© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/00 28. Januar 2000


Interview: FPÖ-Chef Jörg Haider über Österreich, Deutschland und seine Lebensplanung
"Wir sind unserer Zeit voraus"
Andreas Mölzer

Herr Dr. Haider, es sieht so aus, als könnte die FPÖ am Beginn des neuen Jahrhunderts nur noch schwer von der Regierungsverantwortung in der Republik Österreich ferngehalten werden. Was glauben Sie denn, wie lange dieser Widerstand des politischen Establishments der Zweiten Republik sich halten kann?

Haider: In Wirklichkeit handelt es sich nur um die Nachzuckungen eines zu Ende gegangenen Systems, das am 3. Oktober 1999 abgewählt wurde, wobei die beiden Exponenten, SPÖ und ÖVP, mit ihren traditionellen Seilschaften noch einmal versuchen, politisch ein paar Jahre zu überleben. Es hätte aber niemand mehr in Österreich, selbst die bisherigen Anhänger dieser Koalitionsform, ernsthaft Vertrauen in eine solche Regierung, so daß wir mit einer großen Gelassenheit auch die nächsten Entwicklungen abwarten können, um dann vom Wähler weiter gestärkt für Österreich entsprechend Verantwortung zu übernehmen.

Besteht nicht die Gefahr, daß die bisherigen Proporz-Parteien ÖVP und SPÖ abgesehen von einer offiziellen Regierungszusammenarbeit ihre Besitzstände in schöner Zweisamkeit erhalten wollen?

Haider: Diese Gefahr besteht immer - gerade in Österreich. Je schwächer die Altparteien werden, umso ausdauernder sind sie in der Verteidigung ihrer eigenen Pfründe. Allerdings ist es so, daß die beiden vormaligen Koalitionspartner total abgewirtschaftet haben und auch im persönlichen Umgang miteinander keine tragbare Grundlage haben.

Wie beurteilen sie denn Instanzen Ihres Landes, die einerseits verfassungsmäßig begründet sind wie der Bundespräsident, die andererseits über mediale Macht verfügen wie im Staatsmonopol-Rundfunk und in der größten Tageszeitung im Zusammenhang mit dieser jetzigen Regierungsbildung?

Haider: Es ist der latente Versuch vorhanden, ein System zu zementieren, das es in Wirklichkeit durch den demokratischen Wahlentscheid der Bürger nicht mehr gibt. Das ist nicht ungefährlich, weil damit die Demokratie dort aus den Angeln gehoben wird, wo die Bürger ohnedies nur ein sehr bescheidenes Recht haben. Wenn es einmal soweit ist, daß vom Staatspräsidenten angefangen bis hinein in Kreise mächtiger Medienzaren der Versuch unternommen wird, Wahlergebnisse zu verfälschen, dann hört sich die Demokratie auf. Und dann ist es nur mehr eine Frage der Zeit, bis sich die Bürger auch dagegen zu wehren beginnen, daß man ihnen das elementarste Recht in der Demokratie verweigert, nämlich selbst die Entscheidungen zu treffen.

Der Chefredakteur der renommiertesten konservativen Tageszeitung aus Wien hat in einem Kommentar gefragt, ob der Bundespräsident jetzt putschen wolle. Was halten Sie von dieser Formulierung?

Haider: Es sind in den letzten Tagen allerlei solcher Ausdrücke durch den Raum gegeistert. Ganz von der Hand zu weisen ist es nicht, denn nach meinem Selbstverständnis der österreichischen Bundesverfassung hat der Bundespräsident nicht die Aufgabe, sich eine bestimmte Farbe der Regierung zu wünschen und eine bestimmte ideologische Ausrichtung vorzugeben, sondern den Versuch zu machen, eine möglichst tragfähige, leistungsfähige Regierung auf breiter Basis zustande zu bringen. Unabhängig davon, wer diese Regierungsmehrheit bildet, weil letztlich alle demokratischen Parteien, die im österreichischen Parlament vertreten sind, mit gleichen Rechten und Pflichten dort tätig sind und daher auch in die Verantwortung gerufen werden können.

In Deutschland bricht gegenwärtig eine zuvor staatstragende Partei zusammen. Auch die jetzige Kanzlerpartei SPD ist bei den letzten Wahlen vom Wähler fast vernichtet worden. Sehen Sie, daß sich diese fundamentale Systemkrise bei Ihren Nachbarn – Italien hat es vor Jahren erwischt – irgendwie auch im österreichischen politischen Establishment wiedergespiegelt?

Haider: In Wirklichkeit verschiebt sich auch bei uns das Spektrum. Es sind neue Bewegungen da, denn die Freiheitlichen sind ja auch seit dem Jahre 1986 im wesentlichen eine neue Bewegung, die zuerst sehr stark als oppositionelle Kontrollkraft und später dann als Alternative gegenüber einer rot-schwarzen Einheitspartei zur Auflösung dieses traditionellen, in sich sehr verfilzten Systems beigetragen haben. In jedem Land erfolgt das ein bißchen anders. In Italien ist das in einem großen Zusammenbruch erfolgt. In Deutschland scheinen auch die Fundamente von Traditionsparteien einzubrechen. In Österreich hat es eine gewaltige Wählerverschiebung gegeben, denn es gibt kein Beispiel in der europäischen Demokratie, wo eine Partei wie die Freiheitlichen, so lange, so kontinuierlich Zugewinne von beiden Parteien des politischen Establishments schafft. Damit ist ja letztlich auch hierzulande eine neue politische Kategorie entstanden.

Sie haben ja zu Beginn der 90er Jahre über ihren Freund Manfred Brunner versucht, in Deutschland auch so etwas wie eine Schwesterpartei zu etablieren. Das ist damals weitgehend fehlgeschlagen. Wäre nicht jetzt der Zeitpunkt, wo sich in Deutschland auf der konservativen, patriotisch oder rechtsliberalen Seite etwas Neues entwickeln könnte?

Haider: Das ist richtig. Wir waren unserer Zeit auch in dieser Frage voraus, wie wir auch bei vielen anderen Themen unserer Zeit voraus sind. Ob das die Kritik am Filz des Sozialstaates ist, oder ob das die Überlegungen zur Einwanderungspolitik sind. Das betrifft auch die Notwendigkeit, daß Deutschland eine freiheitliche Alternative bräuchte. Ich könnte mir vorstellen, daß natürlich jetzt ein sehr günstiger Zeitpunkt wäre. Wenn sich die zum Partikularismus und zum Eigenbrötlertum neigenden freiheitlichen Gruppierungen in Deutschland einigen würden, dann wäre das eine ganz bedeutende politische Kraft, die hier entstehen könnte, nachdem ja eigentlich die FDP in ihrer Funktion als geistige Heimstätte freiheitlich-liberaler Menschen bereits abgetreten ist.

Zurück zur FPÖ: Die FPÖ wird von Soziologen als "Arbeiterbewegung neuen Typs" bezeichnet. Wenn man die Geschichte, die sich natürlich nicht wiederholt, anschaut, wurde die Sozialdemokratie 1889 gegründet und hat 29 Jahre, bis 1918 gebraucht, bis sie an die Macht und in Regierungsverantwortung gekommen ist. Die Haider-FPÖ - wenn man das so sagen will - beginnt ihren Aufstieg Mitte der 80er Jahre, und Sie hat einen langen Atem bewiesen. Haben Sie Sorge, daß man einen noch längeren Atem brauchen könnte, bis man in diesem Land tatsächlich politische Erneuerung verwirklicht?

Haider: Die Sorge habe ich eigentlich nicht, weil die Verantwortung uns zum Teil schon ereilt hat. Wir sind ja in vielen Bundesländern in der Landesregierung. Und in einem Bundesland, in Kärnten nämlich, als stärkste Kraft sogar mit der Führung des Landes beauftragt, und zeigen hier ja täglich, daß wir die einzige stabile politische Kraft sind. Es sollte mich nicht wundern, wenn auch die Verantwortung auf Bundesebene schneller kommt als wir denken, weil die derzeit versuchte Verlängerung der Regierung der Sozialdemokratie in Wirklichkeit eine Übergangsphase darstellt, die so brüchig ist, daß sie nicht von langer Dauer sein wird.

In Kärnten scheint es so, als würden die Freiheitlichen tatsächlich so etwas wie die "Kärnten-Partei" schlechthin sein. Gibt es den Ehrgeiz, auf Bundesebene zur "Österreich-Partei" schlechthin zu werden?

Haider: In Kärnten haben wir sicherlich das Erbe der Sozialdemokratie angetreten. Nämlich jener Sozialdemokratie, wie sie noch unter einem Leopold Wagner existierte, die wenig linkslinke Bezüge hatte, aber dafür eine gestandene Partei des "kleinen Mannes" war, eine Volkspartei im klassischen Sinn. Diese Funktion haben wir hier übernommen, und je mehr die SPÖ in Kärnten durch die Auswahl ihrer Personen weiter nach Links wandert, umso mehr Platz wird für uns in diesen traditionellen Wählerschichten, die in Kärnten sehr ausgeprägt sind. Auf Bundesebene sind wir ja die einzige "Österreich-Partei", die einen gelebten Patriotismus repräsentiert und dafür ja auch getadelt wird. Denn daß wir als Anti-Europäer in Verruf gekommen sind, hat ja damit zu tun, daß wir uns im Zweifelsfall immer für Österreich entscheiden. Das scheint offenbar bei manchen aus den anderen Parteien aus der Mode gekommen zu sein. In dem Sinne lohnt es sich, altmodisch zu sein. Als österreichische Politiker schlägt unser Herz fürs eigene Land. Wir haben keinerlei Absicht, die ganze Welt zu umarmen und Allgemeinplätze von uns zu geben.

Jörg Haider wird dieser Tage 50 und hat jetzt 25 Jahre die politische Landschaft der Republik wesentlich mitgestaltet. Wird er noch weitere 25 Jahre dabei sein, gewissermaßen ein Adenauer-Schicksal erleiden, oder hat er eine andere Lebensplanung?

Haider: Ich möchte das nicht so von vornherein ausschließen, daß ich noch eine geraume Zeit in der Politik bin, aber ich habe nicht die Absicht, noch einmal 25 Jahre so zu dienen, wie in den vergangenen Jahrzehnten, da natürlich auch die Beanspruchung eine erhebliche ist. Man wird dabei ja nicht jünger. Vielmehr besteht die Gefahr, daß an einem das Leben ein bißchen vorbeizieht.


 
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