© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/00 04. Februar 2000

 
Friedhelm Schwarz: Die gekaufte Republik
Im Griff der Lobbyisten
Michael Wiesberg

Als der Publizist Friedhelm Schwarz an seinem Buch "Das gekaufte Parlament" schrieb, konnte er nicht ahnen, was für eine Aktualität seine Betrachtungen haben würden. Die parlamentarische Demokratie in Deutschland droht durch das Erdbeben, daß der Spendensumpf des "Systems Kohl" ausgelöst hat, ein nicht wieder gut zu machender Schaden zu erleiden. Inzwischen kann selbst nicht mehr ausgeschlossen werden, daß auch politische Entscheidungen durch Zuwendungen beeinflußt worden sein könnten. Diese Affäre wirft im übrigen ein Licht auf die weit fortgeschrittene Verquickung von Politik und Wirtschaft, die unter dem Schlagwort "Lobbyismus" das Thema dieses Buches ist.

Nach Schwarz hat sich der Lobbyismus aller möglichen Interessensgruppen als Netz aus Beziehungen, Abhängigkeiten und Korruption über das Parlament gelegt. Auf einen Abgeordneten kommen nach Schwarz etwa drei Lobbyisten aus der Wirtschaft, die auf politische Entscheidungen Einfluß zu nehmen versuchen. Umgekehrt sitzen viele Bundestagsabgeordnete in den Vorständen der verschiedensten Unternehmen. Wer einmal die veröffentlichungspflichtigen Angaben der Bundestagsabgeordneten durchgeschaut hat – die Schwarz zum Teil minutiös dokumentiert – kommt um die Erkenntnis nicht herum, daß viele Volksvertreter neben ihrer angeblich so aufreibenden parlamentarischen Arbeit augenscheinlich genug Zeit für die vielfältigsten Aufsichtsratstätigkeiten finden. Dabei spielt der Sachverstand nicht unbedingt die Hauptrolle. So stellte zum Beispiel der von Schwarz zitierte Verfassungsrechtler Ingo von Münch fest: "Wer als Politiker ohne besonderen wirtschaftlichen Sachverstand in einen Aufsichtsrat berufen wird, der muß sich darüber im klaren sein, daß es dem Unternehmen in Wirklichkeit um etwas anderes geht: um politische Einflußnahme außerhalb der legitimen Formen der politischen Meinungsbildung."

Die zunehmende Verquickung von Wirtschaft und Politik wird durch die Spezialisierung der Abgeordneten weiter befördert. Schwarz stellt zurecht fest: "Die meisten Abgeordneten fühlen sich als Fachleute einer bestimmten Sparte der Gesetzgebung und sind es oft auch (…) Der Abgeordnete lernt, daß er nur dann eine Chance hat, zu Wort zu kommen und eine einflußreiche Stellung zu erlangen, wenn er sich auf ein Fachgebiet spezialisiert." Diese Entwicklung schließt ein, daß immer weniger Abgeordnete Einfluß auf die sachliche Orientierung der Politik der Fraktion nehmen können. Entscheidend sind nach Schwarz nicht "persönliche Eigenschaften", sondern die "Gruppenzugehörigkeit und damit die Interessenzugehörigkeit".

Der Machtanstieg der Interessensverbände hat zwangsläufig auch erhebliche Auswirkungen auf die Politik der Parteien. Parteiführungen richteten sich nach Auffassung des von Schwarz zitierten Soziologen Urs Jaeggi zunehmend an den technologischen Erfordernissen der heutigen Gesellschaft aus und versuchten, die eigene Macht zu optimieren. Diese Entwicklung verändert die innere Verfaßtheit der Parteien. Nach Jaeggi entwickelten sich die Parteien weg von einer "stark weltanschaulich geprägten demokratischen Mitgliedervereinigung" hin zu einer "weitgehend hierarchisch geführten Quasi-Staatsinstitution", die "Züge einer Dienstleistungsorganisation" trage, die "verschiedene Konsumentenwünsche zu befriedigen sucht".

Für die Machtoptimierung spielt die Ausbildung von Netzwerken eine entscheidende Rolle. Schwarz unterscheidet hier "offizielle Netzwerke" zwischen Politikern, Verbandsvertretern und Unternehmern und "inoffizielle Netzwerke" zwischen Politikern, Vereinen und Verbänden. Als Großmeister der "inoffiziellen Netzwerke" kann der im Mittelpunkt der derzeitigen Spendenaffäre stehende Altbundeskanzler bezeichnet werden. Eine Stern-Reportage, aus der Schwarz zitiert, sprach in diesem Zusammenhang zutreffend von "einem engen, schwer durchschaubaren Beziehungsgeflecht, einem Netzwerk von vertrauten Informanten und Ratgebern". Dieses "vielfach verflochtene Informations- und Entscheidungszentrum hat Kohl zu einer unvergleichlich langen Kanzlerschaft verholfen", stellt der Stern fest.

Interessant ist in diesem Zusammenhang, wer sich unter Kohl zum "inneren Kreis der Macht" zählen durfte. Wichtige politische Themen sollen in der Ära Kohl im "Kanzler-Bungalow" besprochen worden sein. Zu den Teilnehmern dieser Runde soll der jetzige Parteivorsitzende Wolfgang Schäuble, der ehemalige Staatsminister Anton Pfeifer, der Chef des Kanzleramtes Friedrich Bohl und der Medienberater Andreas Fritzenkötter gehört haben. Namen, die auch in der laufenden Affäre eine Rolle spielen. Gelegentlich sollen auch CSU-Chef Waigel und der FDP-Fraktionsvorsitzende Solms zugegen gewesen sein. In dieser Runde sollen laut Stern alle wichtigen Entscheidungen gefällt worden sein, die später in den entsprechenden Gremien abgenickt wurden.

Schwarz zufolge spielt die "Lagerzugehörigkeit" bemerkenswerterweise eine immer geringere Rolle. Die Positionen der agierenden Kräfte werden statt dessen durch eine Nutzenkalkül, das sich an Mobilität und Karriere ausrichtet, bestimmt. Medien übernehmen in diesem Zusammenhang die Rolle der Wissensverteilers. Wer sich da fragen sollte, welche Funktion das Parlament hat, bekommt von Schwarz folgende Antwort: "Die Debatten im Bundestag dienen der öffentlichkeitswirksamen Selbstdarstellung, nachdem die echten Entscheidungen hinter verschlossenen Türen in der Fraktion getroffen worden sind."

Schwarz’ verdienstvolles Buch läßt die laufende Spendenaffäre in einem neuen Licht erscheinen. Nicht die Tatsache, daß es derartige Machenschaften gegeben hat, als vielmehr die Erkenntnis, daß sich die Bundesbürger in Zukunft an Affären wie der aktuellen werden gewöhnen müssen, muß aus dem Buch als Fazit gezogen werden. Zu stark ist die Mutation der parlamentarischen Demokratie hin zu einem undurchschaubaren Netzwerk von Cliquen, Klüngeln und Karrieren bereits vorangeschritten, als daß die CDU-Spendenaffäre noch für ein Betriebsunfall gehalten werden könnte. Sie ist Ausdruck einer systembedingten Degeneration, die um das Ansehen der parlamentarischen Demokratie fürchten läßt.

 

Friedhelm Schwarz: Die gekaufte Republik. Die Lobby und ihr Bundestag, Piper, München 1999, 268 S., 39,80 Mark


 
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