© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/00 28. Januar 2000


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Einsparpotentiale
Karl Heinzen

Die IT-Branche ist enttäuscht: 75.000 High-Tech-Jobs warten nach Angaben des Zentralverbandes Elektrotechnik und Elektronikindustrie (ZVEI) vergeblich darauf, besetzt zu werden, bloß weil die geeigneten Kandidaten fehlen. Siemens-Chef Heinrich von Pierer befürchtet sogar, daß sich diese Bedarfslücke bis zum Jahr 2005 vervierfachen könnte. Ohne eine Beendigung der rigiden Zuwanderungspraxis, so die Schlußfolgerung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, werden unnötig Wachstumschancen verspielt. Bislang ist nämlich lediglich der Zuzug von Computerspezialisten aus EU-Partnerländern, den USA, der Schweiz, Israel und einigen wenigen anderen Staaten unkompliziert möglich. In allen übrigen Fällen stellen sich die Arbeitsämter stur und verweigern insbesondere indischen und russischen Bewerbern, um die sich Unternehmen hierzulande gerne verstärkt bemühen würden, die Arbeitserlaubnis. Gerechtfertigt wird diese nicht gerade weltoffene Behördenpraxis mit dem Hinweis auf die zahlreichen inländischen Arbeitslosen in der IT-Branche, mit denen der Bedarf gedeckt werden könnte. Deutlicher läßt sich nicht zum Ausdruck bringen, in welch starkem Maße der Nationalstaat und seine Institutionen den Anschluß an die ökonomische Wirklichkeit verloren haben.

Es mag ja sein, daß die Arbeitsämter den Interessen der Menschen, die in diesem Land leben, verpflichtet sind. Dies auch von Unternehmen zu verlangen, hieße, sie in ihrer eigentlichen Interessenlage mißzuverstehen. Wer an einer deutschen Hochschule zum Informatiker ausgebildet wurde, ist durch die Steuerleistung der Betriebe schon indirekt subventioniert worden. Wer aus diesem Geschenk aber auch die Anspruchshaltung ableitet, ein Anfangsgehalt verlangen zu dürfen, das die politisch begünstigte Knappheit seiner Qualifikationen zum Ausdruck bringt, darf sich nicht wundern, wenn die Unternehmen billigere Lösungen favorisieren. Indische oder russische Computerspezialisten sind selten schlechter qualifiziert, obwohl ihre Ausbildung vor Ort preiswerter war, sie sind aber weniger verwöhnt und leichter in eine Unternehmenskultur zu integrieren, die in der bedingungslosen Unterordnung des Individuums unter die Interessen des Ganzen gründet.

Der deutsche Informatikernachwuchs muß also von seinem hohen Roß herunter, um in dieser von der Industrie gewünschten Konkurrenzsituation bestehen zu können. Die Politik könnte durch eine Reform des Zugangs zur Arbeitserlaubnis der Gefahr wehren, daß die Einwanderung ausschließlich zur Auffüllung der Unterschichten verkommt. Darüber hinaus böte sich die Chance, Zustimmung für einen längst überfälligen Sparkurs in der Bildungspolitik zu gewinnen: Wenn akademischer Nachwuchs billig aus dem Ausland zu beschaffen ist, kann auf teure Studiengänge an deutschen Hochschulen verzichtet werden.


 
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