© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    04/00 21. Januar 2000

 
Pankraz,
Dorothy Sayers und das T-Shirt in der Todeszelle

Murder needs advertising", hieß der Titel eines prächtigen Kriminalromans von Dorothy Sayers aus der Frühzeit der Werbung, "Mord braucht Reklame". Jetzt, in der Zeit der überschäumenden Werbung, liefert die Bekleidungsfirma Benetton mit ihrer jüngsten Werbekampagne gegen die Todesstrafe in Amerika gewissermaßen das Gegenstück: "Nichtmord braucht Reklame". Gemeint ist allerdings etwas anderes, nicht ganz so Hehres, nämlich dies: "Wer gegen die Todesstrafe ist, der sollte auch Benetton-T-Shirts und Benetton-Plastiktaschen kaufen."

Man kennt die Masche aus dem Spiegel und anderen Werbeträgern der Kulturbranche. Wenn dort ein neues Produkt "plaziert" werden soll, gibt der Produzent ein Interview, und die Überschrift lautet dann etwa: "XY über die CDU-Spendenaffäre, die Liebe und sein neues Album", oder auch: "YZ über den Tschetschenienkrieg, die Todesangst und seine unmittelbar bevorstehende Deutschlandtournee." Spendenaffäre und Tschetschenienkrieg, Liebe und Todesangst werden zu bloßen "Piloten" für die eigentliche Botschaft, das neue Album, die bevorstehende Tournee. So werden Kosten für teure Anzeigen gespart, Sachtext und Referenztext verfilzen sich auf untrennbare Weise oder, um mit H.M. Enzensberger zu sprechen: "Die Werbung verschmutzt die Kanäle."

Früher legten die Leitungen seriöser Zeitungen Wert darauf, daß ganzseitige Anzeigen (zumindest im "vorderen Buch") grundsätzlich auf den linken Seiten erschienen, während die rechten, die "Aufschlagseiten", den eigenen Informationen und Kommentaren vorbehalten blieben. Lang, lang, ist’s her. Heute blättern sich die FAZ oder die Zeit wie jene kostenlosen Anzeigenblättchen, die in Kaufhallen herumliegen. Auf den feinsten Aufschlagseiten tobt sich flächendeckend die Werbung aus, während die eigenen Texte links ein bescheidenes Zusatz- und Schattendasein fristen und man schon froh sein muß, wenn sie sich noch wahrnehmbar von den Anzeigenseiten unterscheiden.

Natürlich geht es um viel, viel Geld. Kaum ein "Printmedium" kann noch vom Obolus seiner Kaufkunden leben, allein das Anzeigengeschäft sichert Existenz und Reichweite, Arbeitsplätze in der Redaktion und im Vertrieb. Entsprechend drückend ist die ideelle Abhängigkeit von den Strategen der Werbeindustrie geworden. Kein einziger der großen Werbeträger wagt noch, das Lebensgefühl oder die Detailabsichten seiner Auftraggeber frontal herauszufordern. Im Grunde gibt es nur noch eine einzige ehrliche und halbwegs freie Seite in unseren Zeitungen: die Seite mit den Todesanzeigen. "Death doesn’t need advertising", obwohl auch er sich gerne anzeigt und dabei den Mund meistens recht voll nimmt.

Zum Glück ist die Diktatur der Werbestrategen vergleichsweise milde. Das hängt damit zusammen, daß diese Strategen in der Regel keine Geistesgrößen sind, sondern eher verunsicherte Würstchen, die sich gern ihrerseits nach Decken strecken. Auch sind sie ja (noch) von ihren Auftraggebern abhängig. Das soll sich aber ändern. In zahllosen Managerkursen wird eifrig gelehrt, daß nur die Werbe-Agenten genau wissen, was für eine erfolgreiche Kampagne nötig ist, welches Produkt und welche Strategie.

Das Produkt-Image, so wird den Managern eingebleut, sei allemal wichtiger als das Produkt selbst. Es gehe also nicht an, daß ein firmeneigener Anzeigengeber oder Spot-Erfinder einfach simple "Produktwerbung", etwa mit Hilfe des Fernsehens, betreibe oder sich als jovialer Sponsor betätige, sondern es bedürfe auf jeden Fall der Dazwischenkunft eines professionellen Mediators, und zwar schon deshalb, weil sich die Werbung "verselbständigt", weil ihre Hervorbringungen selber zum Hauptprodukt der Spaßgesellschaft würden, in Hinblick auf Unterhaltungswert jedem Produkt "erster Ordnung" deutlich überlegen.

Hier freilich könnte es sein, daß sich das Medium in den Schwanz beißt, daß es sich grotesk überschätzt. Den Spiegel kauft kaum jemand der Anzeigen wegen, im Fernsehen ist die Werbung sogar zum ausgesprochenen Ärgernis geworden, so daß zur Zeit hocheffiziente Werbe-Ausblende-Operatoren erfunden werden, gegen die die Sender klagen. Der Endkonsument hat, allem Gerede von der "virtuellen Zukunftsgesellschaft" zum Trotz, die Nase von den selbstverliebten Sperenzchen der Werbung ziemlich voll.

Noch mißlicher wird sich für die Agenturen auswirken, daß der "Werbeerfolg" und der reale, in Geld ausweisbare Geschäftserfolg immer öfter weit auseinanderklaffen. Ein Unternehmen landet einen Werbegag, über den sich alle das Maul zerreißen, aber gekauft wird das hinter dem Gag stehende Produkt trotzdem nicht. Diese Erfahrung mußte auch Benetton machen, dessen frühere riskante Kampagnen mit Bildern von Aidskranken und blutgetränkten Soldatenblusen sich als pure Absatzkiller erwiesen.

Der Besitz von "Labels", also von der Werbung erfundenen Image- und Prestige-Symbolen, wird immer wertloser, seitdem sich diese auf breiter Front von den ursprünglichen Qualitätsprodukten gelöst haben und nur noch für sich selbst stehen. Nicht einmal der Umkehrsatz zu Dorothy Sayers, "Advertising needs Murder", stimmt mehr. Dem Haus Versace hat die spektakuläre Ermordung seines Chefs Gianni Versace und der ungeheure Rummel um diesen Mord seinerzeit in Florida nicht das Geringste genützt, sein Niedergang war nicht aufzuhalten, und ganz ähnlich geht es anderen ehemaligen ersten Label-Adressen, Yves Saint Laurent beispielsweise.

Die Gefahr, daß Entscheidungen der großen Politik (wie die Abschaffung der Todesstrafe) künftig nur noch "Produkt-Trailer" für den Verkauf von Oberhemden und Unterhosen sind, ist vergleichsweise gering. Wer weiß, vielleicht erleben wir es bald auch wieder, daß die Aufschlagseiten der großen Zeitungen mit werbefreien Informationen und Kommentaren bestückt werden.


 
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