© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/00 04. Februar 2000

 
Politische Korruption: Der Schriftsteller Frederick Forsyth über Kohl, die Spendenaffäre, den Größenwahn in der Politik und den gefährlichen Kleinmut der Deutschen
"Natürlich handelt es sich hier um eine Staatsaffäre"
Dieter Stein/Moritz Schwarz

Herr Forsyth, gerade haben sie sich vom Thriller-Genre verabschiedet, vor wenigen Wochen ist Ihr neues Buch "Das Phantom von Manhatten" eine dramatische Liebesgeschichte erschienen, da werden in Deutschland nie erwartete Machenschaften bekannt: Schwarze Konten, Waffenhandel, Geheimdienstaktivitäten und vielleicht sogar der Freitod eines Verstrickten. Wäre das nicht wieder Stoff für einen politischen Thriller aus Ihrer Feder?

Forsyth: Ja, da haben Sie recht. Man hat mir auch schon vorgeschlagen, daß ich einen Thriller über die EU oder die Machenschaften der Euro-Politiker, wie Andreotti, Mitterand oder jetzt Kohl schreiben soll: Die ganze Korruption dort einmal aufzuzeigen. Da gäbe es ja viel zu schreiben. Oder über die Hintergründe des Romano Prodi, auch so ein Schwindler. Nur, wie will man aus so einem trägen Stoff einen Knüller machen? Außerdem käme sogleich der Vorwurf der Xenophobie. Es gibt da eine einschlägige Fraktion bei uns in England, die ist mit diesem Vorwurf stets schnell zur Hand. Dabei hasse ich nicht Ausländer, sondern Korruption. Natürlich habe ich nicht das Geringste gegen die Deutschen, Franzosen oder gar gegen Europa. Ich bin einzig und alleine sehr mißtrauisch gegenüber Brüssel und der Kommission.

Unlängst haben Sie Ihren alten Feldwebel bei der Royal Air Force zitiert: Führungsqualitäten bestünden zu zehn Prozent aus Anweisungen und zu neunzig Prozent aus Vorbild. Ist das Mißtrauen in die Politik also auf mangelhaftes Vorbild zurückzuführen?

Forsyth: Sicher, denn wahres Führertum bedeutet, das Potential anderer Menschen zu aktivieren. Sie zu inspirieren. Es ist schwer, es zu beschreiben, man muß das sehen. Dieser Vorgesetzte zum Beispiel, dessen Soldaten immer so munter waren; sie glaubten an ihn und waren bereit, ihm, wenn nötig, gar in die Hölle zu folgen. Heute sehe ich leider keinen Politiker in Europa, weder Chirac, noch Blair, noch Schäuble, der diese Fähigkeit hat. Kein neuer Churchill in Sicht. Niemand, dem ich bereit wäre zu folgen.

Sie fordern als Konsequenz aus diesen Affären mehr Verantwortlichkeit. Was heißt das konkret für Deutschland?

Forsyth: Accountabillity. Richtig. Das ist die Verantwortung vor dem Volk. Man ist nicht nur für vier Jahre gewählt und kann in dieser Zeit tun und lassen, was man will. Stattdessen bedeutet Wahl, in die Verantwortung gestellt zu sein, niemals zu vergessen, wer sie warum in ihr Amt eingesetzt hat. Dies doch zu vergessen nenne ich Arroganz. Die Arroganz Helmut Kohls begann, als er offenbar im Laufe der Jahre die Überzeugung gewann, er habe ein göttliches Recht auf die Macht. Aus dieser Arroganz heraus glaubte er, es sei ihm natürlich wohl auch gestattet, die Gesetze zu übertreten. So entsteht aus Arroganz Korruption. Genauso funktioniert es in Brüssel. Die Kommission ist nicht gewählt, stattdessen sind sie Eurokraten. Sie sind also nicht verantwortlich. Ihrer Arroganz folgt Korruption, wie die Nacht dem Tage. Brüssel ist durch und durch korrumpiert. Da wird ganz offen in einer Art gewirtschaftet, die bei einem Privatunternehmen sofort zu einer Anklage wegen Betrugs führen würde. Auf diese Weise verschwinden in Brüssel einfach jedes Jahr etwa drei bis sechs Milliarden Pfund. Bedenken Sie, jedes Jahr! Ein Skandal!

Parlamentarier, die sich mehr ihrer Partei gegenüber verantwortlich fühlen als dem Volk, halten Sie also für das Grundübel. Sie kritisieren am politischen System Deutschlands das Verhältniswahlrecht, das es erlaubt, die Volksvertretung über Listen statt über Direktmandate zu füllen?

Forsyth: So ist es! Ihr System ermöglicht, daß ein Kandidat nicht vom Volk, sondern von der Partei legitimiert wird. Ergebnis: wird er gewählt, ist seine einzige Sorge, es sich nicht mit den Parteibossen zu verderben, statt seine Wähler zu vertreten. Listenplätze werden wichtiger als ehrlich gewonnene Wählerstimmen. Ein "Nein, Herr Kanzler, ich stimme nicht mit!" ist da nicht mehr möglich.

In Großbritannien ist Margert Thatcher ja tatsächlich von konservativen Hinterbänklern gestürzt worden?

Forsyth: Genau. Margaret Thatcher wurde nicht von der Opposition gestürzt, sondern von der eigenen Partei! Sie hat die Hinterbänkler ihrer Partei so geärgert, daß diese ihr das Vertrauen entzogen haben. Sie glaubten, die Innenpolitik von Frau Thatcher würde sie bei der nächsten Wahl ihre Sitze kosten. Also haben sie sie abgesetzt. Das wäre unmöglich in Deutschland.

Sie beurteilen also das Wahlsystem Großbritanniens als demokratischer, weil der Wille des Wählers direkter zum Ausdruck kommt?

Forsyth: Das glaube ich. Ich sehe die gegenwärtige Misere in Deutschland und frage nach den Gründen. Da sehe ich welche Spielräume weit ab vom Wähler das deutsche System dem Parlamentarier ermöglicht. Und es ist beim britischen System doch nicht nur die Verantwortlichkeit gegenüber dem Wähler, sondern, wie vorhin am Beispiel Margeret Thatchers gezeigt, auch die Kontrolle der Regierung. Die Abgeordneten im House of Common können eine Rebellion gegen ihre Regierung anzetteln. Kaum möglich in Deutschland. Ein Minister in Großbritannien, der seinen Abgeordneten wiederholt nicht zuhört, ist die längste Zeit Minister gewesen. Helmut Kohl aber war nach fünfundzwanzig Jahren als Parteiführer unstürzbar.

Also brauchen wir in Deutschland eine politische Reform, die die Macht von den Parteien zurück zum Volk verlegt?

Forsyth: Nur so können Sie diese Arroganz verhindern. Was ist eigentlich diese Arroganz? Das ist nicht die Gier nach Geld oder persönliche Bereicherung. Helmut Kohl hat nichts in die eigene Tasche gesteckt, das machen sie in Italien oder jetzt auch in Belgien. Kohls Vergehen ist, zu glauben, er stehe über den Gesetzen.

Allerdings wird ja auch in Deutschland immerhin etwas über die Hälfte des Bundestages mit Direktkandidaten besetzt. Ist der Grund für dieses Verhalten deutscher Parlamentarier nicht auch im psychologischen Bereich zu finden? Ist nicht der Drang nach politischer Stabilität, zur Harmoniesucht um jeden Preis, in Deutschland wesentlich ausgeprägter als in Großbritannien?

Forsyth: Es ist zum Teil tatsächlich psychologisch motiviert. Die Deutschen fürchten doch ihre eigenen Erfahrungen. Nie wieder soll das und jenes passieren. Diese Konsensus-Politik sieht aus wie zivilisierte Politik. Keiner sagt: "Ich stimme nicht zu!", keiner sagt, "Nein!", keiner sagt, er wolle jetzt aber mal eine unbequeme Frage stellen. Fühlt und hört sich alles sehr zivilisiert an in Deutschland, tatsächlich aber ist das kein Mehr an Zivilisation, sondern ein Mangel an Kontroverse. Zum Beispiel: Wir werden alle beschließen, die Deutsche Mark gegen den Euro auszutauschen. Prima. Aber wer ist "wir"? Die Abgeordneten Müller, Meier, Schulze. Die Leute aber werden wir nicht befragen, ob sie das auch wünschen. Und wenn sich einer traut, zu sagen, "Momentchen, das halte ich für eine schlechte Idee!" – na, der Mann ist doch bei Ihnen ein Paria!

Wie Euro-Kritiker Manfred Brunner?

Forsyth: Genau wie Manfred Brunner! Eigentlich hat er mit seinem Bund freier Bürger nur eine Kontroverse vorgeschlagen, aber er wird als unbequem behandelt und ausgesondert. "Eine Kontroverse gibt es bei uns in Deutschland lieber nicht. Wir sind nicht so." Und dabei stammt jeder große Fortschritt aus der Verweigerung irgend eines einzelnen, der sagt, "Halt, stopp, ich gehe nicht mit." Einst waren sich alle einig, die Sonne dreht sich um die Erde, Neger sind zur Sklaverei freigegeben, und so weiter. Am Anfang widersprach immer nur ein Mann. Fortschritt ist eben eine Sache des Mutes.

Sie meinen also, tatsächlich seien sich die großen deutschen Parteien in allen wichtigen Punkten einig?

Forsyth: So habe ich es vor zwei Jahren schon gegenüber dem Spiegel geäußert. Die SPD war vor einigen Jahren noch sehr skeptisch bezüglich des EU-Abenteuers. Dann kam die Wahl von 1994, bei der Helmut Kohl über den Umweg, Elf Aquitaine kauft Leuna, ein 30-Millionen-Geldgeschenk zur Finanzierung seines Wahlkampfes erhalten hat.

Diese Erkenntnis halten Sie bereits für gesichert?

Forsyth: Ja, die Franzosen, die dabei waren, haben es bestätigt. Und dann hat man es gerechtfertigt mit dem Argument, es war nicht für Frankreich, sondern für Europa. Denn Mitterands Furcht war, es könnte die Euro-skeptische SPD gewinnen. Dieser Gedanke war für ihn unerträglich. Der föderale Fanatiker Kohl sollte gewinnen. Deshalb ist es gerechtfertigt, dieses und jenes illegal zu tun. So denken diese Herren. Doch Korruption fängt immer so an, man begeht ein Verbrechen, und rechtfertigt es nachträglich mit dem Argument, ich habe es für die Sache getan. Quatsch! Du hast es getan, verzeihen Sie, weil Du ein Scheißkerl bist! "Ich habe das für das föderale Europa getan." Quatsch, Du hast es getan, um Deinen Kumpel Kohl wieder in die Kanzlei zu setzen!

Mit anderen Worten: der Kampf um den Euro ist mit gezinkten Karten geführt worden?

Forsyth: Meiner Meinung nach, ja. Aber, das ist nur eines. In den zehn Jahren, seit Delors, dann Santer und jetzt Prodi die Präsidentschaft der Kommission innehatten, sind Schwindel-Methoden zur Alltäglichkeit in Brüssel geworden. Darin liegt die Wurzel unseres Skeptizismus. Wir sind sehr gut informiert, wie korrumpiert Brüssel eigentlich ist. Die Deutschen sind das vielleicht nicht, denn Ihre Zeitungen, Fernseh- und Radiosender erzählen es Ihnen nicht, was tatsächlich passiert. Wir Briten fragen uns nun, warum sollen wir eine jahrhundertealte Demokratie an Prodi übergeben? Prodi ist kein Demokrat, er war bereits in Italien völlig korrumpiert. Er ist ein Produkt des "Systems Andreotti". Und Andreotti war mit der Mafia liiert.

Wenn von außen in den deutschen Wahlkampf 1994 eingegriffen worden ist, um die Mehrheitsverhältnisse zugunsten des Euro zu verändern, dann bedeutet diese Spendenaffäre doch mehr als nur eine Krise der CDU, dann war das ein Anschlag auf die Demokratie – dann ist dies doch eine Staatskrise?

Forsyth: Natürlich ist das eine Staatsaffäre. Und es geht nicht nur um eine Summe, es geht um eine Kultur. Helmut Kohl war fünfundzwanzig Jahre Chef der CDU und sechzehn Jahre Chef Deutschlands. Margeret Thatcher wurde gestürzt, weil sie wie Kohl nach zuvielen Jahren an der Macht begann zu glauben, sie hätte ein selbstverständliches Recht auf die Macht. Das ist gefährlich, davor müssen wir uns schützen. Nach so und soviel Jahren an der Macht entsteht plötzlich diese Haltung: "Ich habe das Recht, die Wahl zu korrigieren. Das Volk, nette Leute, aber es weiß es nicht besser und sieht nicht, was ich sehe. Ihnen jetzt diese Alternative zu erlauben, wäre gefährlich für sie. Diese Dummerchen, sie werden noch alles verderben." Sie wollen die Dinge so arrangieren, daß das Volk keine Fehler mehr machen kann. Sie halten sich für große Männer. Und nur ihre Visionen haben Wert.

Gibt es nicht seit 1945 die stillschweigende Übereinkunft, auch bei der skeptischen SPD, daß Deutschland europäisch eingebunden werden muß, koste es was es wolle, und sei es die Demokratie?

Forsyth: Immerhin war Schröder sehr skeptisch, ob es gut sei, die Deutsche Mark abzuschaffen. Und wenn man seine nationale Währung nicht abschafft, ist es eigentlich unmöglich, wirklich in dem neuen Superstaat aufzugehen. Helmut Kohl war absolut überzeugt, daß es ein Verbrechen wäre, dies nicht zu tun. Die Idee, daß er vielleicht unrecht haben könnte, war für ihn nicht vorstellbar. Diese Arroganz kann alles, alles entschuldigen. Diese Arroganz kann KZs entschuldigen. – "Endlich...endlich ist es besser für das Volk, wenn diese Gegner verschwinden ... Ich tue das nicht als grausamer Mann, ich sage nur, daß dieser und jener, diese Journalisten, die mich kritisiert haben, die kritisieren das Volk. Wenn man die Kritiker ’entsorgt’, ist es besser für das Volk..." So reden diese machtversessenen Politiker. Jedes Unheil hat einen gut gemeinten Ursprung. Jede Straße fängt irgendwo an ...

Schon als Dreizehnjähriger haben Sie auf Drängen Ihres Vaters Deutschland besucht und haben später als Jouurnalist lange Jahre hier gearbeitet. Sie hatten also Zeit, die Psyche der Deutschen kennenzulernen. Woher kommt dieser deutsche Europa-Fanatismus? Wie ist diese deutsche Mischung aus politischer Servilität und moralischer Überheblichkeit zu erklären?

Forsyth: Die Ursache ist mit einem Wort Schuld. Die Deutschen sind sehr nervöse Menschen. Sie sind dauernd in Sorge, jemanden zu verletzen. Und sie sind verstört über die Vergangenheit. Und sie scheuen davor zurück, für Ihre Interssen, Ihre Sache und Ihre Meinung aufzustehen. Ich glaube Deutschland ist seit Adenauer von Frankreich am Nasenring geführt worden. De Gaulle kannte genau die deutsche Schwäche. Er hat Adenauer am Ufer des Rheins umarmt, den alten Mann zu Tränen gerührt und die franco-deutsche Allianz geschaffen. Ich glaube, seitdem haben alle deutschen Politiker eine wahnsinnige Furcht gehabt, Frankreich zu entsetzen. Frankreich und die französische Allianz ist für Deutschland die Straße zur Rehabilitation. Und zu Paris zu sagen, "Nein, Euer Traum ist nicht unser Traum", ist unvorstellbar.

Also ist der deutsche Weg nach Europa eine Flucht vor uns selbst?

Forsyth: Ja, sicher. Deutschland flüchtet vor seiner eigenen Vergangenheit. Und das seit nunmehr fünfundfünfzig Jahren. Jeder weiß, was passiert ist. Ich als Brite glaube aber, das ist zu lang. Die Deutschen von heute haben nichts mehr damit zu tun, aber sie werden von Leuten wie Herrn Kohl, und seiner Obsession für die Zeit des Zweiten Weltkrieges, belehrt, wir sind alle schuldig und also müssen wir mehr beweisen als alle anderen, daß wir international sind.

Schlägt dieses bereitwillige Schuldbekenntnis um in moralische Überheblichkeit? Maßen sich die Deutschen an, für Europa zu entscheiden, weil sie historisch die härtesten Prüfungen überstanden haben und wüßten, was politisch gut und moralisch richtig ist?

Forsyth: Kohl hat diesen Traum, auf der Grundlage seiner sechzehn Bundesländer ein Europa der einhundertelf Euroregionen zu schaffen. Und in diesem Traum würden seine Landsleute nie wieder Krieg über ganz Europa bringen. Das ist für ihn der einzige Weg. Das heißt, hier ist ein deutscher Kanzler, der kein Vertrauen in sein eigenes Volk hat, ein Politiker, der also weniger als der Engländer den Deutschen vertraut. Das ist bemerkenswert.

Wie ist Ihr abschließendes Urteil über den Staatsmann Helmut Kohl?

Forsyth: Mistaken. Er hat sich geirrt. Und am Ende hat sich sein strebender Geist zu Arroganz gewendet und Arroganz zu Verbrechen.

 

Frederick Forsyth 1938 in Ashford/Kent in Großbritannien geboren, seit 1952 schickte ihn sein Vater wiederholt nach Deutschland zur Aussöhnung mit dem einstigen Erzfeind. Nach der Schule wurde Forsyth Kampfflieger der Royal Air Force, Redakteur beim "Daily Telegraph", Reuters-Korrespondent in Ost-Berlin, Kriegsberichterstatter in Afrika. Seit 1972 Thriller-Autor mit Millionenauflage.1997 schrieb Forsyth einen offenen Brief an Bundeskanzler Kohl gegen den Euro. Heute lebt Forsyth mit 450 Schafen nördlich von London in Hertfordshire.


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