© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    07/00 11. Februar 2000

 
Österreich: SPÖ-Bundesgeschäftsführer Gusenbauer über Haider und den Abschied von der Macht
"Wähler hinters Licht geführt"
Jörg Fischer

Herr Dr. Gusenbauer, die Wiener Zeitung "Die Presse" berichtete, Bundeskanzler Klima (SPÖ) habe am Rande der Stockholmer Holocaust-Konferenz "um Aktionen gebeten", also europäische Schützenhilfe gegen ein OVP-FPÖ-Kabinett. Stimmen diese Berichte?

Gusenbauer: Zum einen hat der dänische Premierminister Rasmussen zweifelsfrei klargestellt, daß das ein absoluter Nonsens ist und weder der Bundeskanzler Klima noch der Herr Bundespräsident irgendwelche Initiativen unternommen hätten, die die Grundlage einer Kampagne in Österreich sein könnten. Das Ganze ist im wesentlichen der Versuch eines Ablenkungsmanövers vom einzigen wirklichen Faktum, nämlich, daß Grundlage der internationalen Empörung nicht nur vergangene, sondern auch jetzige Aussagen des Parteiobmanns Jörg Haider sind, die vielfach fremdenfeindlich sind, die vielfach seinen autoritären Charakter entlarven und die auch seine antieuropäische Gesinnung zum Ausdruck bringen. Und genau diese Äußerungen sind die Grundlage für die europäische und die internationale Empörung, und irgendwelche absurden Ablenkungsmanöver, die da jetzt angestellt wurden, haben sich alle als nicht wahr herausgestellt.

Viele Politiker und Medien in Europa kritisieren nicht nur massiv die ÖVP/FPÖ-Koalition, sondern Österreich insgesamt. Ist es da für Sie als Sozialdemokrat und Österreicher nicht angebracht, etwas dagegen zu unternehmen?

Gusenbauer: Eine Verurteilung Österreichs insgesamt lehnt die Sozialdemokratie ab. Nahezu dreiviertel der Österreicherinnen und Österreicher haben die FPÖ nicht gewählt. Und daher werden wir es nicht zulassen, daß Jörg Haider und die FPÖ Österreich in Geiselhaft nehmen. Die österreichische Sozialdemokratie wird daher als das wohl derzeit einzige Tor Österreich zur Welt versuchen, diese schwierige Situation Österreichs zu erklären, den sozialdemokratischen Standpunkt dabei klar zu machen, und versuchen, größeren Schaden von Österreich weiter abzuwenden. Aber klar ist, daß die Verantwortung für dieses enorme Echo, das in seiner Schärfe vielleicht viele Österreicher überrascht hat und vielfach auch betrübt, daß die Verantwortung dafür Jörg Haider und die FPÖ mit ihren Aussagen tragen.

Ich höre da heraus, daß Sie Verständnis für diese ausländischen Äußerungen haben...

Gusenbauer: Ich habe Verständnis für die Besorgnis, die einzelne Kolleginnen und Kollegen in Europa über den künftigen Kurs der österreichischen Bundesregierung haben, weil bei dem hohen Integrationsniveau in Europa eine Regierung, deren pro-europäische Einstellung zweifelhaft ist, nicht nur Fortschritt in Österreich, sondern auch der Fortschritt in Europa blockiert werden kann. Wir als Sozialdemokraten werden unter unseren Kollegen eine Informationsoffensive starten und versuchen klarzustellen, daß die österreichische Bundesregierung, die jetzt gebildet wird, eine ist, die gegen den Willen der Mehrheit der österreichischen Bevölkerung gebildet wird, gegen den erklärten Willen des Bundespräsidenten gebildet wird, und daß das wirkliche Österreich jenseits von Haider steht.

Seit 30 Jahren gab es in Österreich sozialistische Bundeskanzler. Bruno Kreiskys erstes Kabinett wurde von der FPÖ toleriert, Sinowatz führte eine SPÖ/FPÖ-Koaltion, auch Klima dachte wieder an eine Minderheitsregierung. Sind die Vorwürfe gegen die FPÖ daher glaubhaft?

Gusenbauer: Die Sozialdemokratie hat es immer abgelehnt, mit der FPÖ des Herrn Jörg Haider irgendeine Art von Koalition zu schließen. Und man muß wissen, daß die FPÖ vor der Machtübernahme durch Haider im Jahr 1986 einen anderen Charakter gehabt hat. Zum zweiten ist festzustellen, nicht Viktor Klima ist hergegangen und hat um die Tolerierung einer Minderheitsregierung ersucht, sondern der Herr Bundespräsident Klestil hat Viktor Klima beauftragt, mit allen im Parlament vertretenen Parteien zu sondieren, unter welchen Bedingungen sie möglicherweise bereit wären, eine Minderheitsregierung für einen gewissen Zeitraum überleben zu lassen. Dabei ist es aber nie zu tatsächlichen Verhandlungen gekommen, weil sich die ÖVP und die FPÖ entschlossen haben, gemeinsam eine Regierung zu bilden und sich daher der Versuch des Bundespräsidenten, aus dieser Situation herauszukommen, in der Realität als nicht praktikabel erwiesen hat. Der Bundeskanzler hat hier im strikten Auftrag des Bundespräsidenten gehandelt und hat aus sich heraus nie ein Koalitions- oder Kooperationsangebot an die Freiheitlichen gestellt.

In Umfragen verliert derzeit neben der ÖVP auch Ihre Partei. Die FPÖ liegt über 30 Prozent, die Grünen bei 15 Prozent. Halten Sie Neuwahlen trotzdem für angebracht?

Gusenbauer: Ich bin der Meinung, daß die österreichischen Wählerinnen und Wähler am 3. Oktober von der ÖVP hinters Licht geführt worden sind. Denn die ÖVP hat den Eindruck erweckt, daß sie bei entsprechender Stärke die Koalition mit den Sozialdemokraten fortsetzen wird. Und wenn sie Dritter wird, das nicht tun wird. Das hat zu einer umfassenden Mobilisierung für die ÖVP geführt und letztendlich zu dem Prozentanteil von Stimmen, den sie erreicht haben. Danach haben sie sich zunächst auf Oppositionskurs begeben und anschließend Scheinverhandlungen mit den Sozialdemokratie geführt. Dann hat die ÖVP zügige Verhandlungen mit der FPÖ aufgenommen, um tatsächlich mit der FPÖ eine Regierung bilden zu können. Es ist daher seit den Wahlen im Oktober das erste Mal, daß die Karten auf dem Tisch liegen. Jetzt erst wissen die Österreicher, welche Art von Regierung ihnen ins Haus steht, was für internationale und nationale Folgen eine solche Regierung hat. Angesichts dieser Alternative. schwarz-blaue Koalition – die in der Wahlauseinandersetzung nie in dieser Deutlichkeit genannt wurde – wäre es nur fair, wenn nun der Souverän, nämlich das Volk, darüber entscheidet, ob es diese Regierung will oder nicht. Und wir als eine demokratische Partei haben überhaupt keine Angst, vor die Wähler hinzutreten und sie entscheiden zu lassen, ob sie diese Regierung wollen oder eine andere Regierung wollen. Auch wenn Umfragen etwaige Gewinne anderer Parteien oder Verluste der Sozialdemokratie signalisieren, muß ich ganz offen sagen: Wenn Neuwahlen ein Beitrag zur Lösung dieser Krise sind, denken wir nicht an das Parteiinteresse, sondern denken wir an das Staatsinteresse. Und was die Wertigkeit der Umfragen betrifft: Wenn die Umfragen vor dem 3. Oktober gestimmt hätten, wäre Österreich heute nicht in dieser Situation. Die damaligen Umfragen hatten anderes signalisiert, als was letztendlich am Wahltag herausgekommen ist.

Die ÖVP ist Kanzlerpartei, das Liberale Forum marginalisiert, die Grünen werden stärker, aber zusammen sind Sie laut Umfragen nicht stark genug gegen schwarz-blau. Wie wollen Sie wieder in die Regierung kommen?

Gusenbauer: Das Beste für das Land ist, wenn wir von der Pein dieser Regierung möglichst bald befreit werden. Die Bevölkerung wird die massiven Auswirkungen dieser neuen Regierung sehr bald spüren, und auf Basis der zu erwartenden mäßigen Performance dieser Regierung ist auch zu erwarten, daß sich wahlpolitische Einstellungen ändern. Ich gehe davon aus, daß es mittelfristig in jedem Fall möglich ist, eine mehrheitsfähige Alternative zu dieser schwarz-blauen Koalition in Österreich zu etablieren.

Im östereichischen Budget klafft ein Milliarden-Loch, für das die vergangene Regierung verantwortlich ist. Damit begründet die schwarz-blaue Koalition die harten Sanierungsschritte. Wie stehen Sie zu diesen Vorwürfen?

Gusenbauer: Daß das Niveau der Staatsverschuldung in Österreich eines ist, daß konsolidiert werden muß, steht außer Frage und ist auch von keiner Partei in Österreich bezweifelt worden. Ich weise nur darauf hin, daß in der vergangenen Legislaturperiode, egal ob es bei der Steuerreform oder anderen Fragen der Fall war, alle anderen Parteien meist Vorschläge und Forderungen erhoben haben, die die budgetäre Problematik noch viel mehr verschärft hätten, als sie jetzt der Fall ist. Zum dritten ist zu sagen: Die FPÖ Jörg Haiders ist mit dem Wahlversprechen angetreten, das Budget sanieren zu können ohne soziale Grausamkeiten, ohne Steuererhöhungen und so weiter. Was jetzt vorliegt, ist ein sozial nicht ausgewogenes, massives Belastungspaket vor allem für die sozial Schwächeren. Und in der Tat sind die Vorschläge, die jetzt im Regierungsprogramm drinnen sind, nicht die einzige Möglichkeit, die Budgetkrise zu lösen. Zudem sind diese sozialen Einschnitte im Regierungsprogramm nicht nur wegen der Konsolidierung erforderlich, sondern wegen einer Fülle von Geschenken: Geschenke an die Bauern, massive Mehrausgaben im Bereich des Bundesheeres. Daher werden mit diesen Kürzungen nicht nur Löcher gestopft, sondern auch Mehrausgaben gedeckt. Daher ist der soziale Kürzungskurs in diesem Regierungsprogramm bedeutend schärfer ausgefallen, als er hätte ausfallen müssen.

Schüssel und Haider haben sich pro Nato geäußert, dafür ist eine Zweidrittel-Mehrheit im Parlament nötig. Wird es zumindest dafür SPÖ-Stimmen geben?

Gusenbauer: Wir als Sozialdemokratie halten einen Nato-Beitritt nicht für den richtigen Weg. Wir sind der Auffassung, daß eine so fundamentale Frage nur über eine Volksabstimmung entschieden werden kann. Und zum dritten ist es doch absolut lächerlich, in einer Situation, wo die gesamte internationale Staatengemeinschaft ihr Beziehungsniveau zu Österreich herunterschraubt, zu glauben, daß irgendein Partner gefunden werden kann, der jetzt über eine österreichische Nato-Mitgliedschaft verhandelt. Es ist Ausdruck der Naivität dieser neuen Bundesregierung, diese Forderung zu erheben.

 

Dr. Alfred Gusenbauer wurde 1960 in St. Pölten geboren. Nach der Schulzeit studierte er von 1978 bis 1987 Politik, Philosophie und Rechtswissenschaft an der Universität Wien. Zwischen 1984 und 1990 war er Bundesvorsitzender der Sozialistischen Jugend und von 1985 bis 1989 Vizepräsident der Sozialistischen Jugendinternationale. Im gleichen Jahr wurde er auch Vizepräsident der Sozialistischen Internationale.1990 wurde er Bezirkschef der SPÖ Melk, 1991 Delegierter im Europarat, 1995 bis 1998 dort Chef des Sozialausschusses. Von 1991 bis 1993 war er Mitglied des Bundesrates, seitdem ist er SPÖ-Abgeordneter im Nationalrat. 1999 wurde er Landesgeschäftsführer der SPÖ in Niederösterreich, im Januar 2000 Bundesgeschäftsführer der SPÖ.

 

 

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