© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/00 04. Februar 2000

 
Kino: "The green Mile" von Frank Darabont
Mit dampfendem Hirn
Ellen Kositza

Daß zum Tode verurteilte Menschen mitunter zum werbeträchtigen Ruch des Angesagten, Modernen taugen, sagt einiges aus über westliche Moralität im Nietzsche-Jahr. Benetton-Mode bedeutet braver Spießer-Schick, und da macht sich das Gesicht des schwarzen Mannes, abgestempelt als "zum Tode verurteilt", das großflächig auf den allgegenwärtigen Benetton-Plakaten prangt, gewiß nicht schlecht.

Dergleichen auch in Hollywood, alle Jahre wieder: Der US-amerikanische Quotenfilm zum Thema Todesstrafe, diesmal nach einem Buch des Horrormeisters Stephen King: Der alte Paul Edgecomb erzählt rückblickend von seiner Zeit als Leiter der Wachabteilung im Todestrakt eines Gefängnisses. Man schreibt das Jahr 1935, zum Tode verurteilte Männer warten hier auf ihre Hinrichtung und werden früher oder später über die "grüne Meile", den blaßgrünen Flur auf den elektrischen Stuhl geführt werden.

Edgecombs Anliegen ist es, eine Stimmung der Menschlichkeit in dieser Abteilung zu gewährleisten, und da Tom Hanks den jungen Edgecomb gibt, gelingt das natürlich mit Bravour – wäre da nicht der sadistische Kollege Percy Witmore, dessen Ausfälle gegenüber den Verurteilten schwer zu bremsen sind, da Wetmores Rücken durch seinen politisch einflußreichen Onkel gestärkt wird. Edgecomb leidet unter dem fiesen Emporkömmling, noch stärker leidet er außerdem und ganz persönlich an entsetzlichen Prostatabeschwerden. Da gesellt sich ein vierter Todeskandidat zu den drei bereits einsitzenden netten Männern, es ist John Coffey (Michael Clarke Duncan), ein schwarzer Riese mit Armen wie Baumstämmen, ein im Umgang äußerst sanfter, nur mäßig intelligenter Mann.

Man hatte ihn weinend im Wald gefunden, in seinen Armen die blutüberströmten Leichen zweier kleiner Bauerntöchter. John Coffey verändert Edgecombs Leben. Zunächst durch einen wuchtigen Griff durch das Zellengitter hin zu den Genitalien des Wärters – Coffey, der mutmaßliche Doppelmörder, heilt durch den Zauber seiner Hände Edgecombs Prostataleiden. So weit, so gut.

Es folgen Schauergeschichten aus dem Knastalltag in einer Einfühlsamkeit, die in ihrer Plakativität dem Niveau einer Vormittags-Talkshow gleichen. Ein Mithäftling Johns wird durch den finalen Stromschlag liquidiert, in den letzten Stunden seines Lebens hatte er im stillen Gespräch mit seinem Wärter noch einmal die sensiblen, die nachdenklichen Seiten seines Wesens dargelegt. Das geht dem Zuschauer durch und durch, natürlich.

Die freigewordene Zelle wird nun durch den diabolischen Bill Wharton besetzt, eine wahre Ausgeburt des Bösen, aber letzlich doch nur das unzivilisierte Pendant zu seinem Seelenbruder Wetmore auf der anderen Seite der Gitterstäbe. Im folgenden ereignet sich eine Menge, verschiedene Highlights der Erzählung blitzen nebeneinander auf und erzeugen eine gewisse Spannung, ohne sich je zu einem runden, geschweige denn gehaltvollen runden Ganzen sammeln zu können: Wetmore, das Böse außerhalb von Schloß und Riegel verkörpernd, tötet die kleine Maus, die der zu bemitleidende Insasse Delacroix sich gezähmt und als Schoßhündchen gehalten hatte. John haucht ihr mittels seiner spirituellen Fähigkeiten wieder Leben ein. Später wird Delacroix hingerichtet. Wegen einer Manipulation des Tötungsmechanismus durch Jungwärter Wetmore stirbt Mausemann Delacroix einen langen, qualvollen Tod mit dampfendem Hirn, brennender Schädeldecke und all dem Brimborium, das Zuschauern in Filmen dieser Art nicht vorenthalten werden darf.

Noch mehr passiert: Der Satan Bill Wharton erweist sich als in jeder Hinsicht unberechenbarer Häftling. Und die Frau des Gefängnisdirektors erkrankt schwer an Krebs. Wird sie Heilung finden? Wenn ja, durch wen? Wird der gute John tatsächlich hingerichtet werden müssen? Wer hat die Bauernmädchen wirklich getötet? Das sind die Fragen, die den Film vorantreiben und die Antworten drauf vorhersehbar erscheinen lassen.

Die Romanvorlage zu "The green Mile" hatte Stephen King 1996 in einem sechsteiligen Fortsetzungsroman vorgelegt, jeder Band wurde ein Bestseller. Der Film nun erscheint nicht im Gewand eines klassischen Stephen King-Schockers, stattdessen: mittelmäßiger amerikanischer Mainstream.


 
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