© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    04/00 21. Januar 2000

 
Spendenaffäre: In der CDU setzt sich der Machtkampf fort
Es steht Spitz auf Knopf
Paul Rosen / Richard Stoltz

In der CDU kommt es im Zuge der Spendenaffäre jetzt zu einer offenen Feldschlacht zwischen Altbundeskanzler Helmut Kohl und der Parteiführung um Wolfgang Schäuble. Kohl legte am Dienstag abend den CDU-Ehrenvorsitz nieder, nachdem ihn zuvor Präsidium und Bundesvorstand der Partei in einer Krisensitzung in Berlin aufgefordert hatten, sein Ehrenamt ruhen zu lassen, solange er sich weigere, "seinen Beitrag zur Bewältigung der Krise und zur Aufklärung der Verfehlungen zu leisten".

In einer Erklärung begründete Parteipatriarch Kohl (69) die Aufgabe des Ehrenvorsitzes mit dem Hinweis, er sehe sich außerstande, "mein Versprechen, das ich einigen Persönlichkeiten gab, die meine Arbeit in der CDU finanziell unterstützt haben, zu brechen". Damit bekräftigte der Altkanzler seine Absicht, die Spendenaffäre der CDU nach bewährter Manier auszusitzen. Und das obwohl die Kritik an seinem Verhalten immer lauter wird. So warf der ehemalige Vorsitzende des Rechtsausschusses im Deutschen Bundestag, der CDU-Politiker Horst Eylmann, Kohl vor, er befinde sich "im Zustand des permanenten Verfassungsbruchs".

Rückblende: Vor 16 Jahren kündigte Helmut Kohl die geistig-moralische Wende an; viele seiner Wähler vermißten sie jedoch bald. Jetzt wurde sie gefunden, jetzt ist klar: Kohl hat seine CDU in eine Partei mit Mafia-ähnlichen Strukturen gewendet. Die Lehren des "Schwarzen Paten Don Kohleone" verfehlten ihre Wirkungen nicht. In Hessen schafften Kohls Parteifreunde mindestens sieben Millionen Mark Parteivermögen unklarer, möglicherweise rechtswidriger Herkunft ins Ausland, die Zinsen transportierten sie – als Erbschaften getarnt – illegal in das Bundesgebiet. Der nach eigenem Bekunden in Hessen hauptverantwortliche Manfred Kanther avancierte später zum Bundesinnenminister, zuständig für den Vollzug der Gesetze und für die Verfassung. Genausogut hätte man einen Rauschgiftboß zum Chef einer Drogenberatungsstelle machen können.

CDU-Generalsekretärin Angela Merkel verschlug es die Sprache, der neue hessische CDU-Chef Roland Koch lobte sich, alles "binnen weniger Stunden öffentlich gemacht" zu haben. Der niedersächsische CDU-Vorsitzende Christian Wulff forderte Konsequenzen bis hin zu Mandatsniederlegungen und Parteiausschlußverfahren.

Doch die Aufklärung, jenes von CDU-Chef Wolfgang Schäuble entwickelte Schlagwort zur Schadensbegrenzung, hat Grenzen. "Pate" Helmut Kohl verweigert ohnehin jede Aussage zu der Frage, wo die mindesens zwei Millionen Mark herkommen, die er über Jahre hinweg bar bei anonymen Spendern eingesammelt und dann über ein kompliziertes Kontensystem unter Umgehung der geltenden Gesetze dem Parteivermögen zugeführt hat. Was bisher von Kohls patriarchalischem System bekannt geworden ist, scheint aber nur die Spitze eines Eisberges zu sein.

CDU-Chef Schäuble hat das Parlament angelogen

Bei der CDU knirscht es nicht im Gebälk, sondern das Haus beginnt einzustürzen. Schäuble ist schwer beschädigt und hat auch selbst viel dazu beigetragen. Zunächst hatte der CDU-Vorsitzende den Eindruck zu erwecken versucht, er ziehe einen Schlußstrich zur Vergangenheit, er beende die Ära Kohl. Doch dann gab Schäuble zu, selbst Bargeld angenommen zu haben.

Daran ist zunächst nichts Ungesetzliches. Es ist rechtlich egal, ob eine Spende per Scheck, Überweisung oder in bar ins Haus kommt. Auch wird man Schäuble nur schwer einen Vorwurf daraus machen können, daß 100.000 Mark, die er von dem bayerischen Waffenhändler Karl-Heinz Schreiber bekam, in die von Kohl kunstvoll geschaffenen dunklen Kanäle versickerten und nicht mehr im Rechenschaftsbericht der Partei aufgeführt wurden, sondern entweder spurlos verschwanden oder als "Sonstige Einnahmen" getarnt in das CDU-Vermögen geschleust wurden.

Aber daß Schäuble noch am 2. Dezember vorigen Jahres im Deutschen Bundestag behauptete, Schreiber nur einmal bei der Spenden-Gala gesehen und sonst nichts mehr mit dem Waffenhändler zu tun gehabt zu haben, dürfte vermutlich noch Konsequenzen für ihn haben. 1994 erhielt er die 100.000 Mark. 1997, drei Jahre später, intervenierte er bei der Schatzmeisterin Brigitte Baumeister, um eine Bestätigung zu erhalten, daß er das Geld ordnungsgemäß an die Schatzmeisterei übergeben habe. Spätestens zu diesem Zeitpunkt muß Schäuble klar gewesen sein, daß es bei der Spende nicht mit ganz rechten Dingen zugegangen war.

Doch Ende 1999 sagte er im Bundestag, er habe Schreiber nur bei dem Abendessen gesehen: "Das war es." Damit hat der CDU-Chef das deutsche Parlament vorsätzlich angelogen, nachdem er vorher noch erklärt hatte, er setze auf kompromißlose Aufklärung. Das nimmt dem Nachfolger des "Paten" niemand mehr ab. Die Aufklärungskampagne ist zusammengebrochen, die Glaubwürdigkeit des CDU-Vorsitzenden tendiert gegen null. Schäuble hat durch eigenes Verhalten den Verdacht untermauert, die CDU gebe in der Spendenaffäre nur zu, was ihr nachgewiesen worden sei.

In der Berliner Gerüchteküche brodeln ohnehin Hinweise, Schäuble habe den Erhalt der 100.000 Mark nur der Öffentlichkeit bekanntgegeben, weil mehrere Medien, angeblich das ZDF und das Magazin Stern, ihm bereits auf der Spur gewesen seien. Die Spur wiederum, so heißt es, sei von Gegnern Schäubles in der eigenen Partei gelegt worden, denen der "Aufklärungskurs" zu hart erschienen sei. Dazu paßten dann auch Gerüchte, der Kohl-Anhänger und Schäuble-Kritiker Jürgen Rüttgers aus Nordrhein-Westfalen wolle auf dem Parteiag im April in Essen gegen Schäuble als Vorsitzenden antreten. Doch Rüttgers ließ dementieren. Vor der nordrhein-westfälischen Landtagswahl im Mai kann er unmöglich gegen Schäuble antreten. Zu groß ist das Risiko, bei einer Wahlniederlage in NRW endgültig die politische Bühne verlassen zu müssen.

Trotzdem wurde sofort weiterspekuliert. Aus CDU-Vorstandskreisen kamen Gerüchte, Schäuble könnte möglicherweise seinen Verzicht auf eine neue Kandidatur zum CDU-Vorsitz erklären, weil der Anspruch, Aufklärer zu sein, zusammengebrochen ist. Als Übergangs-Vorsitzender für ein oder zwei Jahre wurde bereits der sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf genannt. Biedenkopf steht außerhalb jeden Verdachts, irgendwie am System Kohl beteiligt zu sein. Den Altkanzler und den "Sachsenkönig" verbindet nur eine jahrzehntealte Feindschaft.

Biedenkopf dementierte die Spekulation nicht ernsthaft. Denn es scheint tatsächlich Gespräche mit Schäuble gegeben zu haben, ob der Wahl-Sachse bereit sein könnte, in der Affäre eine besondere Rolle zu übernehmen. Als "Moderatoren" fand Schäuble inzwischen andere Persönlichkeiten: Der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog, Ex-Bundesbankpräsident Hans Tietmeyer und der ehemalige Verfassungsrichter Paul Kirchhof sollen der CDU Ratschläge erteilen, welche Konsequenzen aus der Affäre zu ziehen sind.

Auf dem Parteitag könnte es zur Abrechung kommen

Eine persönliche Konsequenz für sich lehnt Schäuble bisher ab, obwohl er durch die 100 000-Mark-Spende schwer belastet ist. Trotzdem sprachen ihm Präsidium und Parteivorstand der CDU am Dienstag mit großer Mehrheit das Vertrauen aus. Wie es heißt, habe das Präsidium angekündigt, geschlossen zurückzutreten, falls Schäuble sein Amt niederlege.

Selbst die Gerüchte, er könne mit dem Fraktionsvorsitz eines seiner beiden Führungsämter aufgeben, verdichteten sich bisher nicht. Für diesen Fall war bereits der aus Nordrhein-Westfalen stammende Finanzpolitiker Friedrich Merz als Nachfolger gehandelt worden. Bisher hielten sich direkte Rücktrittsforderungen an Schäubles Adresse auch in Grenzen. Vom Partei-Establishment meldete sich nur der frühere Regierungssprecher und heutige Bundestagsabgeordnete Friedhelm Ost zu Wort und legte Schäuble den Verzicht auf alle Ämter nahe, weil der CDU-Chef nicht mehr die Glaubwürdigkeit verkörpern könne.

Schäuble hat einen schweren Weg vor sich. Selbst führende Fraktionskollegen räumen intern ein, daß sich der Vorsitzende keine weitere Entgleisung mehr leisten könne. Damit nicht genug: Während die Affäre weiterkocht und täglich neue Enthüllungen drohen, muß die CDU Landtagswahlkämpfe bestehen.

In Schleswig-Holstein wurde Kohl vom dortigen Landesvorsitzenden und CDU-Spitzenkandidaten Volker Rühe aus dem Wahlkampf ausgeladen. Schäuble jetzt auch noch auszuladen, konnte sich Rühe dann doch nicht erlauben. Das scheint auch egal zu sein, denn in der Partei wird die Landtagswahl im im nördlichsten Bundesland längst verloren gegeben. Nach dem Wahltag am 27. Februar dürfte der Druck auf Schäuble enorm zunehmen. Die CDU kannte mit Verlierern noch nie Gnade. Kohl konnte sich, da er die Partei völlig beherrschte, stets über Wahlschlappen retten, Schäuble ist jedoch weder an der Basis noch im Mittelbau der CDU sonderlich beliebt. Das erleichtert Kritik, zum Beispiel auf dem CDU-Parteitag in Essen, der zur Generalabrechnung mit dem Vorsitzenden und seinem glücklosen Krisenmanagement geraten könnte.

Dabei steht die Einigkeit der CDU auf dem Spiel. Zu oft waren in letzter Zeit interne Appelle zu hören, die Partei müsse zusammengehalten werden. Die CSU warnte bereits vor Zentrifugalkräften, die die Union erfaßt hätten. Koch beschwor die Einheit der CDU, die es zu erhalten gelte. Der Ruf des sonst eher zurückhaltenden Niedersachsen Wulff nach Parteiausschlußverfahren zeigt, daß es in der CDU Spitz auf Knopf steht. Eine offene Schlacht zwischen den Flügeln könnte viele Mitglieder, vielleicht sogar einige Parteigliederungen, dazu bringen, die CDU zu verlassen. Denkbar ist, daß sich jüngere Teile der CDU zu einer neuen Partei formieren oder zum Beispiel zur FDP überlaufen.

Und völlig ungewiß sind die finanziellen Aussichten. Alle Rechenschaftsberichte der letzten Jahre sind nicht nur wegen Kohls Verhalten, sondern auch aufgrund der hessischen Affäre falsch. Somit drohen der CDU Rückzahlungen an die Staatskasse in zweistelliger Millionenhöhe und der Entzug eines großen Teils der Mittel für das laufende Jahr. Nicht alle CDU-Verbände würden sich an den Rückzahlungen beteiligen, sondern möglicherweise an Abspaltung denken. Die Partei wäre dann – wie ihr ehemaliger Vorsitzender – nur noch Geschichte.


 
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