© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/00 28. Januar 2000

 
Nachruf: Zum Tod von Jens Hacker
Beständiger Wandel
Klaus Motschmann

Am 17. Januar ist Professor Jens Hacker im Alter von 66 Jahren in Köln verstorben. Er lehrte bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1998 Politische Wissenschaft mit dem Schwerpunkt Internationale Politik an der Universität Regensburg. Jens Hacker gehörte zu den wenigen herausragenden Vertretern sozialwissenschaftlicher Disziplinen, die sich der seit den sechziger Jahren um sich greifenden Ideologisierung dieser Fachgebiete und der Universitäten überhaupt entschieden widersetzten, weniger politisch-spektakulär, sondern um so überzeugender durch seriöse Leistungen in Forschung und Lehre, Verbandsarbeit und Publizistik.

Dabei ist vor allem an seine klaren Analysen zur Deutschlandpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg im allgemeinen und zur Entwicklung der DDR/SED im besonderen zu denken, mit denen er ideologisch verquasten und politisch illusionären Vorstellungen eines "Wandels durch Annäherung" entgegentrat. Hacker bemerkte zutreffend, daß sich dieser Wandel aufgrund der weltpolitischen Interessen der Sowjetunion und der USA auf absehbare Zeit gar nicht vollziehen könne, wohl aber ein innenpolitischer Wandel der Annäherung an marxistische Positionen und Begriffe.

Dazu zählte für Hacker vor allem die Abkehr von einem Totalitarismus-Begriff, der Nationalsozialismus und Kommunismus gleichermaßen umfaßte, was deutliche Differenzierungen nicht ausschließt. Sofern überhaupt noch grundsätzliche Kritik am kommunistischen Totalitarismus geübt worden ist bzw. noch geübt wird, geschieht das nicht am Verständnis der Wertvorstellungen einer parlamentarischen Demokratie, sondern am Selbstverständnis des Marxismus-Leninismus und dem Staatsverständnis der DDR. Dadurch aber werden die politischen und moralischen Maßstäbe seriöser wissenschaftlicher Forschung verrückt, was allmählich auch Konsequenzen für andere Wissenschaftsbereiche nach sich ziehen mußte.

So war es möglich, daß in relativ kurzer Zeit in der veröffentlichten Meinung Westdeutschlands ein völlig unzutreffendes Bild von den tatsächlichen Verhältnissen in der DDR und den Intentionen der Sowjetunion vermittelt wurde. Auf diese Weise wurden einerseits die innenpolitischen Voraussetzungen für die "Anerkennung der Realitäten", d.h. für die Anerkennung der DDR und damit der Spaltung Deutschlands geschaffen; andererseits die Voraussetzungen für die Verdächtigungen und Diffamierungen derer, die diesem politischen Trend nicht folgten und die einstmals gemeinsam vertretenen politischen, gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Positionen zu behaupten versuchten. Sie hatten zunehmend einen schweren Stand, auch nach der politischen Wende im Herbst 1982. Es sei nicht zu bestreiten, so Hacker, daß die Diskussionsbreite zu diesen Themen sich zwar wieder verbreitere; "den wissenschaftlichen Pluralismus in der DDR- und vergleichenden Deutschland-Forschung hat sie jedoch nur unzureichend wiederhergestellt". Aus dieser Feststellung erklärt sich die Tatsache, daß der Zusammenbruch der realsozialistischen DDR die maßgebenden Vertreter der politischen Klasse weithin unvorbereitet traf.

Vor dem Hintergrund dieser Erfahrung ist 1992 Hackers wichigste Publikation entstanden: "Deutsche Irrtümer. Schönfärber und Helfershelfer der SED-Diktatur im Westen". Sie ruht auf dem sicheren Fundament seiner zahlreichen anderen Veröffentlichungen und wissenschaftlichen Untersuchungen, insbesondere im "Deutschland-Archiv" und in der "Gesellschaft für Deutschland-Forschung", deren Mitbegründer im Jahre 1978 und langjähriges Vorstandsmitglied Hacker war. Mit dieser Publikation hat Hacker nicht nur eine vorbildliche Diagnose zum Verständnis der Entwicklung zur deutschen Spaltung vorgelegt, sondern auch die entscheidenden Ansätze für die Überwindung der inneren Spaltung durch die Orientierung der Politik an der Wirklichkeit.

Hacker hat damit nicht zuletzt einen Beitrag zur Bewahrung allgemeiner Grundregeln verantwortlichen wissenschaftlichen und politischen Handelns geleistet. In diesem Sinne haben Kollegen und Freunde Jens Hacker 1998 zu seinem 65. Geburtstag ihre Verbundenheit und ihren Dank in einer Festschrift mit dem trefflichen Titel "Wandel durch Beständigkeit" bekundet.

 

Prof. Dr. Klaus Motschmann lehrte Politikwissenschaft an der Hochschule der Künste in Berlin.


 
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