossen sind, sowie über das Vermögen der Partei öffentlich Rechenschaft zu geben hat. Diese Verpflichtung trifft den ganzen Vorstand und nicht etwa nur den Vorsitzenden oder den Schatzmeister. Faktisch ist eingerissen, daß das 1945 abgeschaffte Führerprinzip wieder hinten herum eingeführt wird, indem die übrigen Vorstandsmitglieder sich um ihre eigene Verantwortung für die Rechenschaftslegung drücken. Die strafrechtliche Verantwortung der handelnden bzw. eben nicht handelnden Vorstandsmitglieder, die bisher bewußt von den Parteien vermieden worden ist, sollte rasch eingeführt werden.

Gibt es aus juristischer Sicht Unterschiede zwischen dem Verhalten von Helmut Kohl und den Vorgängen in der Hessen-CDU?

Hedergott: In beiden Fällen handelt es sich um klare Verstöße gegen den Verfassungsgrundsatz in Artikel 21 Absatz I, Satz 3, wonach die innere Ordnung der Parteien demokratischen Grundsätzen entsprechen muß. Der Bundesvorsitzende Helmut Kohl, wie auch der hessische Landesvorsitzende Kanther haben unter Ausschaltung der gewählten Parteivorstände ihre Parteien mit einem System schwarzer Kassen als Alleinherrscher so geführt, wie es ihren persönlichen politischen Zielsetzungen und ihrem persönlichen Machterhalt dienlich erschien. Die politische Willensbildung in der Partei wurde so manipuliert und entsprach nicht mehr demokratischen Grundsätzen. Was würde die öffentliche Meinung und der Verfassungsschutz etwa sagen, wenn ein solches Führungssystem bei der PDS oder bei den Republikanern auftreten und aufgedeckt werden würde?

Es wird jetzt von Geldrückforderungen gesprochen, gegen Kohl, die CDU usw. Wer muß was an wen als Strafe bezahlen?

Hedergott: Gemäß § 23 a Abs. I des Parteiengesetzes verliert eine Partei, die rechtswidrige Spenden erlangt oder nicht den Vorschriften des § 25 Abs. II Parteiengesetz gemäß im Rechenschaftsbericht veröffentlicht hat, den Anspruch auf staatliche Finanzmittel in Höhe des zweifachen Betrages dieser Spenden. Die rechtswidrig angenommenen Spenden sind an das Präsidium des Bundestages abzuführen. Es bleibt den betroffenen Parteien überlassen, ob und auf welchem Wege sie sich an den Personen schadlos halten wollen, die ihnen diesen finanziellen Schaden zugefügt haben.

Kann eine Partei wie die CDU mittels Geldrückforderung bzw. Strafzahlung in den Konkurs getrieben werden?

Hedergott: Es kann keine Sonderstellung für große Volksparteien geben. Es sind schon viele kleinere und mittlere Parteien nach 1945 aus den verschiedensten Gründen untergegangen. Nicht zuletzt aus Mangel an finanziellen Mitteln. Wenn eine große Partei mit illegalen Finanzmitteln zu politischen Einfluß gelangt ist, ist es nur recht und billig, daß sie diesen Einfluß verliert, wenn sie nur noch über geringere, aber dafür legale Finanzmittel verfügt. Der Präsident des Bundestages setzt gemäß § 19 Parteiengesetz die Höhe der staatlichen Mittel für eine Partei fest. Hierbei ist er an die gesetzlichen Vorgaben betreffend Rechenschaftsbericht und in Bezug auf "rechtswidrig erlangte Spenden" gebunden. Insoweit hat er keinen Ermessensspielraum, wohl aber für die Einräumung von Ratenzahlungen bei Rückzahlungspflichten oder der Streckung von Abzügen bei den fälligen Abschlagszahlungen der staatlichen Finanzierung der Parteien.

Sind Spenden von Abgeordneten, zum Beispiel bei den Grünen, an die eigene Partei rechtens?

Hedergott: Natürlich, aber nur, wenn sie wirklich freiwillig aus dem Vermögen der Abgeordneten geleistet werden. Aber jede Form von normierten Sonderabgaben für die Inhaber von Ämtern in der Legislative, der Exekutive oder der Judikative in den Satzungen oder Beitragsordnungen der Parteien stellt einen Verstoß gegen gesetzliche oder verfassungsrechtliche Vorschriften dar. So müssen z. B. die Entschädigungen für Abgeordnete durch den Bundesgesetzgeber in einer Höhe festgesetzt werden, die gem. Artikel 48 Abs. III des Grundgesetzes eine angemessene, ihre Unabhängigkeit sichernde Entschädigung darstellt. Werden die Abgeordneten faktisch durch ihre Parteien gezwungen, von diesen Entschädigungen aus der Staatskasse "Mandatsabgaben" oder Sonderbeiträge an ihre Parteien abzuführen, so stellt das eine illegale, verdeckte Parteienfinanzierung dar. Der Gesetzgeber darf Abgeordneten-Diäten nur in der Höhe festlegen, wie es zur Sicherung der Unabhängigkeit erforderlich ist. Setzt er in Kenntnis der Abführungspflichten an die Parteien höhere Diäten fest, so ist das ein klarer Fall einer illegalen, verdeckten Parteienfinanzierung. Schlimmer ist es, wenn der Gesetzgeber in Kauf nimmt, daß dem Abgeordneten durch die Abführung eines Teilbetrages der Diäten an seine Partei weniger für sich und seine Familie verbleibt, als aus Gründen der Sicherung der Unabhängigkeit bei seiner politischen Arbeit erforderlich ist. Dann muß die Frage gestellt werden, ob den politischen Parteien wirklich an Abgeordneten gelegen ist, die gemäß Artikel 38 Absatz I des Grundgesetzes Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen sind. Werden "freiwillige Spenden" aus zweckgebundenen, steuerfreien Aufwandsentschädigungen von Abgeordneten der Grünen durch Parteibeschluß an die Partei abgeführt, stellt das einen Gesetzesverstoß gegen das Haushaltsgesetz dar.

Worin besteht eigentlich der Unterschied zwischen der "CDU-Spenden-" und der "SPD-Flugaffäre": nur in der Geldsumme? Wie sind die Verfehlungen in NRW zu bewerten?

Hedergott: Bei dem Komplex "System Kohl" handelt es sich um zugegebene Verfassungs- und Gesetzesverstöße durch die CDU als Partei, begangen durch den Parteivorsitzenden und Parteiorgane. Bei der Flugaffäre in NRW handelt es sich um kriminelles und politisches Fehlverhalten einzelner Angehöriger der SPD.

Kann der Bundespräsident – zur Zeit selbst in der Diskussion und merkwürdig still – trotzdem eventuell eine Amnestie beschließen?

Hedergott: Es bedürfte eines Amnestiegesetzes, was, wie im Fall des "Flickskandals", nicht zustande kommen wird.

Wie sollten sich Parteien künftig finanzieren? Der thüringische CDU-Justizminister Birkmann schlägt vor, die Staatsfinanzierung auszuweiten und Großspenden zu verbieten. Ist das ein Ausweg?

Hedergott: Eine Wiederholung dieser Vorgänge kann nur erschwert, aber nie ausgeschlossen werden. Nach § 25 Parteiengesetz sind Parteien berechtigt, Spenden anzunehmen, jedoch nicht zum Beispiel von Parlamentsfraktionen und nicht Spenden, die erkennbar in Erwartung eines bestimmten wirtschaftlichen oder politischen Vorteils gewährt werden. Ein Verbot von sogenannten Großspenden ist nicht wirksam zu kontrollieren. Man sollte aber als Partei nur noch von natürlichen Personen Spenden entgegennehmen dürfen, deren steuerliche Absetzbarkeit eingegrenzt ist. An eine Ausweitung der Staatsfinanzierung würde ich nicht denken. Wenn den Parteien insgesamt weniger Geld zur Verfügung stünde, würden die Wahlkämpfe wahrscheinlich kürzer und qualitätsvoller und auch gerechter für kleinere Parteien ausfallen, weil Materialschlachten nur von Großparteien durchgehalten werden können.

 

Winfrid Hedergott: Rechts- und Staatswissenschaftler, Jahrgang 1919, von 1957–1972 Mitglied des FDP-Bundesvorstands, gehörte dem Niedersächsischen Staatsgerichtshof an, Honorarprofessor an der TU Hannover.




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