© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/00 04. Februar 2000

 
Zwangsarbeiter: Historiker Finkelstein kritisiert die Forderungen der Jewish Claims Conference
Millionen an Opfern vorbeigeschleust
Ivan Denes

Es verletzt mich, daß Organisationen wie die JCC im Namen von Menschen wie meinen Eltern handeln, deren Leiden ja auf Grund der Manöver des JCC auch nach dem Krieg nicht gelindert wurden. Und historisch gesehen verstreuen die Verantwortlichen für die Sammelklagen jetzt den Dünger für einen neuen Antisemitismus…"

In einem umfangreichen Gespräch mit der Berliner Zeitung hat der New Yorker Historiker, Professor Norman Finkelstein, bittere Kritik an der sogenannten Claims Conference (der volle Name der Organisation, die von 23 jüdischen Organisationen getragen wird, allen voran von dem World Jewish Congress, lautet: Conference of Jewish Material Claims against Germany) formuliert. Finkelstein behauptet, die JCC habe über lange Jahre hinweg deutsche Zahlungen, die zur Linderung der Not der überlebenden Holocaust-Opfern geleistet wurden, zweckentfremdet. Mal wurden die Gelder, die für individuelle Wiedergutmachung gezahlt wurden, für die Vorbereitung und Finanzierung der Auswanderung von Juden aus arabischen Ländern eingesetzt, mal, um die rumänischen Juden freizukaufen.

Finkelstein bezweifelt auch die Zahl der noch lebenden "Sklavenarbeiter", die in die gegenwärtig laufenden Verhandlungen eingebracht wurden. Während man laufend über 130.000 noch lebende jüdische Zwangsarbeiter aus den Konzentrationslagern spricht – die man gängig, um Leidensgrade zu differenzieren, als "Sklavenarbeiter" einstuft –, behauptet Finkelstein, könnten es de facto nicht mehr als 20.000 sein.

Auch vor dem Finkelstein-Interview war Insidern von Anfang an bekannt, daß bei Kriegsende lediglich 8 Prozent der Zwangsarbeiter Juden waren. Henry Friedländer, einer der angesehensten Holocaust-Forscher und selbst Auschwitz-Überlebender, schätzt, daß 1945 nur noch 100.000 KZ-Häftlinge, die Sklavenarbeit zu leisten hatten, noch am Leben waren. Und da Greise und sehr junge Menschen vorrangig umgebracht wurden, lag das Durchschnittsalter der arbeitstüchtigen Sklaven bei 25 Jahren. Rechnet man die seit Kriegsende vergangenen 55 Jahre hinzu, müßten den Forderungen des JCC zufolge aus den damals 10.000 Überlebenden heutige 130.000 80jährige gewachsen sein. Der Engel des Herrn muß wieder herabgestiegen sein, um ein derartiges Wunder zu vollbringen.

Kohl-Regierung beging gravierenden Fehler

Es ist nicht das erste Mal, daß die JCC ins moralische Zwielicht gerät. In der überaus komplizierten Frage des ehemals jüdischen Grundstücksvermögens in Mitteldeutschland hat der JCC zunächst über 70.000 einzelne Objekte beansprucht. Zugestanden wurden weniger als 2.000. Die Kohl-Regierung beging dann einen gravierenden Fehler: sie gab, wie immer, dem Druck der amerikanischen Ostküste nach, und im Gegensatz zur Vergangenheit übertrug sie der JCC nicht die treuhänderische Verwaltung der unbeanspruchten Grundstücke, sondern gleich das Eigentumsrecht. Die JCC schrieb einen Anmeldetermin für die Ansprüche fest, und kam ein Jude verspätet mit seinen Ansprüchen an, verweigerte ihm die JCC zunächst alles. Dann verweigerte sie den Erben der Opfer das Eigentumsrecht, was dann, nach heftigen Protesten aus Israel und Amerika rückgängig gemacht wurde. Selbst Ignatz Bubis, der wahrlich in seinem Geschäftsgebaren nicht mit Samthandschuhen an seine Geschäftspartner heranging, sagte unter Dreien, man könne "dem Trauerspiel der JCC nur zähneknirschend zuschauen".

Finkelstein rechnet damit, daß etwa die Hälfte der neuen bundesdeutschen Milliarden, infolge der inflationierten Zahlen der JCC an jüdische Organisationen gehen werden, wordurch hunderttausende osteuropäische Zwangsarbeiter wieder einmal stark benachteiligt werden.

Es handelt sich dabei um eine Verhandlungsstrategie, meint Finkelstein, die von den jüdischen Organisationen im Falle der Schweizer Banken ausprobiert wurde. Man hat zunächst von sieben bis 20 Milliarden Dollar gesprochen, die auf den sogenannten "schlafenden Konten" und in den Tresoren Schweizer Banken vermeintlich liegen. Edgar Bronfiman, der Präsident des WJC, hat in der Wochenzeitung Vorwärts lautstark verkündet, unter drei Milliarden Dollar werde man sich nicht zufrieden geben. Schließlich brachen die Schweizer Banken ein, sie bezahlten 1,25 Milliarden Dollar plus Zinsen, und um den Knochen hat sich ein laut knurrender, raufendes Knäuel von Anwälten, Organisationen und unglückseligen Opfern gebildet.

Die Übung, die bei den Schweizer Banken gewonnen hat, wurde dann umgehend auf die Zwangsarbeiter-Problematik angewandt. Im August 1998 wurde mit den Schweizer Banken die Vereinbarung unterschrieben, im September gingen die ersten Sammelklagen gegen deutsche Industrieunternehmen und Banken bei amerikanischen Gerichten ein. Und die nächsten Ziele wurden schon ins Auge gefaßt. Österreich wird mit 14,5 Milliarden Euro zur Kasse gebeten, Polen wird mit Restitutionsforderungen in Höhe von 60 Milliarden Dollar konfrontiert.

Finkelstein beschränkt sich im Interview nicht nur auf die Darlegung der Machenschaften der JCC oder der Strategie des World Jewish Congress oder dessen 1992 ins Leben gerufene World Jewish Restitution Organisation – er deutet auch die Vorgänge auf dem Hintergrund einer moralisch-politischen Kulisse. Da er voraussieht, daß die meisten Opfer schon gestorben sein werden, wenn es zur Auszahlung der Milliarden kommen werde, sieht er voraus, daß die Gelder wieder einmal von den Organisationen vereinnahmt werden. Und er folgert: "Das Wissen der Welt über den Horror, den die Juden erleben mußten, reicht aus, um zu lernen. Jede Lüge und jede Bereicherung, egal von welcher Seite und egal zu welchem Zweck, führt zu neuem Haß."

"Lüge und Bereicherung führt zu neuem Haß"

In seinem demnächt erscheinden Buch "The Holocaust Industry. An Essay on the Exploitation of Jewish Suffering" gräbt Finkelstein – der unter zahlreichen anderen Arbeiten (zusammen mit Ruth Bettina Burn) das Buch "Eine Nation auf dem Prüfstand" geschrieben hat, in dem er mit dem notorischen Daniel Goldhagen scharf ins Gericht gegangen ist – noch viel tiefer. Seiner Ansicht nach ist unsere gegenwärtige Interpretation des Holocaust von amerikanischen Juden absichtlich konzipiert worden mit dem Zweck ethnischer Vorherrschaft, politischen und finanziellen Vorteils.

In einer Sendung der BBC, aus der auch der unvermeidbare Michel Friedmann wieder auftauchte, wurde der folgende, vielsagende Absatz aus Finkelsteins Buch zitiert: "Seit den späten sechziger Jahren hat sich eine Art Holocaust-Industrie entwickelt, die aus dem Nazi-Holocaust einen Kult gemacht hat. Und der Zweck dieser Industrie ist, meiner Meinung nach, ethnische Bereicherung (aggrandisment) – insbesondere, um Kritik vom Staat Israel abzuwenden und Kritik der Juden allgemein."

Norman Finkelstein steht nicht allein im wissenschaftlichen Historikerraum. Zu den Wissenschaftlern, die das gängige Holocaustritual in das richtige Licht rücken, gehört Tim Cole, von der Universität Bristol und vor allem Professor Peter Novick von der Universität Chicago, dessen 1999 erschienenes Buch "The Holocaust in American Life" von nicht wenigen amerikanischen Akademikern als das bedeutendste Buch seit Hannah Arendts "Eichmann in Jerusalem" eingestuft wird. Seine zentrale These: der jüngste Holocaust-Kult ist aus einer Identitätskrise des amerikanischen Judentums entstanden. Kein Wunder, daß der Wissenschaftler jetzt Ziel übelster Anwürfe geworden ist. Norman Finkelstein wird es nicht besser gehen.Im Namen Gottes?"

 

Ivan Denes, ist Schriftsteller und Inhaber der West-Ost-Nachrichtenagentur (WONA)


 
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