© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/00 28. Januar 2000

 
Europa: Mit der Gruppenfreistellung verstößt die EU gegen eigene Grundsätze
Die Autoverkäufer als Verlierer
Ronald Schroeder

Im Februar 1986 wurde die Verwirklichung des EU-Binnenmarktes bis 1993 beschlossen. Das aber hält die EU nicht davon ab, eine Vielzahl von Sonderregelungen zu beschließen, die einem freien Handel zuwiderlaufen. Die vorerst bis 2002 geltende "Gruppenfreistellungsverordnung" erlaubt beispielsweise Autoherstellern den Verkauf ihrer Fahrzeuge über ausschließlich eigene Vertriebsnetze. Dabei verbietet der EG-Vertrag solche Kartell-Absprachen innerhalb einer Produktions- und Vertriebskette ausdrücklich.

Das Hinwegsetzen über ihre eigenen Bestimmungen begründet die EU mit den Interessen der Verbraucher. Nur ein exklusives Händler- und Werkstättennetz könne eine qualitätsgerechte Wartung und Reparatur sicherstellen. Differierende Umsatzsteuersätze, ein unterschiedlich ausgeprägtes Markenverhalten der Kunden und eine von Land zu Land verschieden hohe Kaufkraft sorgen für beträchtliche Preisunterschiede innerhalb der EU. Im europäischen Vergleich liegen die Autopreise in Deutschland eher an der oberen Grenze. Entsprechend vielfältig sind die Versuche deutscher Verbraucher, ihre Fahrzeuge in Nachbarländern zu erwerben.

Besonders lukrativ sind zumeist Dänemark und Holland, aber auch Spanien. Wem der Kauf eines Mercedes C 180 in Dänemark gelingt, der spart fast zehn Prozent des in Deutschland geforderten Kaufpreises. Teilweise ergeben sich Preisvorteile von bis zu 30 Prozent. So aber haben sich die europäischen Autokonzerne den Binnenmarkt nicht vorgestellt. Mit allen Mitteln versuchen sie, den Autokauf im Ausland zu unterbinden.

Daimler-Vertragshändler dürfen beispielsweise nur Autos in der jeweiligen Landesausführung ausliefern. Vielfältige bürokratische Hürden werden errichtet. Das schreckte viele Kunden vom Kauf im Ausland ab. Wer sich davon nicht einschüchtern läßt, erlebt ausweichende, uninteressierte Händler. Weil ihnen Abmahnungen, Provisionskürzungen und Lieferbeschränkungen der Autohersteller drohen, gelten plötzlich andere Preise und längere Lieferzeiten als für Einheimische. Nicht selten wird der Kaufwunsch generell zurückgewiesen. Immerhin sind einzelne Händler durch Lieferverweigerungen oder Vertragskündigungen sogar in ihrer Existenz bedroht. Daimler verbietet seinen Händlern auch den Verkauf an berufsmäßige Wiederverkäufer außerhalb des eigenen Landes. Damit soll ein auf Re-Importe spezialisierter "grauer Markt" verhindert werden. Die EU-Kommission zeigt sich völlig überrascht "von diesen Praktiken". Die Beschwerden Betroffener nahmen zu, Verbraucherverbände schalteten sich ein. Als dann noch einzelne, von den Autokonzernen gemaßregelte Vertragshändler vor Gericht gingen, wurde der damalige EU-Wettbewerbskommissar van Miert aktiv. Es sei keinesfalls hinzunehmen, daß der Verkauf von Fahrzeugen im Ausland behindert wird.

Doch die Europäische Union läßt sich Zeit. Ende Januar 1998 mußte VW 200 Millionen Mark Bußgeld zahlen. Bereits seit 1996 wird gegen Daimler ermittelt. Die Beweislage ist erdrückend, ein Bußgeld wohl nicht zu vermeiden. Der Nachfolger van Mierts im Amt des Wettbewerbs-Kommissars, Mario Monti, könnte sogar zur Verhängung eines deutlich höheren Bußgeldes als bei VW gezwungen sein. Weitere Ermittlungen laufen gegen Opel und Renault. Die EU demonstriert inzwischen Entschlossenheit und sieht sich als Anwalt der Verbraucher. Dabei hat sie selbst mit der Gruppenfreistellungsverordnung diese Kartellbildung erst ermöglicht. Trotz massiven Drucks von Lobbyisten-Verbänden dürfte für die EU-Kommission eine Verlängerung der Gruppenfreistellungsverordnung politisch kaum durchsetzbar sein.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen